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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0342

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Bedeutung, Funktion und Wertschätzung von Tronien

verstanden wurden, entsprechende Assoziationen her-
vorriefen. Die Dargestellten konnten als exemplarische
Vertreter tugendhaften Verhaltens sowie Träger positiver
Charakterzüge und Fälligkeiten interpretiert werden
oder auch als negative Beispiele Fingieren. Welche Eigen-
schaften einer Tro nie zugesprochen wurden, richtete sich
natürlich nach dem jeweils dargestellten Figurentyp und
der von diesem verkörperten, wenn auch nicht auf eine
konkrete Identität hin festgelegten Rolle.
Figuren wie Rembrandts Orientale in New York
(Metropolitan Museum of Art) [Kat. 405, Taf. 86]
oder Ferdinand Bois Stehender Orientale mit Prunk-
schwert in Milwaukee (Art Museum) [Kat. 42, Taf.
7] entsprechen ihrem Aussehen nach dem Typus des
>biblischen Herrschers* oder des »orientalischen Po-
tentaten der Vergangenheit*. Sie veranschaulichten
Eigenschaften wie Autorität, Würde und Macht, die
eine Herrscherpersönlichkeit nach zeitgenössischer
Vorstellung auszeichneten. Darüber hinaus konnte
der Betrachter Tronien, die den Typus des fürstlichen
Machthabers vorstellen, als Träger von Tugenden wie
Tapferkeit, Klugheit, Gerechtigkeit, Großmut und
Charakterstärke begreifen. Diese Aspekte gehörten
zum Tugendspektrum, das dem im 16. und 17. Jahr-
hundert gängigen, humanistisch geprägten Herrscher-
ideal zugrunde lag.38 Letzteres manifestiert sich z.B.
in Herrscherbildnissen mit allegorischer Rahmung,
die in der Druckgraphik verbreitet waren, sowie in
Fürstenspiegeln des Barockzeitalters.39

Bei greisen Tronien, die als >biblische Gelehrte*,
>antike Philosophen*, >Prophetinnen< und dergleichen
interpretiert werden können [Kat. 486, Taf. 103, Kat.
448, Taf. 95], stehen dagegen, wie bereits erörtert, Qua-
litäten wie Gelehrsamkeit, Weisheit, Frömmigkeit,
eine kontemplative Lebenshaltung, damit verbunden
auch Mäßigung und Enthaltsamkeit, sowie Würde,
geistige Reife und Lebenserfahrung im Vordergrund.
Waren porträthaft wirkende Tronien durch Rüs-
tungsteile und Waffen in Kombination mit Juwelen-
schmuck, Goldkette oder einem kostbar verzierten
Helm als ranghohe Feldherrn oder fürstliche Befehls-
haber vergangener Zeiten gekennzeichnet,40 konnten
sie auf (Adels-)Tugenden wie Stärke, Mut, Tapferkeit,
Entschlossenheit, Disziplin, Treue sowie auf die da-
raus resultierende Ehre der Dargestellten verweisen.41
Als Beispiele können etwa Tronien wie Rembrandts
Halbfigur eines alten Mannes mit Federbarett und
Halsberge in Chicago (Art Institute) [Kat. 402, Taf.
IX, 85] oder Bois Alter Mann mit federgeschmück-
tem Helm in Warschau (Muzeum Narodowe) [Kat.
59, Taf. 11] genannt werden, aber auch Tronien jun-
ger Männer wie z.B. Paulus Lesires Jüngling mit Fe-
derbarett und Halsberge in Hannover (Niedersäch-
sisches Landesmuseum) [Kat. 268, Taf. 56].42 Letzterer
ist durch seine lange Haarlocke, die im ersten Drittel
des Jahrhunderts von französischen, englischen, deut-
schen, aber auch niederländischen Adligen getragene
>Liebeslocke*,43 als Edelmann charakterisiert.

38 Baldesar Castiglione (1469-1529) zählt in seinem II libro del
cortegiano (Venedig 1528) unter anderem >la magnificenzia*, >la
fortezza<, >la prudenzia*, >la giustizia<, >la liberalitä*, >la magna-
nimitä< und >la temperanzia< zum Tugendspektrum, durch das
sich ein Fürst bzw. Herrscher auszeichnen solle, Loos 1955, S.
98f. Allgemein zu den von Castiglione geforderten Tugenden
des Höflings bzw. Fürsten vgl. ebd., S. 96-119, 176-181. Vgl.
auch Castiglione / Barberis 1998, S. 358f., 364—366.
39 Hagenow 1999, S. 73-102, bes. S. 73f. Allgemein zur
Gattung des Fürstenspiegels der Frühen Neuzeit vgl. u.a.
Singer, Bruno: Art. >Fürstenspiegel< in TRE 1976ff., Bd.
11 (1982), S. 707-711; Müller 1985; Peil 1986. Laut Sin-
ger 1981, S. 15f., ist der >Fürstenspiegel< zu definieren als
»Schrift, worin das Musterbild eines Fürsten aufgestellt
wird, indem entweder berühmte Fürsten biographisch
nach Denk-, Regierungs- und Handlungsweise geschildert
oder geschichtliche Persönlichkeiten in freierer dichte-
rischer Weise idealisiert oder endlich Grundsätze, Normen
und Regeln für das Verhalten eines Fürsten gegeben, be-
sprochen und mit geschichtlichen Beispielen belegt wer-
den.« Zu den Tugenden, die in den Fürstenspiegeln vom
Herrscher gefordert werden, vgl. u.a. Singer 1981, S.
181-193; Müller 1985, S. 576f., 587, 590ff.; Peil 1986, S.
73; Mühleisen 1990, S. 148-188, 190, 194.

40 Vgl. oben, Kap. IV.l.1, S. 249-250.
41 Zu den Adelstugenden des 17. Jahrhunderts vgl. Wijsen-
beek-Olthuis 1998, S. 55, 57. Der Erwerb von Ehre (>ono-
re<) wurde bereits von Castiglione für den im Waffendienst
stehenden Höfling als besonders erstrebenswert erachtet,
Loos 1955, S. 94f., 180. Zu den antiken Wurzeln der aristo-
kratischen Tugendlehre vgl. Burke 1996, S. 19-24; Kinne-
ging 1997, bes. S. 139-167.
42 Eine durch Gold- und Juwelenschmuck als besonders reich
charakterisierte Tracht - wie sie die genannten Tronien tra-
gen - wird bei Ripa / Pers 1644, S. 526, als Zeichen für die
Verdienste (>Merito<, Verdienst*) einer Person gedeutet.
43 Vgl. Groeneweg 1997/98, S. 207; Winkel 1999/2000, S. 62;
Sluijter 2001, S. 190f.; Winkel 2005, 48f. In den Nieder-
landen wurde die >Liebeslocke< oder >cadenette< vor allem
am Hof von Prinz Maurits und des Winterkönigs von hoch-
rangigen Adligen getragen. Auch Rembrandt zeigt sich auf
mehreren Selbstdarstellungen der ersten Hälfte der dreißiger
Jahre mit dieser höfischen Haartracht, vgl. Kat. London /
Den Haag 1999/2000, Kat. Nr. 14a, 14b, S. 112-117, bes.
S. 117; Hollstein’s Dutch and Flemish Etchings 1949ff.,
Bd. 18/19 (1969), Kat. Nr. B. 2, 7, 8, 20, 24, 338.
 
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