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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0340

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312

Bedeutung, Funktion und Wertschätzung von Tronien

gebracht werden,17 was jedoch nicht bedeutet, dass
sie auf eine bestimmte Identität festgelegt waren.18
Bezüglich der Betenden alten Frau Rembrandts [Kat.
393, Taf. I] verweisen die Autoren des RRP auf die
Möglichkeit »that the picture does not relate to any
specific biblical figure, but rather to old age and in
particular to pious old age.«19 20 Gleiches gilt auch für
Bloemaerts Brustbild einer Betenden alten Frau im
Profil [Kat. 37], die hinsichtlich des Figurentyps eher
an eine alte Bäuerin denken lässt als an eine Gestalt
der Bibel.23 Der Alte Mann mit über der Brust ver-
schränkten Armen schließlich erinnert aufgrund seiner
demütigen Haltung, des wenig spezifischen braunen
Mantels und bloßen Hauptes am ehesten an Apostel-
darstellungen.21 Mit Bezug auf Cesare Ripas Personi-
fikation der Conversione, welche die Hände vor der
Brust gekreuzt hält, wird er im Rembrandt-Corpus
als Beispiel für aufrichtige Reue und Buße gedeutet.22
Die angeführten Figuren verbindet ihre Hinwen-
dung zu Gott im Gebet. Durch diese veranschauli-
chen sie die nach zeitgenössischem Verständnis für
den alten Menschen charakteristischen Eigenschaften
von Frömmigkeit und Demut.2' Somit fungieren sie
als exempla tugendhaften und gottgefälligen Verhal-
tens. In vergleichbar positiver Weise konnten auch
Tronien nachsinnender, meditierender und lesender

Greise und Greisinnen interpretiert werden [Kat.
91, Taf. 16, Kat. 294, Taf. 62, Kat. 395, Taf. V, Kat.
448, Taf. 95, Kat. 529, Taf. 109].24 Dem Figurentyp
nach ähneln sie lesenden oder meditierenden Ere-
miten, Aposteln, Evangelisten, Kirchenvätern, Pro-
phetinnen etc. [vgl. Kat. 481, Taf. 101].25 Tronien ein-
geschlafener alter Frauen und Männer, wie sie z.B.
im CEuvre Abraham van Dijcks häufig vorkommen
[Kat. 86],26 dürften hingegen als Sinnbild der Träg-
heit, aber möglicherweise auch als Verweis auf den
nahen Tod verstanden worden sein.27 Die Deutung
als Verkörperung des Lasters der Faulheit ergibt sich
nicht zuletzt aus der Darstellungstradition der sie-
ben Todsünden, die in der niederländischen Druck-
graphik des 16. und frühen 17. Jahrhunderts meist zu
Serien zusammengefasst wurden: Acedia erscheint in
diesen Serien häufig als eingeschlafene Figur.28
Nicht nur Tronien, die lesende, nachdenkende,
betende oder schlafende Figuren zeigen, können im
Sinne erbauender oder belehrender exempla inter-
pretiert werden. Dies gilt auch für andere Tronien,
die ein bestimmtes Verhalten zur Schau tragen. Es
wurde bereits darauf hingewiesen, dass lachende
oder Fratzen schneidende Bauerntronien in sati-
rischer Absicht lasterhafte Eigenschaften wie Torheit
und Triebhaftigkeit verkörperten.29

17 Vgl. RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr. A27, S. 274; Tümpel
1986, Kat. Nr. 75, S. 398; L. Krempel in Raupp 1996a, Kat.
Nr. 6, S. 39. Vgl. auch RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr.
A37, S. 355f.
18 Vgl. P. J. J. van Thiel in Kat. Berlin / Amsterdam / Lon-
don 1991/92a, Kat. Nr. 6, S. 140; sowie oben, Kap. IV.1.2,
S. 256.
19 RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr. A27, S. 274. Vgl. auch
Franits 1993, S. 175.
20 Vgl. Roethlisberger 1993, Bd. 1, Kat. Nr. 486, S. 313.
21 Vgl. RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr. C20, S. 570, sowie
jüngst Chr. Vogelaar in Kat. Leiden 2005/06, Kat. Nr. 54,
S. 256.
22 RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr. C20, S. 570. Vgl. Ripa/
Pers 1944, S. 34f. Auch Ripas Personifikation >Humi-
lita I< hält die Arme vor der Brust gekreuzt: Ripa 1603,
S. 214f.; Ripa / Pers 1944, S. 390. Junius gibt in seinem
Traktat De Pictura Veterum an, dass »The head being
cast downe, signifieth humblenesse«, Junius / Aldrich /
Fehl 1991, S. 258. Diese Auffassung findet sich auch bei
Hoogstraten 1678, S. 117.
23 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Rem¬
brandt in das Album Amicorum von Burchard Grossmann
die Tronie eines alten Mannes in Phantasietracht (Ben. 257,
Feder mit Lavierung, 8,9 x 7,1 cm, Den Haag Koninklijke
Bibliothek) zeichnete und sie mit einer Inschrift versah,
die auf die Frömmigkeit des Dargestellten verweist: »Een

vroom gemoet / Acht eer voor goet / Rembrandt / Ams-
terdam 1634«, Strauss / Meulen 1979, Dok. 1634/6, S. 111
m. Abb. Vgl. auch RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A74, S.
353.
24 Vgl. Tümpel 1986, S. 299.
25 Vgl. auch Kat. Braunschweig 1993/94, Kat. Nr. 31, S.
146f., Kat. Nr. 36, S. 136f., Kat. Nr. 39, S. 164f.; Kat.
Frankfurt 1993/94, Kat. Nr. 5, S. 136-139, Kat. Nr. 16,
17, S. 164-167, Kat. Nr. 69, S. 276-279.
26 Für weitere Beispiele van Dijcks vgl. Sumowski 1983-
1994, Bd. 1, Kat. Nr. 376, Bd. 6, Kat. Nr. 2262.
27 Vgl. Kat. Amsterdam 1976b, Kat. Nr. 32, S. 142-147;
Franits 1993/94, S. 83f.; ders. in Kat. Braunschweig
1993/94, Kat. Nr. 44, S. 174; V. Manuth in Kat. Braun-
schweig 1993/94, Kat. Nr. 41, S. 168; Lütke Notarp
1998, S. 211-216, 227-229.
28 Allgemein zur Darstellung der Laster seit dem Mittelalter
vgl. u.a. Renger 1970, S. 71-95; Bruyn 1987b, bes. S. 42;
Blöcker 1993. Zur Darstellungstradition der Acedia vgl.
Blöcker 1993, bes. S. 86-96; Lütke Notarp 1998, S. 211—
217. Vgl. auch die Tronie eines Jungen Mannes, der über
einem Buch eingeschlafen ist (New Jersey, Privatbesitz,
Sumowski 1983-1994, Bd. 6, Kat. Nr. 2258). Sumowskis
Zuschreibung des Bildes an Willem Drost wird von Bikker
2005, Kat. Nr. R20, S. 151f., zurückgewiesen.
29 Vgl. oben, Kap. III.4.2, S. 228. Vgl. außerdem oben, Kap.
II.1.7, S. 74f.
 
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