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bald die Zeit kommen, in der Alles von selbst sich lösen
müßte?
Die Dienerin trat ein mit Briefen in der Hand, zwei
derselben waren für mich; dec eine, von Richard, enthielt eine
begeisterte Schilderung der fröhlichen Gesellschaft, welche
Herr und Frau Stewart den Knaben gegeben.
„Und, Mama, denke Dir nur," schrieb mein Junge,
„auch Tante Alice ist gekommen; sie wohnt bei einer so
lieben alten Dame im Dorfe, die ein Zuckerbäckergewölbe
hat, und die immer sagt, ich solle zum Thee hinkommen,
um mit Dick zu spielen. Dick ist ein Junge, der die alte
Frau .Großmama' nennt."
So schrieb mein Liebling; ich verstand seinen Brief besser,
sobald ich fenen meiner Schwester gelesen; sie schrieb mir,
daß sie während eines der Besuche, welche sie Richard von
Zeit zu Zeit abstatte, in dem Dorfe eine alte Frau Rimmer
entdeckt habe, welche einst die treue Dienerin meiner Mutter
gewesen. Sie hatte uns verlassen, um zu ihrer verwittweten
Tochter zu ziehen; diese war ebenfalls gestorben und deren
einziger Knabe, der oben erwähnte Dick oder Richard, war
der großmütterlichen Sorge anheimgegeben.
Meine Schwester hatte es sich so eingetheilt, daß sie die
Weihnachtszeit in Barston zubringen konnte, denn sie hatte
Richard in ihr Herz geschlossen; sie wohnte bei der alten
Hanna Rimmer.
„Die Gute erinnert sich Deiner mit vieler Zärtlichkeit,"
schrieb meine Schwester, „sie weinte bittere Thränen über
das unverdiente Schicksal, welches Dir geworden. Sie
findet, ihr schönes Fräulein Nelly hätte glücklich und reich
werden sollen gleich einer Königin, ihre sröhliche Laune,
welche alle Welt erfreute, hätte wahrlich nimmer durch eine
traurige Verkettung von Umständen niedergedrückt werden
dürfen. Die alte Frau meint, Du müßtest Dich so einsam
und traurig fühlen fern von Deinem Kinde und würde gerne
Alles thun, um Dir zu einer Wiedervereinigung mit demselben
behülflich zu sein. Natürlich aber, liebe Nelly, mußt Du
selbst wissen, was Du sür gut findest. Frau von Lynwood
scheint sehr gütig und entlohnt Dich wirklich reich, was ja
auch Richard zugute kommt. Er sieht ganz vornehm aus
in den Kleidern, welche ich ihm, Deinen Wünschen nach-
kommend, gekauft habe, und das alte Zeug, welches er aus-
gewachsen, taugt gerade für den armen kleinen Dick, der
wirklich ein netter Junge ist, sonst würde ich nicht zugeben,
daß Richard mit ihm verkehre. Seine Großmutter hat ihn
recht gut erzogen und ihn von anderem Umgang ferngehalten.
Die gute Alte! Wahrlich, sie erfüllt in selten schöner Weise
die Pflichten gegen das Aind ihrer Tochter!"
