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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0322

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Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

der aktuellen Mode entsprechende Tracht spätestens
ab 1640 mit dem Konzept zeitloser Repräsentation
in Verbindung gebracht wurde, ist jedoch überzeu-
gend. Ohne Zweifel teilten auch die Auftraggeber
von Kostümporträts in Tronie-Manier die Vorstel-
lung, dass die fiktive Aufmachung ihrem Bildnis zu
Allgemeingültigkeit verhalf und es davor bewahrte,
innerhalb kürzester Zeit veraltet zu wirken.
Das >zeitlose< Aussehen des Kostüms kann aller-
dings nicht der einzige Grund für die Wahl dieser
Darstellungsweise gewesen sein. Wäre das der Fall,
so leuchtet kaum ein, warum die Auftraggeber sich
nicht an den bereits etablierten, weitgehend höfisch
geprägten Formen zeitloser Darstellung im Porträt
hätten orientieren sollen.143
Steigerung des Verkaufswertes
Ein wesentlicher Reiz der zur Diskussion stehenden
Bildnisse lag ohne Zweifel in der ungewöhnlich rei-
chen, fremd oder exotisch wirkenden und mit einer
Vielzahl interessanter Details ausgestatteten Kostü-
mierung der Dargestellten. Es ist davon auszugehen,
dass dieser Aspekt auch zur Beliebtheit von Tronien
entscheidend beitrug. Ein in der Werkstatt Rem-
brandts in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre ent-
standenes Gemälde liefert ein anschauliches Beispiel
für den Einsatz einer fiktiven Tracht als Mittel, um die
Attraktivität eines Einfigurenbildes in den Augen po-
tentieller Käufer zu steigern. Das Gemälde zeigt das
Brustbild einer in der Art der Tronien des Rembrandt-
kreises kostümierten, mit turbanähnlichem Kopfputz
versehenen Ffw mit Buch (Los Angeles, University of
California, Hammer Museum) [Kat. 480, Taf. 101].144
Im Röntgenbild wird sichtbar, dass das Gemälde stark
verändert wurde und die Dargestellte ursprünglich ein
zeitgenössisches Kostüm mit weißem Spitzenkragen
trug. Die Autoren des RRP nehmen an, dass die Über-

malungen um 1635, schon bald nach der Entstehung
des früheren Stadiums und vermutlich nicht von dem-
selben Werkstattmitglied ausgeführt wurden, das für
die erste Fassung verantwortlich zeichnet.
Letztlich gibt es hierfür nur eine plausible Er-
klärung: Offenbar wurde ein konventionelles Por-
trät, dessen Kauf der Auftraggeber aus irgendeinem
Grund nicht tätigen konnte oder wollte, in eine Tro-
nie verwandelt.145 Die reiche Kostümierung, mit der
das nach dem Leben gemalte Modell ausgestattet
wurde und die an eine Prophetin oder Sibylle denken
lässt,146 bewirkt die Transformation der Dargestell-
ten in eine interessante Phantasiefigur. Der Grund
für diese Umgestaltung ist zweifellos darin zu sehen,
dass sich das Gemälde, in dessen Anfertigung bereits
Arbeitszeit und -material investiert worden waren,
als Tronie noch verkaufen ließ,147 was bei einem kon-
ventionellen Porträt nicht erwartet werden konnte.
Bildnisse waren im Regelfall nur für den Dargestell-
ten selbst und dessen Angehörige oder Freunde,
nicht aber für Außenstehende von Interesse.148 Da-
her blieben sie normalerweise in Familienbesitz und
wurden nicht veräußert.149 Attraktiv für Käufer, die
den Dargestellten nicht kannten, waren Porträts
vor allem dann, wenn sie von einem bekannten, bei
Kunstliebhabern und Sammlern gefragten Meister
stammten.150 Im Inventar des Amsterdamer Kunst-
händlers Johannes de Renialme beispielsweise fin-
den sich auffallend viele Porträts berühmter älterer
Maler, darunter Hans Holbein d.J., Willem Key und
Anthonis Mor,151 aber auch >conterfeytsel< bekannter
zeitgenössischer Meister, wie z.B. Jan Lievens, Fer-
dinand Boi, Bartholomäus van der Heist und Michiel
van Miereveld.152 Zwar gehörten zum Besitz de Renialmes
auch anonyme >conterfeytsel<, ihre vergleichsweise
hohen Preise lassen jedoch darauf schließen, dass es
sich hier ebenfalls um besonders hochwertige Ge-
mälde handelte.153

143 Van de Passe stützte sich bei der Anfertigung seines Porträt-
buches berühmter Frauen unter anderem auf pastorale Bild-
nisse Moreelses und van Honthorsts, Kettering 1983, S. 76.
144 Zu Zuschreibung, Datierung und technischer Untersuchung des
Bildes vgl. RRP 1982-2005, Bd. 3, Kat. Nr. CI 15, S. 723-728.
145 Vgl. Wetering 2003, S. 7.
146 Vgl. RRP 1982-2005b, Bd. 3, Kat. Nr. C115, S. 728.
147 Zum Phänomen der Übermalung von Bildnissen oder Tro-
nien in der Werkstatt Rembrandts vgl. Wetering 2003, S.
2-15; ders. 2005b, S. 96-98.
148 Kat. Haarlem 1979, S. 27f.; Goosens 2001, S. 294; Ekkart
2007/08b, S. 57.
149 Montias 1999, S. 172; Montias 2002a, S. 88.

150 Vgl. Kat. Haarlem 1979, S. 27; Montias 2002a, S. 132.
151 GPI 1994-2003, N-2213, Nr. 0138, 0382, 0040, 0531, 0042,
0049 (Inv. Johannes de Renialme, Amsterdam 20.6.1657).
152 GPI 1994-2003, N-2213, Nr. 0531, 0021, 0169, 0109, 0040
(Inv. Johannes de Renialme, Amsterdam 20.6.1657).
153 Vgl. oben, Kap. III.5.1, S. 236, Tab. 3. Mit einem Durch-
schnittswert von 39,2 Gulden (von insgesamt 42 Bildern)
liegt der Preis der anonymen Porträts in Renialmes Inventar
weit über den Werten, die in Studien zum Kunstbesitz der
Bürger verschiedener niederländischer Städte für Porträts
ermittelt wurden. Vgl. Woude 1991, Tab. 12, S. 319; Lough-
man 1992/93, Tab. 4, S. 52 u. S. 53; Goosens 2001, S. 294-
297.
 
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