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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0367

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Tronien als Demonstrationsstücke künstlerischer Kreativität

339


Abb. 66a Frans Floris, Detail aus Der heilige Lukas
malt die Madonna, 1556, Antwerpen, Koninklijk Mu-
seum voor Schone Künsten [Kat. 158]

legt Bakker dar, dass der Begriff >schilderachtig< dem
älteren, von den Klassizisten abgelehnten Konzept
nach soviel wie »>richly varied, colorful and diverse<,
but also >remarkable, peculiar, distinctive and un-
usual<«24 bedeutete, wobei auch das Hässliche mit
eingeschlossen wurde. Demnach steht van Manders
Bezeichnung des eigenwilligen, faltigen Gesichts von
Rijckaert Aertsz. als >schilderachtig< mit dem tradi-
tionellen Verständnis des Wortes im Einklang. Das
Beispiel ist für uns deshalb besonders interessant,
weil es die Verwendung des Begriffs zur Charakteri-
sierung eines Gesichts dokumentiert.
Da zu den Eigenschaften von Tronien häufig ein
großer Teil jener Aspekte zählt, die das ältere Kon-
zept des >schilderachtigen< einschließt, ist anzuneh-
men, dass sie von den Zeitgenossen mit eben diesem
in Verbindung gebracht wurden. Vor allem Brustbil-

der und Halbfiguren von Greisen und Greisinnen
sowie von besonders >charaktervoll< wirkenden oder
gar hässlichen Modellen sind in dieser Hinsicht zu
nennen. Gestützt wird die Vermutung durch eine auf
das Werk Rembrandts bezogene Passage in Joachim
von Sandrarts Teutscher Academie der edlen Bau-,
Bild- und Mahlerey-Künste (Nürnberg 1675):
»In Ausbildung alter Leute und derselben Haut und Haar zeigte
er [Rembrandt] einen großen Fleiß, Gedult und Erfahrenheit, so
daß sie dem einfältigen Leben ganz nahe kamen. Er hat aber we-
nig antiche Poetische Gedichte, alludien oder seltsame Historien,
sondern meistens einfältige und nicht in sonderbares Nachsin-
nen lauffende, ihme wohlgefällige und schilderachtige (wie sie die
Niederländer nennen) Sachen gemahlet, die doch voller aus der
Natur heraus gesuchter Artigkeiten waren.«25
Zu den als >schilderachtig< bezeichneten Sujets, die
Rembrandt malte, zählt Sandrart offensichtlich auch
die von ihm zuvor erwähnten, lebensnah darge-
stellten >alten Leute<. Da es sich bei vielen der von
Rembrandt geschaffenen Greise und Greisinnen um
Tronien handelt, ist Sandrarts Bericht als Beleg da-
für zu werten, dass die Niederländer die Werke als
>schilderachtige< Bilder beurteilten.26 Zwar veröffent-
lichte der deutsche Maler seine Academie erst 1675,
in Amsterdam hatte er sich jedoch bereits Ende der
dreißiger und in der ersten Hälfte der vierziger Jah-
re aufgehalten, also zu einer Zeit, als sich klassizisti-
sche Konzepte dessen, was als >schilderachtig< gelten
durfte, in den Nördlichen Niederlanden noch nicht
durchgesetzt hatten. Darüber hinaus konnten die
neuen, nach der Jahrhundertmitte aufkommenden
Ideale - wie schon das Beispiel van Hoogstratens
zeigte - das ältere Verständnis davon, welche Dinge
darstellenswert seien, nicht völlig verdrängen.27
Dass Gemälde von Greisenköpfen von Kunst-
theoretikern auch im späteren 17. Jahrhundert
durchaus noch geschätzt wurden, belegt eine Passa-
ge in Willem van Goerees Inleyding tot de Praktyk
der algemeene Schilderkonst (1. Aufl. Middelburgh
1670). Van Goeree stützt sich auf eine Anekdote bei
Plinius,28 fügt dem geschilderten Vorfall jedoch seine

24 Bakker 1995, S. 162. Vgl. auch ebd., S. 157.
25 Sandrart / Peltzer 1925, S. 203. Vgl. auch eine Stelle in
Adriaen van der Werffs Biographie (um 1719/20), wo es
über Rembrandt heißt, dass er »de schilderagtige tronien op
de Joode Breetstraet (zijn woonplaats) wel wist tot zijn voor-
deel te verkiesen.« Zit. nach Gaehtgens 1987, S. 438. Vgl.
auch Veen 1997/98, S. 73.
26 Vgl. Tümpel 1986, S. 299.
27 Vgl. Emmens 1968, S. 129.

28 Plinius / König et al. 1973-1997, Buch 35 (1978), Kap. VIII,
§ 25, S. 29: »Auf dem Forum befand sich auch jenes Bild eines
alten Hirten mit einem Stab, von dem ein Gesandter der Teu-
tonen, befragt, wie hoch er ihn schätze, aussagte, er wolle einen
solchen Menschen nicht einmal lebend als Geschenk erhalten.
Ein besonderes Ansehen aber verschaffte den Gemälden in der
Öffentlichkeit der Diktator Caesar [...].« Vgl. Emmens 1968,
S. 129f., der auf die Verwendung der Plinius-Anekdote bei
Erasmus und Constantijn Huygens verweist.
 
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