Dieser genaue Bericht meiner Schwester interessirte mich
lebhaft; ich empfand mit Befriedigung, daß Richard doch
für einige Tage ein liebendes Gemüth in seiner Nähe habe,
welches ihn mit jener mütterlichen Sorgfalt bewachte, die der
Sonnenschein einer kindlichen Existenz ist. Der zweite Theil
des Briefes meiner Schwester enthielt sehr bedeutsame Nach-
richten, sie schrieb:
„Und nun, meine liebe Nelly, mußt Du noch eine Kunde
entgegennehmen! Ich will Dich nicht gern aufregen, aber
weißt Du, daß ich nicht umhin kann, zu glauben, Fritz,
Dein Gatte, sei in Warwick gewesen? Ich bin etwa einen
Monat vor meiner Hieherkunft im Park des dem Städtchen
naheliegenden Schlosses spazieren gegangen, als ich eine
lebhaft plaudernde größere Gesellschaft von Herren und
Damen bemerkte. Einer der Herren blieb hinter den Anderen
zurück; er schien in Gedanken versunken und hatte den Blick
zur Erde gesenkt. Ich glaube, der Name Fritz Staunton
schwebte mir auf den Lippen, denn obgleich stärker und sonn-
gebräunter, wie er durch jahrelanges Reisen ja leicht hatte
werden können, war die Identität doch unleugbar lind ich
wußte, daß jener Mann Dein Gatte sei. Bevor ich auf
ihn zutreten konnte, gesellte sich ein anderer Herr zu ihm;
mir war die Gelegenheit ihn anzusprechen, genommen; ich
war höchst ärgerlich darüber, aber was konnte ich thun?
Ihm zu folgen und auf eiuer Unteredung zu bestehen, würde
nach aller Wahrscheinlichkeit eine Szene herbeigeführt haben.
Ich wartete noch eine Stunde lang im Park in der Hoff-
nung, er werde wicderkehren, dann aber mußte ich nach
Hause gehen. Am gleichen Abend zur Dämmerstunde sah
ich ihn an meiner Wohnung, in welcher einst auch Du
gewohnt, vorübergehen, er blickte sich sorgfältig um, förm-
lich, als suche er Jemanden. Ich war durch den Fenster-
vorhang gedeckt, er sah mich nicht, doch die Gasflamme
leuchtete ihm voll in'S Antlitz, das so schön war, wie je
zuvor, aber sehr bleich. War es nicht seltsam, daß er sich
gar nicht bei mir blicken ließ? Er mußte doch erfahren haben,
wo ich sei, und ich dachte damals gar nicht anders, als daß
er zu mir käme, so zwar, daß ich eilig meine Dienerin herbei-
rief, damit sie Licht mache, und von Minute zu Minute seines
Kommens in äußerster Spannung harrte. Er kam aber
nicht; ich fürchtete mich, Dir von meiner Begegnung zu er-
zählen, weil Du mir mit Berechtigung den Vorwurf machen
konntest, daß ich ihn zweimal aus dem Gesicht verloren
habe, seither aber hörte ich von ihm und ich fühle, daß es
nun ein Unrecht wäre, noch länger zu schweigen.
„Vor wenigen Tagen, noch ehe ich nach Barston ab-
reiste, als ich eben im oberen Stockwerke beschäftigt war,
trat Mary, meine Dienerin, ein und meldete milch cs sei
ein Herr im Wohnzimmer.
„,Ein großer, martialisch aussehenper Mann mit schönem
Schnurrbart.'
„,Wie heißt er, Mary, wo ist seine Karte?'
„,Ach Gott, ich habe ganz vergessen, ihn um dieselbe
Tllustrirte Melt.
zu bitten. Er ging geraden Wegs hereiff, als ob er sich
ganz gut auskenne und stellte sich vor Fräulein Nelly s
Bild. Soll ich gehen und ihn um seinen Namen fragen?'
„Ich verneinte und erklärte dem Mädchen, daß ich selbst
mich zu dem Herrn begeben werde.
„Ich that cs denn auch mit einigermaßen pochendem
Herzen, denn ich bildete mir ein, es müsse Fritz sein. Er
stand vor Deinem Bilde und war in dessen Anblick so ver-
tieft, daß er meinen Eintritt nicht vernahm. Ich trat bis
in die Mitte des Zimmers und blieb befremdet stehen, end-
lich aber nannte ich doch fast unwillkürlich seinen Namen.
,„Fritz Staunton.'
„,Nicht Fritz Staunton, sondern ein Fremder, meine
Dame,' sprach er, sich mir mit einer würdevollen Verbeugung
zuwendend, während ein gewinnendes Lächeln seine Lippen
umspielte.
