Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0329

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Einfluss des Bildtyps Tronie auf die Porträtmalerei

301

telligenz, Weisheit und politische Führungskraft her-
vor.204 Zwar bezieht sich das Gedicht nicht unbedingt
auf die Bildnisse Pickenoys. Dennoch gibt es, wie
Woodall zu Recht betont, einen historischen Inter-
pretationsrahmen vor, innerhalb dessen die Pendants
zu verstehen sind.205 Die persönlichen Fähigkeiten,
Tugenden und Verdienste, die dem Paar von de Vos
zugesprochen werden, sind Werte, die Adlige eben-
so für sich in Anspruch nahmen.206 Doch konnte der
>Adel der Persönlichkeit bzw. >des Geistes< bei den
Mitgliedern der bürgerlichen Elite an Stelle des >Adels
der Geburt treten und damit ihre Gleichrangigkeit
gegenüber der erblichen Aristokratie legitimieren.207
Unter Berufung auf das aristokratische Konzept der
Überlegenheit gegenüber anderen Volksschichten
konsolidierte das holländische Patriziat die eigene
Machtposition und begründete seinen Führungsan-
spruch innerhalb der Gesellschaft.208
Trotz der offensichtlichen Akzeptanz und so-
gar Inanspruchnahme aristokratischer Ideale durch
die bürgerliche Oberschicht fällt auf, dass sich die
Mehrzahl der in den dreißiger und vierziger Jahren
entstandenen Porträts bürgerlicher Auftraggeber
deutlich von höfischen Bildnissen unterscheidet. Ein
wichtiges Vergleichsmoment besteht hierbei in der
Kleidung der Dargestellten: So übernahm man in der
genannten Periode im bürgerlichen Porträt weder
die aktuelle höfische Mode noch die von van Dyck
geprägten Möglichkeiten pastoraler oder informeller
Kostümierung.209 Auch Cornelis de Graeff und Ca-
tharina Hooft tragen auf den Bildnissen Pickenoys
keine für höfische Staatsporträts typische, sondern
vielmehr reiche bürgerliche Kleidung.210 Darüber
hinaus fehlen Herrschaftssymbole des Adels bzw.
Accessoires, die wie z.B. Schwert, Helm oder Be-
204 Vos 1662, S. 194-196: »Den Ed. Heer / Kornelis de Graaf
/ Vryheer van Zuidtpolsbroek, Burger-meester, Raadt &c.
t’Amsterdam / Als Graaf begraaven is zal hy zieh dus ver-
toogen: / Maar ct brein dat hem Minerf, tot heil van Hollandt,
gaf, / Dat zal men door ‘t penseel van zyne Faam beoogen. /
De wysheidt laat zieh niet besluiten in het graf: / Dat tuigt zyn
vaaders roem in ‘t oor der vrye Steeden. / Niet wordt ‘er ouder
dan de deugdt der Overheeden.« »Mevrouw Katarina Hooft,
/ Gemaalin van den Heer van Zuidtpolsbroek, &c. / Wilt gy
Katryn, door verf, de Doodt verby doen streeven? / De Doodt
heeft aan de deugdt, die eeuwigh is, geen deel. / Een ander
leeft, o kunst: door kracht van uw penseel: / Maar Polsbroeks
gemaalin zal uw penseel doen leeven. / Zoo maakt haar man
het Y, door wys beleit, vermaart. Haar eedel’ inborst kan men
door geen verf vertoonen. / De deugdt wordt door geen kunst,
maar door zieh zelf bewaart. / Een braave Faam verduurt de
roem der lauwerkroonen.«

fehlshaberstab, zum Repertoire ganzfiguriger hö-
fischer Bildnisse gehörten.
Die Frage, ob die visuellen Differenzen der Por-
träts des Patriziats und des Adels eine grundsätzliche
Unvereinbarkeit aristokratischer und bürgerlicher
Wertvorstellungen widerspiegeln, wird von Woo-
dall verneint.211 Vielmehr glaubt die Autorin, dass
die Regenten, gerade weil sie wesentliche Aspekte
aristokratischer Ideologie wie das Prinzip einer
hierarchisch strukturierten Gesellschaft mit einer
kleinen Eliteschicht Regierender an der Spitze be-
fürworteten, Darstellungsmodi im Bildnis wählten,
die mit der Formensprache der höfischen Porträt-
malerei nicht oder zumindest in Teilen nicht iden-
tisch waren. Der eigene Anspruch auf Teilhabe an
der politischen Macht und Gleichrangigkeit gegen-
über der Aristokratie der Nördlichen Niederlande
bedingte Woodall zufolge ein Rivalitätsverhältnis,
das sich auch in der Porträtmalerei ausdrücke: Ins-
besondere die Übernahme der auf Bildnissen Ad-
liger dargestellten höfischen Mode bzw. höfischer
Formen der Kostümierung im Porträt hätte als An-
erkennung der machtpolitischen und kulturellen
Überlegenheit des Adels interpretiert werden kön-
nen und dementsprechend eine Unterordnung der
Regenten unter adlige Führung impliziert. Auch
in der jüngeren historischen Forschung wird das
Verhältnis zwischen den holländischen Statthaltern
und den Vertretern der adligen >ridderschap< auf der
einen und den Gruppierungen der städtischen Elite
auf der anderen Seite wiederholt als Konkurrenz-
und Machtkampf unterschiedlicher Interessen-
gruppen aufgefasst.212 Darüber hinaus ist nicht von
der Hand zu weisen, dass das holländische Patri-
ziat ein eigenes Standesbewusstsem besaß, das an
205 Woodall 1997, S. 86.
206 Vgl. Nierop 1993, S. 29-31.
207 Vgl. Woodall 1990, S. 36; dies. 1997, S. 79-82.
208 Kooijmans 1987, S. 98-100, interpretiert den Lebensstil des
holländischen Patriziats nicht als Zeichen für eine Anpassung
an die Aristokratie, sondern als Zeichen für dessen Vorrang-
stellung gegenüber niedrigeren Schichten des Bürgertums.
Vgl. auch Gabriels 1985, bes. S. 46-51; Lademacher 1993,
S. 201-215, bes. S. 208.
209 Vgl. oben, Kap. IV.2.2.2, S. 286-288.
210 Woodall 1997, S. 87.
211 Vgl. hierzu sowie zum Folgenden Woodall 1990, S. 43-50;
dies. 1997, S. 79, 82, 91-97.
212 Vgl. Price 1994, bes. S. 8-10, 113-116, 122-125, 134-148;
Price 1995, bes. S. 107-113; Nierop 1993, S. 203-207, 217-
219. Vgl. bereits Price 1974, bes. S. 20-29.
 
Annotationen