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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0382

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354

Zusammenfassung

unten gerichteter Blick, die undeutliche Wiedergabe
wichtiger Gesichtspartien, die explizite Artikulation
eines Affektes, eine besonders freie, individualistisch
vorgetragene Malweise, eine äußerst kontrastrei-
che Lichtführung mit starken Verschattungen oder
schließlich eine für portraits histories bzw. Kostüm-
porträts ungeeignete, schlichte Kleidung. Da sich
nicht alle Tronien mit Blick auf die genannten Eigen-
schaften von Porträts abgrenzen lassen und die Un-
terscheidung der Bildkategorien aufgrund formaler
Merkmale ab den 1630er Jahren zunehmend schwie-
riger wird, wurden zusätzliche Kriterien ermittelt,
mit deren Hilfe auch besonders porträthaft aufge-
fasste Tronien identifiziert werden können. Hierzu
gehören die Entstehung eines Gemäldes in einem
bestimmten Werkkontext, seine Vergleichbarkeit mit
sicher als Tronien zu klassifizierenden Werken, die
Orientierung an einem vorbildlichen Tronietypus
und damit die Zugehörigkeit zur Bildtradition der
Tronie sowie die Identifizierung der dargestellten
Person als wiederholt eingesetztes, meist anonymes
Modell.
Obwohl Rembrandt als der bedeutendste hol-
ländische Troniemaler des 17. Jahrhunderts anzu-
sehen ist und sich als einer der ersten Künstler mit
der Bildaufgabe beschäftigte, ergab die Untersu-
chung der Entstehung des Bildtyps in Leiden, dass
es Jan Lievens war, der die Tronieproduktion hier
initiierte. Motivisch von seinen eigenen einfigurigen
Genre- und Historienbildern in Halbfigur ausge-
hend, beschränkte Lievens den Bildgegenstand auf
die Darstellung eines Kopfes oder Brustbildes und
orientierte sich dabei am Vorbild flämischer Studien-
köpfe von Meistern wie Rubens und van Dyck. Auch
im Werk von Frans Hals ließ sich die Entstehung von
Tronien als Resultat einer Reduktion größerer Kom-
positionen beobachten. Zu den maßgeblichen künst-
lerischen Vorläufern der in den zwanziger Jahren in
Leiden und Haarlem geschaffenen Tronien gehören
neben gemalten auch gezeichnete Studienköpfe des
16. und frühen 17. Jahrhunderts, denen in diesem
Zusammenhang bisher keine Beachtung geschenkt
wurde. Indem Lievens, Rembrandt und Hals Tro-
nien bereits in den zwanziger Jahren für den Verkauf
produzierten, erhoben sie einen Bildgegenstand, der
zuvor vornehmlich werkvorbereitende oder Studien-
zwecke erfüllt hatte, in den Rang des selbständigen
Kunstwerks.
In der Forschung herrschte bis heute weder Klarheit
hinsichtlich der Verbreitung und der unterschied-

lichen Ausprägungen des niederländischen Bildtyps
der Tronie noch wurde die Frage nach seiner Stellung
innerhalb der Gattungen der Figurenmalerei behan-
delt. Daher wurde in Teil III zunächst untersucht,
welche Maler ab den 1630er Jahren in größerem Um-
fang Tronien schufen und welche Erscheinungsformen
diese annehmen konnten. Wesentliche Voraussetzung
hierfür war die Abgrenzung der Werke gegenüber
der Gattung Porträt. Auf diese Weise konnten auch
Bilder als Tronien identifiziert werden, die in der
vorangehenden Forschung in Ermangelung sicherer
Zuordnungskriterien als Porträts beurteilt und dem-
entsprechend falsch gedeutet wurden. Weiter wurde
geklärt, welche Gemeinsamkeiten zwischen Tronien
und einfigurigen Histonen- und Genrebildern be-
stehen und wie die Werkgruppen voneinander zu
unterscheiden sind. Gerade in der Entstehungspha-
se des Bildtyps können Tronien, die zur oben de-
finierten Kerngruppe der Bildaufgabe zählen, von
einfigurigen Historien- und Genrebildern in knap-
pem Bildausschnitt abgehoben werden: Wie gezeigt
wurde, unterscheiden sich die Tronien von Lievens,
Rembrandt und Hals nicht nur formal von den zur
selben Zeit entstandenen, reduzierten Einfiguren-
bildern anderer Maler, insbesondere der Utrechter
Caravaggisten, sie stehen auch in einer anderen Bild-
tradition. Damit sind die Halbfiguren der Utrechter
Maler entgegen ihrer in der Forschung anzutref-
fenden Klassifizierung als >Tronien< nicht als solche
zu beurteilen. Ab Beginn der 1630er Jahre konnte
ein verstärkter Einfluss von Tronien auf andere Ein-
figurenbilder festgestellt werden, so dass sich hier
Überschneidungen ergeben. Allerdings schließen die
Wahl eines zu großen Bildausschnitts, die detaillierte
Schilderung von Beiwerk oder die Einbettung einer
Figur in eine definierte Umgebung die Zuordnung
eines Einfigurenbildes zum Bildtyp der Tronie aus.
Die Fokussierung der bisherigen Tronieforschung
auf das Werk Rembrandts hatte zur Folge, dass die
Beschäftigung mit Tronien anderer Meister stark
vernachlässigt oder ganz unterlassen und die Frage
nach den Zentren der holländischen Tronieproduk-
tion überhaupt nicht gestellt wurde. Hier ergab un-
sere Untersuchung, dass die Schwerpunkte dieser
Produktion in den Städten Leiden, Amsterdam,
Dordrecht und Haarlem lagen. Zu den wichtigsten
niederländischen Troniemalern gehörten neben Hals,
Lievens und Rembrandt die Leidener Feinmaler Ge-
rard Dou und Frans van Mieris, die in Amsterdam
tätigen Meister Jacob Backer, Salomon Köninck,
Govaert Flinck, Ferdinand Boi, Michael Sweerts
 
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