„Nein, es war nicht Fritz, und ich fühlte mich ganz ent-
täuscht durch diese Entdeckung, hatte ich doch geglaubt, meiner
Sache so gewiß sein zu können; ich erkannte aber in ihm
denselben Herrn, welcher Fritzen im Garten angesprochen.
Was brachte ihn hieher? War der Andere draußen?
„,Jch bedaure, meine Dame, daß Sie mich mit dem
Namen meines verstorbenen Freundes, des armen Fritz
Staunton, ansprechen, denn ich ersehe daraus, daß Sie nicht
wissen, wie Jener vor einigen Jahren im Auslande starb.'
„Mir verschlug die Sicherheit, mit welcher er diese Lüge
aussprach, beinahe den Athem; hatte ich sie denn nicht Beide
vor so kurzer Zeit zusammen gesehen? Er trat auf mich
zu und schob mir einen Stuhl herbei.
,„Jch fürchte, ich bin zu hastig gewesen in der Ueber-
bringung meiner bösen Kunde, bitte, verzeihen Sie mir.'
„Ich begriff jetzt erst, daß er mein sehr sichtliches Er-
staunen mißverstanden habe, und raffte mich zu einigen höf-
lichen Worten der Entschuldigung auf; nachdem ich ihm
einen Sitz geboten, sprach ich:
,„Ja, Ihre Mittheilung hat mich allerdings befremdet,
da mir keinerlei Kunde von Herrn Staunton's Tode ward.
Wo und wann soll er gestorben sein, weßhalb höre ich jetzt
zum ersten Mal davon?'
,„Er starb in Amerika vor vier Jahren am gelben Fieber;
er hatte, wie Sie wissen, keine Verwandten und außer Ihrem
ergebensten Diener wohl auch keinen Freund. Er sprach
mir von Ihrer Schwester, bat mich, sie aufzusuchen und für
das Kind Sorge zu tragen, wenn es noch lebe. Nach langem
Forschen erfuhr ich den Tod Beider, erst kürzlich aber gelang
es mir, Sie zu entdecken, Sie, von der ich die Einzelheiten
des Todes Ihrer Schwester und des Kindes erfahren
möchte.'
„Welche Lage für mich! Was sollte ich thun oder sagen,
ich fühlte, daß ich vorsichtig sein müsse, und beschloß daher,
so wenig als nur überhaupt möglich zu reden. Ich sagte
ihm, ihr Beide wäret gänzlich aus meinem Gesichtskreise
entschwunden und außer einigen flüchtigen Abschiedsworten
habest Du Niemandem von Deinen Verwandten je wieder
ein Lebenszeichen gesandt.
,„Verzeihen Sie die Frage,' sprach er, ,aber haben Sie
irgend eine Ursache, anzunehmen, daß Ihre Schwester frei-
willig in den Tod gegangen? Wir, — ein Polizeiagent,
dessen Dienste ich erkauft, und ich, — wir haben Veran-
lassung, zu glauben, daß die Leichen einer Frau und eines
Kindes, welche die Avon ans Ufer gespült, jene Ihrer
Schwester und ihres Kleinen gewesen seien. Es war dieß
etwa zu der gleichen Zeit, zu welcher mein Freund in Amerika
starb; ich habe mich seither unausgesetzt bemüht, zu eruiren,
ob sich die Sache auch wirklich so verhalte.'
„Mühsam meine Entrüstung beherrschend, sprach ich:
„,Es soll also meiner armen Schwester auch im Grabe
noch die Ungerechtigkeit widerfahren, daß man an einen Selbst-
mord ihrerseits glaubt? Nun, was sie gelitten,. war bei
Gott arg genug, um sie auch uoch zu solcher Thorheit hin-
zureißen, bricht doch nur zu häufig ein Frauenherz um eines
leichtsinnigen Abenteurers willen, wie jener Fritz Staunton
es gewesen. Ich verfluche den Tag, an welchem er Nelly
überredete, ihn zu heirathen.'
