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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0324

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296

Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

ist hierbei, dass die Ausstaffierung der Dargestellten
auf Kostümporträts ebenso wie die Phantasietracht
vieler Tronien der Kostümierung der Figuren auf
Historienbildern entspricht. Wie zu zeigen sein wird,
spielte dies für die Motivation holländischer Bürger,
entsprechende Bildnisse zu bestellen, eine wichtige
Rolle.
Es leuchtet unmittelbar ein, dass ein Bildnis durch
die Gestaltung als portrait historie eine ideelle Wert-
steigerung erfuhr, da es mit der Gattung Historie und
deren hohem Rang in Verbindung gebracht werden
konnte.164 Dies gilt vor allem für mehrfigunge Bildnis-
se, da die Wahl eines erzählerischen Stoffes und dessen
angemessene Behandlung, die Anlage der Komposi-
tion wie auch die Darbietung der Affekte sich hier-
bei nach den Prämissen, Regeln und Ansprüchen der
Historienmalerei richten konnten.165 Einzukalkulie-
ren sind dabei freilich bestimmte Einschränkungen,
die sich aus der Notwendigkeit wirklichkeitsgetreuer
Wiedergabe der Physiognomie wie auch der würdigen
Darstellung der Porträtierten ergeben können. Die
Auftraggeber wurden im portrait historie nicht allein
durch die Gleichsetzung mit einer tugendhaften Iden-
tifikationsfigur aufgewertet, sondern schon durch ihre
bloße Präsentation im Historienbild. Der Käufer eines
portrait historie erhielt ein Bildnis und gleichzeitig ein
Historienbild des ausführenden Künstlers.
Das Einzelbildnis bot naturgemäß weniger Mög-
lichkeiten, die mit der Historienmalerei im Allgemei-
nen verbundenen Vorstellungen idealer Darstellung
umzusetzen. Dies gilt in verstärktem Maße, wenn der
Bildinhalt nicht auf die Repräsentation eines bestimm-
ten Helden aus Bibel, Geschichte, Literatur oder My-
thologie festgelegt ist, sondern im Kostümporträt auf
eine Konkretisierung der dargestellten Rolle verzich-

tet wird. Auch in diesem Fall erzeugt jedoch die phan-
tasievolle Tracht und gegebenenfalls ihre malerische
Gestaltung einen motivischen und gleichzeitig ide-
ellen Zusammenhang mit der Historienmalerei: Das
Malen eines Kostümporträts in Tronie-Manier ging
(ebenso wie das Malen eines portrait historie) insofern
über das Gestaltungspotential der Porträtmalerei hi-
naus, als der Künstler die Kleidung des Dargestellten
nicht realitätsgetreu kopieren musste, sondern in die-
ser Hinsicht seine Erfindungsgabe einsetzen konnte.
Der Kunsttheoretiker Franciscus Junius bewertet
die Imaginationskraft des Künstlers, die er in sei-
nem Malereitraktat De Pictura Veterum (Amster-
dam 1637) als »phantasia«166 oder in der englischen
Übersetzung als »Phantasie« bzw. »inward Imagi-
nations«167 bezeichnet, als besonders wichtige Be-
gabung des Historienmalers.168 Bei seiner Definition
der künstlerischen Phantasie in Abgrenzung zur blo-
ßen Naturnachahmung bezieht sich Junius neben an-
deren Quellen auch auf eine Passage bei Philostratos
und schreibt: »[...] Imitation doth worke out nothing
but what shee hath seene: Phantasie on the contrary
doth take in hand also what shee hath not seene; for
shee propoundeth unto her seife unknowne things
with a relation to such things as are.«169 In ähnlicher
Weise unterscheidet bereits van Mander zwischen
dem Malen »nae t’ leven« und dem Malen »uyt den
gheest«.170 Bei der Anwendung des letztgenannten
Prinzips imaginiert der Meister einen Bildgegen-
stand unter Zuhilfenahme seiner anhand des Natur-
vorbildes gewonnenen Erfahrungen und visuellen
Erinnerungen und bringt ihn zu Papier bzw. auf die
Holztafel oder Leinwand.171 Allerdings gelangte ein
Maler aus der Sicht van Manders gerade mittels der
Umformung des Naturvorbildes durch die Kunst,

164 Vgl. WiSHNEVSKY 1967, S. 145; Jongh 1997, S. 33f.
165 Die gelungene Umsetzung der genannten Aspekte - zwentzo,
dispositio und Affektdarstellung - galt in der Kunsttheorie
des 16. und 17. Jahrhunderts als wesentliche Voraussetzung
für die künstlerische Vollendung eines Historienbildes, vgl.
Lee 1940, S. 210-226, 264-266; Ellenius 1960, S. 74f., 83f.;
Mander / Miedema 1973, Bd. 2, S. 309f., 459-511; Blan-
kert 1981/82, S. 26; Junius / Aldrich / Fehl 1991, S. LIVf.;
Czeci-i 2002, S. 222-225, 269.
166 Junius 1637, S. 8.
167 Junius / Aldrich / Fehl 1991, S. 22.
168 Zu Junius’ >Phantasie<-Konzept vgl. Ellenius 1960, S. 37, 86;
Raupp 1984, S. 140-153; Pochat 1986, S. 320; Junius / Aldrich
/ Fehl 1991, S. 382f., 387-391. Allgemein zur Entwicklung des
Konzepts der künstlerischen Phantasie in der Renaissance so¬
wie dessen antike Wurzeln vgl. jüngst Kanz 2002, S. 62—80.

169 Junius / Aldrich / Fehl 1991, S. 25. Vgl. Philostratos /
Mumprecht 1983, Buch VI, § 19, S. 649. An anderer Stelle
schreibt Junius in Anlehnung an Quintilian »Phantasie doth
so represent unto our mind the images of things absent, as if
we had them at hand, and saw them before our eyes.« Junius
/ Aldrich / Fehl 1991, S. 265.
170 Vgl. Mander / Miedema 1973, Bd. 2, S. 435f., Nr. II 14f, S.
436f., Nr. II 15b, S. 437-439, Nr. II 15h; Miedema 1981, S.
17f., 23-25, 126f., 140; Alpers 1985, S. 101f.; Melion 1991,
S. 66; Miedema 1993, S. 154f., 157f.; Schatborn 1993, bes. S.
156; Brusati 1995, S. 34, 36.
171 Auch van Hoogstraten betrachtet das Konzept des Malens
»uyt den gheest« als wesentliche Bedingung der Arbeit des
Historienmalers, vgl. z.B. Hoogstraten 1978, S. 46, 139,
176, 178, 237f. Vgl. hierzu Czech 2002, S. 233-237.
 
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