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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0381

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Zusammenfassung

353

Obwohl der Begriff >Tronie< in der aktuellen For-
schungsliteratur ausgesprochen häufig gebraucht
wird, fehlte bislang eine systematische Gesamtun-
tersuchung des Phänomens. Dementsprechend um-
fassend waren Anliegen und Konzeption der vorlie-
genden Arbeit: Der in der niederländischen Malerei
des 17. Jahrhunderts in Erscheinung tretende Bildtyp
der Tronie wurde in seiner gesamten Breite und vor
dem Hintergrund der Frage nach seinem Verhältnis
zur zeitgenössischen Porträtmalerei untersucht. Da-
mit wurde das Ziel verfolgt, eine sichere Grundlage
für weitere Forschungen zu Tronien zu schaffen.
Neben der Diskussion bisher nicht behandelter oder
nicht einmal erkannter Fragestellungen konnten offene
Fragen beantwortet und Fehleinschätzungen korri-
giert werden. Die wesentlichen Ergebnisse der Stu-
die sollen im Folgenden nochmals in knapper Form
zusammengefasst werden. Vorangestellt sei zunächst
die Definition des Bildtyps Tronie. Diesbezügliche
Ansätze stützten sich bislang vornehmlich auf das
Werk Rembrandts und seiner Schule und klammerten
zudetn die Frage nach den Grenzbereichen des Phä-
nomens aus. In der vorliegenden Untersuchung wur-
den demgegenüber alle Formen einfiguriger Bilder in
reduziertem Bildausschnitt, die im 17. Jahrhundert in
den Nördlichen Niederlanden geschaffen wurden, be-
rücksichtigt, um die Bildaufgabe Tronie zu definieren
und ihre Grenzbereiche zu beschreiben.
Ein niederländisches Gemälde des 17. Jahrhun-
derts gehört zur Kerngruppe der Bildaufgabe Tronie.
wenn es erstens eine isolierte, vor neutralem Hinter-
grund dargestellte Figur in knappem Bildausschnitt
zeigt, die nicht als Porträt intendiert, aber nach dem
lebenden Modell gemalt ist oder eine besonders cha-
rakteristische Physiognomie aufweist; wenn zweitens
die zum Einsatz gebrachten künstlerischen Mittel in
besonderer Weise betont werden; und wenn drittens
die Reduktion des Bildgegenstandes und/oder des mit
ihm verbundenen Bedeutungsgehaltes die in dieser
Hinsicht für einfigurige Historien- und Genrebilder
üblichen Darstellungsmöglichkeiten unterschreitet.
Die letztgenannte Bedingung ist erfüllt, wenn das
Gemälde entweder nur den Kopf einer Figur zeigt,
wobei auch deren Hände sowie Attribute dargestellt
sein können, oder wenn es sich um ein Brustbild oder
eine Halbfigur handelt, die im Gegensatz zu einfigu-
rigen Historien- und Genrebildern ikonographisch
nicht festgelegt ist. Motivisch sind Tronien, deren
Erscheinungsbild dem Aussehen der Protagonisten
auf Historienbildern gleicht, von solchen zu unter-
scheiden, die den Figuren auf Genrebildern ähneln.

Das Spektrum unterschiedlicher Darstellungsweisen
von Tronien reicht von einer besonders skizzenhaften
Ausführung bzw. Studienhaften Wirkung bis hin zu
einer porträthaften Auffassung der Figuren, wobei
Letztere als >Phantasiebildnisse< konzipiert waren.
In bestimmten Fällen zeigen auch einfigurige His-
torien- und Genrebilder in knappem Bildausschnitt
eine für Tronien charakteristische künstlerische Ge-
staltungsweise. Dies hat seinen Grund darin, dass die
Maler Gestaltungsprinzipien ihrer Tronien auch für
andere Einfigurenbilder einsetzten und bei der Schöp-
fung dieser Werke ähnliche Darstellungsabsichten
verfolgten wie bei der Produktion ihrer Tronien. Da-
mit widerspricht eine kategorische Unterscheidung
zwischen Tronien und einfigurigen Historien- oder
Genrebildern der künstlerischen Praxis des 17. Jahr-
hunderts und erweist sich auch aus kunsthistorischer
Sicht nicht immer als sinnvoll. Vielmehr handelt es
sich bei Brustbildern und Halbfiguren mit identitäts-
und bedeutungsstiftenden Attributen oder Kennzei-
chen, deren künstlerische Gestaltung mit derjenigen
von Tronien übereinstimmt, um Grenzfälle. Defi-
niert als spezifische malerische Aufgabe können sie
dem Bildtyp der Tronie zugeordnet werden. Dies
gilt vor allem für Gemälde von Troniemalern, da
innerhalb ihres Werkes oft nicht klar zwischen den
unterschiedlichen Bildkategorien zu trennen ist.
Die Belebung stereotyper Darstellungsschemata im
traditionellen Einfigurenbild durch eine innovative,
am Vorbild von Tronien orientierte künstlerische
Umsetzung machte in den Augen der Zeitgenossen
zweifellos den besonderen Reiz der auf ein Brustbild
oder eine Halbfigur reduzierten einfigurigen Histo-
rien- oder Genrebilder von Troniemalern aus.
Vor allem in der frühen Forschung werden Tronien
fälschlich als Porträts beurteilt, entsprechende Fehl-
deutungen finden sich jedoch bis in jüngste Zeit.
In Teil II der Arbeit wurden die charakteristischen
Merkmale von Tronien sowie Kriterien ermittelt, die
zur Unterscheidung von Porträt und Tronie herange-
zogen werden können. Dies stellt die Untersuchung
des Bildtyps Tronie auf eine gesicherte Grundlage,
die bislang fehlte.
Der Bildbefund der zwanziger und frühen drei-
ßiger Jahre zeigt, dass die Gestaltung der meisten Tro-
nien von den für die Porträtmalerei gültigen Darstel-
lungsnormen und -konventionen deutlich abweicht.
Zu den Merkmalen solcher Tronien gehören eine
für Bildnisse untypische Haltung oder Gestik der
Figuren, ein vom Betrachter abgewandter, oft nach
 
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