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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0368

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340

Bedeutung, Funktion und Wertschätzung von Tronien

eigene Bewertung hinzu: »Even zoo wierd zeker an-
zienlyk Duytzer (die te Roomen een deftige Schilde-
rye van oude tronie zag) gevraegd, wat hy zoodanig
Stuk wel zoude weerderen? Waer op hy uyt goeder
meeninge antwoorde, al was die vent levendig, zoo
wilde ik hem te geefs niet hebben. Zzg inbeeldende dat
een oude gerimpelde tronie, geen konstige Schilderye
kon wezen.«2<) Offensichtlich konnte ein altes, runz-
liges Gesicht van Goerees Ansicht nach sehr wohl
Gegenstand eines kunstvollen Gemäldes sein. Dabei
verzichtet der Autor auf die Angabe einer Identität
oder Rolle des Dargestellten,29 30 im Vordergrund des
Interesses steht offenkundig die genaue Nachbildung
des alten Antlitzes. Ähnlich verhält es sich auch bei
Sandrart, dem zufolge Rembrandt vornehmlich »ein-
fältige« Dinge gemalt habe, die keine große Denk-
oder Deutungsanstrengung des Betrachters erfor-
derten (»nicht in sonderbares Nachsinnen lauffende
[...] Sachen«). Folgt man Sandrart, war es nicht die
>Bedeutung< der Bilder, auf die es Rembrandt (und
seinen Zeitgenossen) ankam, sondern ihre >schilder-
achtige< Qualität.
Selbst wenn sich die Kunsttheorie mit dem Kon-
zept des >schilderachtigen< erst seit den 1670er Jahren
explizit auseinandersetzte,31 stand dem Betrachter
des 17. Jahrhunderts mit dem Terminus doch bereits
seit van Mander ein ästhetischer Begriff und damit
ein Qualitätsmaßstab für die Beurteilung von Tro-
nien zur Verfügung. Eine >schilderachtige< Tronie
zeigte nicht nur ein besonders naturgetreu und un-
geschönt dargestelltes Gesicht. Inbegriffen war auch
eine Reihe weiterer, für Tronien typischer Aspekte.
So wurden die fremdländischen, phantastischen, orien-
talisierenden oder historisierenden Kostüme der
Figuren zweifellos als >schilderachtig< und damit als
besonders darstellungswürdig angesehen. Aber auch
die ungewöhnlichen oder überraschenden Lichtef-
fekte sowie die koloristischen Finessen der Werke
zählten zu ihren >schilderachtigen< Qualitäten. So-
wohl eine Bauerntronie mit einem hässlich defor-
mierten Gesicht [Kat. 364, Taf. XVI, 78] als auch eine
29 Goeree o.J. [ca. 1680], S. 90 (Hervorhebung von der Verf.).
30 Im Gegensatz dazu handelt es sich in der Plinius-Anekdote
um das Bild eines alten Hirten, vgl. S. 339, Anm. 28.
31 Vries 1991, S. 224; Bakker 1995, S. 156.
32 Zum Rückgang der holländischen Tronieproduktion nach
1660 vgl. oben, Kap. III.3.1, S. 203, Kap. III.5.2.
33 Allgemein zur Bewertung des sichtbaren Pinselstrichs im 16.
und 17. Jahrhundert vgl. Günther 1999.
34 Zur zeitgenössischen Wertschätzung der rauen Manier vgl.

Orientalentronie in reicher Tracht [Kat. 417, Taf.
XVII, 88] konnte von den Zeitgenossen als beson-
ders kunstvoll bzw. >schilderachtig< wertgeschätzt
werden. Dies gilt jedenfalls für die ersten zwei Drittel
des 17. Jahrhunderts. Danach hatte sich die Auffas-
sung davon, welche Gegenstände als darstellenswert
bzw. >schilderachtig< anzusehen seien, entscheidend
verändert. Interessant ist in diesem Zusammenhang
die Beobachtung, dass sich der weiter oben festge-
stellte Niedergang der Tronieproduktion nach 1660
offensichtlich parallel zum Bedeutungswandel des
Wortes >schilderachtig< vollzog.32
Als letzter Aspekt, der nicht nur die Erscheinungs-
weise von Tronien in hohem Maße prägt, sondern
auch für ihre Wertschätzung durch die Rezipienten
eine wichtige Rolle spielte, ist die vom jeweiligen
Künstler abhängige Art der Farbbehandlung bzw.
Pinselführung zu nennen. Dabei geht es nicht um
die bereits erwähnte Kontrastierung unterschied-
licher Oberflächenstrukturen von Textilien, Metal-
len und anderen Materialien, sondern vielmehr um
die Sichtbarmachung des Pinselstrichs und damit der
individuellen Handschrift eines Meisters. Wie mehr-
fach hervorgehoben, zeichnet sich ein großer Teil
der erhaltenen Tronien durch eine lockere, variable
oder sogar ausgesprochen raue Malweise aus, deren
wesentliches Kennzeichen es ist, dass sie den Pinsel-
duktus und damit den Arbeitsprozess des Künstlers
zu erkennen gibt [Kat. 20, Taf. XII, 4, Kat. 143, Taf.
X, 30, Kat. 203, Taf. VI, 42, Kat. 279, Taf. II, 59, Kat.
392, Taf. V, 83]. Die Bilder können gleichsam als Pro-
ben der spezifischen Manier ihrer Schöpfer betrach-
tet werden.33 Dies gilt letztlich auch für feinmalerisch
ausgeführte Tronien, da die Reduktion des ikonogra-
phischen Bedeutungsgehalts die ausführungstech-
nischen Aspekte eines Werkes in den Vordergrund
treten lässt. Gerade die raue und die feine Manier
wurden im 17. Jahrhundert als besonders schwierig
eingestuft und als Zeichen für künstlerische Meister-
schaft und Virtuosität gewertet.34
u.a. Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 259f. (fol. 48r-48v),
Str. 23-26; sowie Raupp 1984, S. 171; Wetering 1991/92,
S. 16-22; Raupp 1993/94, S. 93; Wetering 1997, S. 154-190;
ders. 1999/2000, S. 32-36; Schnackenburg 2001/02, S. 94-96;
Atkins 2003, bes. S. 282-292. Zur Wertschätzung der feinen
Manier vgl. u.a. Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 259 (fol.
48r), Str. 21, 22; Orlers 1641, S. 380; Angel 1642, S. 56; so-
wie Emmens 1968, S. 77, 91, 94, 103; Sluijter 1988b, S. 15-19,
24-28; Sluijter 1993, S. 63-65; Baer 2000/01, S. 30-32.
 
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