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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0332

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304

Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

Eduard van Voorst (1638-1694) (unbekannter Besitz)
[Kat. 5, Abb. 64] aus dem Jahr 1673 zeigt dagegen
Ähnlichkeit mit Ferdinand Bois über zwanzig Jah-
re früher entstandenem Selbstbildnis mit Schriftrolle
(Springfield/Mass., Museum of Fine Arts) [Kat. 56,
Abb. 63].224 Möglicherweise identifizierten sich Auf-
traggeber von Kostümporträts, die sich an Künstler-
bildnissen in Phantasietracht orientieren, ebenso mit
dem Konzept des Virtuosentums, wie dies für die
Maler der betreffenden Vorbilder gilt.
Rembrandt tritt in seinem programmatischen
Selbstbildnis (London, National Gallery) [Kat. 433,
Taf. 92] von 1640 als virtuoso auf.225 Selbstbildnis-
se von Schülern und Nachfolgern, die Rembrandts
Bilderfindung übernehmen, teilen sicher diesen An-
spruch. Eine konzeptionelle Übereinstimmung, die
hier für phantasievoll gekleidete Künstlerbildnis-
se und Kostümporträts bürgerlicher Auftraggeber
angenommen wird, wurde von Raupp für die in
van Dycks Iconographie enthaltenen Bildnisse von
Künstlern und Kunstliebhabern festgestellt.226 Beide
Gruppen werden in der Porträtserie zu einer homo-
genen Einheit auf gleiche Weise dargestellter virtuosi
zusammengefasst. Es ist anzunehmen, dass Kostüm-
porträts in einer als >antiek< charakterisierten Tracht
Ausdruck derselben Ambition sind.
Nach 1670 kommen einfigurige Kostümporträts
in Tronie-Manier kaum noch vor. Dies liegt sicher
nicht zuletzt daran, dass sie von der eleganten, höfisch
inspirierten Porträtmalerei verdrängt wurden, der sich
Künstler wie Nicolaes Maes [Kat. 332, Kat. 333, Taf.
70], Caspar Netscher, Adriaen van der Werff und an-
dere widmeten. Entschieden sich Auftraggeber für die
Darstellung in fiktivem oder wenigstens nicht der of-
fiziellen niederländischen Kleidung entsprechendem
Kostüm, so griffen sie in der zweiten Jahrhunderthälfte
zunehmend auf neuere modische Repräsentations-
formen zurück.227 Kostümporträts in Tronie-Manier
gerieten ebenso aus der Mode wie Tronien selbst. Zu-
dem lassen sich die unterschiedlichen Möglichkeiten
224 Vgl. auch Bois Mann in pelzverbrämtem Samtmantel mit
Barett in München (Alte Pinakothek) [Kat. 50, Taf. 9] mit
Rembrandts Selbstbildnis in London (National Gallery)
[Kat. 433, Taf. 92].
225 Vgl. Jongh 1969; Raupp 1984, S. 175, 178; Dickey 1994, S.
114, 127.
226 Raupp 1984, bes. S. 71.
227 Vgl. u.a. Marly 1975; Slive 1995, S. 258-261; Krempel 2000,
S. 92, 96, 107; Wieseman 2002, bes. S. 99-108.

phantasievoller Einkleidung im Porträt in der zwei-
ten Jahrhunderthälfte nicht immer exakt voneinander
trennen.228 Wie so oft in der niederländischen Malerei
sind auch hier die Grenzen nicht statisch und muss
mit fließenden Übergängen gerechnet werden.229
2.2.5 Fazit
Die weite Verbreitung von Tronien auf dem hol-
ländischen Kunstmarkt und die Wertschätzung der
spezifischen Eigenschaften und künstlerischen Qua-
litäten der Werke führten dazu, dass bürgerliche Auf-
traggeber ein Interesse an Bildnissen entwickelten,
die in vergleichbarer Weise gestaltet wurden. Es ent-
stand das Kostümporträt in Tronie-Manier als neue
Form des bürgerlichen Porträts. Die Wahl dieses
Porträttyps bot einem Auftraggeber die Möglichkeit,
die eigene Person in mehrfacher Hinsicht aufzu-
werten. Er erhielt nicht nur ein Porträt, das aufgrund
seiner phantasievollen bzw. historisierenden Kostü-
mierung als zeitlos gelten konnte, sondern auch das
Werk eines Tronie- und Historienmalers. Als solches
war es für den Betrachter unmittelbar erkennbar. Ein
Kostümporträt dokumentierte einerseits den Phan-
tasiereichtum eines Meisters, konnte aber anderer-
seits auch dessen spezifische Malweise und virtuosen
Umgang mit den künstlerischen Mitteln vor Augen
führen. Somit wurde es - ähnlich wie eine Tronie -
zu einem charakteristischen Beispiel der Kunst eines
Malers und damit für seinen Besitzer besonders at-
traktiv. Des Weiteren erlaubte die Nobilitierung der
bürgerlichen Elite im Kostümporträt die Betonung
der eigenen Identität auf der einen sowie der Eben-
bürtigkeit gegenüber dem erblichen Adel auf der
anderen Seite, indem sich die Bildnisse einerseits an
Tronien orientierten und sich damit einer nicht mit
der höfischen Porträtmalerei übereinstimmenden
Formensprache bedienten, andererseits jedoch mit
aristokratischen Idealen assoziiert werden konnten.
228 Vgl. z. B. Bois Porträt der Petronella Elias (1648—1667) mit
Früchtekorb (New York, Metropolitan Museum of Art)
[Kat. 61, Taf. 11], deren Kleid von den Ärmeln abgesehen
eher an höfisches >undress< als an die Kostümierung von Tro-
nien erinnert. Vgl. z.B. Judson / Ekkart 1999, Kat. Nr. 322,
324, PI. 211, 209.
229 Groeneweg 1985, S. 431f., Anm. 14, weist darauf hin, dass
die von van Dyck für Bildnisse eingeführten Kostüme ab
1640 Einfluss auf holländischeyortrazts histori.es insbesonde-
re weiblicher Auftraggeberinnen ausübten.
 
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