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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0330

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302

Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

bestimmte genuin bürgerliche Wertvorstellungen
geknüpft war.213
Die städtische Elite wählte zur Wahrung ihrer
Identität und als Ausdruck der Unabhängigkeit und
Ebenbürtigkeit eigenständige, vom höfischen Vor-
bild mehr oder weniger stark abweichende Mög-
lichkeiten der Repräsentation im Bildnis. Elierbei
konnten auch speziell bürgerlich definierte Ideale,
etwa hinsichtlich der Bedeutung der Kernfamilie für
das Funktionieren der Gesellschaft oder des durch
eigene Anstrengung erworbenen Wohlstands, inte-
griert werden, ohne dass dies im Widerspruch zur
gleichzeitigen Perpetuierung aristokratischer Werte
stünde.214 Erst in der statthalterlosen Zeit, also nach
1650, etablierten sich Formen höfischer Selbstdar-
stellung in zunehmendem Maße auch in der bürger-
lichen Porträtmalerei.215 Diese Entwicklung hängt
Woodall zufolge nicht zuletzt damit zusammen, dass
der erbliche Adel in dieser Zeit nicht mehr als ernst
zu nehmender Konkurrent wahrgenommen wurde,
durch den das Patriziat seine eigene Machtposition
gefährdet sehen musste.216
Die von Woodall anhand von bürgerlichen Por-
träts in zeitgenössischer Tracht entwickelten Thesen
wurden ausführlich referiert, weil sie besondere Re-
levanz für die Beurteilung der hier zu diskutierenden
Kostümporträts besitzen: Mit der Wahl des bereits
vor der statthalterlosen Zeit in den Nördlichen Nie-
derlanden verbreiteten Kostümporträts in Tronie-
Mamer entschieden sich bürgerliche Auftraggeber
für eine Möglichkeit der Selbstdarstellung, die eben-
so wenig wie andere Ausdrucksformen der bürger-
lichen Porträtmalerei als unmittelbare Übernahme
adliger Vorbilder misszuverstehen war. Vielmehr
hatten Troniemaler einen speziellen Typus des bür-
gerlichen Bildnisses entwickelt, der es den Darge-
stellten ermöglichte, sich einerseits gegenüber der
213 Vgl. Jong 1987; Kooijmans 1987; Price 2000, S. 176; Wiese-
man 2002, S. 98f. Das Bewusstsein sozialer Differenz zeigt
sich nicht zuletzt in der Tatsache, dass Ehen zwischen
Patriziern und Adligen kaum vorkamen, Kooijmans 1987,
S. 100f.; Nierop 1993, S. 217, 219; Price 1995, S. 105, lllf.
214 Vgl. Woodall 1997, S. 78f., 82-86. Zur zentralen Bedeutung
von Ehe und Familie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft
vgl. u.a. Smiti-i 1982, bes. S. 1-12; Jong 1987, S. 83-109; Gie-
sen 1997, S. 100f.; Price 2000, S. 148-150; Laarmann 2002,
S. 52f. Zur Bedeutung ihres Wohlstands für das Selbstver-
ständnis holländischer Regenten und Patrizier vgl. u.a. Jong
1987, bes. S. 73-78; Kooijmans 1987, S. 97f., 100.
215 Vgl. oben, Kap. IV.2.2.2.
216 Vgl. Price 2000, S. 167f.

konkurrierenden adligen Elite Hollands abzugren-
zen, jedoch andererseits die eigene Person durch die
Identifikation mit aristokratischen Werten und Herr-
schaftskonzepten zu nobilitieren. Neben Motiven,
die eindeutig auf die Darstellungskonventionen hö-
fischer Bildnisse oder auf adlige Privilegien verwei-
sen, werden der beanspruchte hohe Rang und elitäre
gesellschaftliche Status der Auftraggeber durch die
ausgesprochen reiche Aufmachung der Bildnisse
evident. Man konnte sich in fiktiver Weise als Fürst
oder Fürstin, Prinz oder Prinzessin, Befehlshaber
oder Ähnliches darstellen lassen.
Da öffentliche Ämter in Verwaltung und Regie-
rung vornehmlich von Männern wahrgenommen
wurden,217 war es besonders für männliche Auftrag-
geber von Bedeutung, sich in einer Weise darstellen
zu lassen, die Ebenbürtigkeit und nicht Unterord-
nung gegenüber dem Adel ausdrückte. Bezeichnend
ist vor diesem Hintergrund, dass sich die Phantasie-
tracht auf männlichen Kostümporträts bürgerlicher
Auftraggeber noch wesentlich deutlicher von den
Darstellungskonventionen der höfischen Porträtma-
lerei unterscheidet als bei weiblichen Bildnissen. Es
ist zu vermuten, dass dies mit der stärkeren Rivali-
tät männlicher Regenten gegenüber der Aristokratie
und dem daraus resultierenden Bedürfnis nach Ab-
grenzung und Selbstbehauptung zusammenhängt.
Indem die Regenten im Kostümporträt die fiktive
Identität einer Person von Adel annahmen, verliehen
sie nicht zuletzt der Vorstellung Ausdruck, dass sie,
wenn auch in der Realität keinen >Adel des Blutesq
so doch >geistigen Adel< besaßen. Im 17. Jahrhun-
dert war die Vorstellung, dass neben dem Adel der
Geburt auch eine Form des geistigen, inneren Adels
der Persönlichkeit bestehe, weit verbreitet.218 Zur
Gruppe der Personen, die die letztgenannte Form
des Adels für sich in Anspruch nahmen, gehörten
217 Zur Stellung der Frau in den Niederlanden in Spätmittelalter
und Früher Neuzeit vgl. zusammenfassend Dekker 1998.
218 Vgl. Woodall 1990, S. 34-36; Nierop 1993, S. 30; Woo-
dall 1997, S. 78; dies. 2003, S. 10. Der Haarlemer Huma-
nist Hadrianus Junius (1511-1573) unterscheidet in seiner
1588 erschienenen Batavia, drei Arten des Adels: den Adel
der Geburt, den Adel der Tugend und den Adel der Kunst.
Junius 1588, S. 320: »Nam quum in uniuersum una sit no-
bilitas generis, quatenus videhcet ad posteritatem decurnt,
in treis tarnen species lila ceu ramos diffunditur, ut naturae
una detur, virtuti altera, tertia arti debeatur: duarum poste-
riorum gloria fama fundamentum est, incitamentum, &
quasi classicum quoddam all labores suscipiendos & sub-
eunda pericula.«
 
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