„Er blickte mich an, als wolle er in meinem tiefsten
Herzensgründe lesen, dann sprach er:
„,Wie kommen Sie auf den Einfall, daß Fritz Staunton
Ihre Schwester geheirathet habe?'
„,Du lieber Himmel, war ich denn nicht Zeugin der
Trauung in der Biarienkirche? War es nicht die hübscheste
Hochzeit, welche im Laufe jenes Sommers stattfand?'
„,Nelly!' stieß er erbleichend hervor und starrte mich
an. .Verheirathet?' wiederholte er, ,das hätte ich mir frei-
lich nimmer träumen lassen.'
„Du siehst also, meine liebe Schwester, daß Dein Gatte
elend genug war, nicht nur Dich zu verlassen, sondern auch
Deinen reinen Namen zu verunglimpfen; offenbar erzählte
er seinem Freunde von einer Tändelei mit Dir, aber nicht
von einer Heirath. O der Elende, ich hoffe, er wird all'
jene Qualen leiden, welche seine Niederträchtigkeit in so
reichem Maße verdient.
,„Sind Cie gewiß, daß Ihre Schwester todt ist? Haben
Sie jemals nach ihr geforscht?' fragte er.
„Ich blickte ihm voll in's Gesicht, dann aber sprach ich
langsam: ,Jch bin des Todes meiner Schwester ebenso
gewiff als Sie des Todes Fritz Staunton's sicher sind.'
„Ich konnte nicht umhin, ihm diese wohlverdiente Zurecht-
weisung zu ertheilen, und ich sah an seinen Mienen, daß er
nicht ganz unempfänglich dafür war; freilich konnte er nicht
ahnen, dag ich jenen Mann, von dessen Tode er mir sprach,
erst so kürzlich gesehen; er war offenbar einigermaßen aus
der Fassung gebracht, obschon er sichtlich darnach rang, stim
äußere Ruhe zu bewahren. Ich kann nicht umhin' trotz
aller Gegenbeweise zu glauben, daß er cur Mann sei, welchem
die Lüge nicht natürlich angeboren, er sieht vielmehr ehrlich
und wahr aus. Es muß irgend ein besonders wichtiger
Grund für ihn bestehen, welcher ihn veranlaßt, Fritz Staun-
ton's Existenz in Abrede zu stellen. Ich bin überzeugt er
ist ein verläßlicher Freund, er sagte, daß die Lebensschuksale
Deines Kindes für ihn von wesentlichem Interesse seien
da er die heilige Pflicht übernommen, für dasselbe Sorge
zu tragen; er wolle daher in Ruhe überlegen, was sich
thun lasse, um Leben oder Tod des Kindes zu konstatiren
und mich nach einem Monate wieder aufsuchen. Dann
wollte er wissen, ob ick> bereit wäre, ihm zu helfen, Nach-
forschungen über Dich einzuziehen und rieth mir, einstweilen
strenges Schweigen zu wahren, es sei ja nicht nothwmdig
daß die ganze Welt um diese verwickelten Familienverhält-
nisse wisse und man ihr Veranlassung gebe zu tausenderlei
Redereien.
„Mit dem Versprechen, auf jeden Fall binnen Monats-
frist wiederzukehren, entfernte er sich endlich. Willst Du mir
wohl glauben, daß ich aus lauter Verwirrung vergessen
habe, um seinen Namen zu fragen? Wer mag er sein und
woher kommt er? Nochmals bitte ich Dich, liebe Nelly,
laß Dich durch meine Nachrichten nicht aus der Fassung
bringen, sondern überlege wohl und laß uns dann beschließen,
wie wir in der ganzen Angelegenheit vorgehen sollen. Bist
Du bereit, aufzutreten und auch die Existenz des Kindes
nachzuweisen? Fritz machte mir den Eindruck, als ob er
reich mit Geldmitteln versehen sei. Wenn dieß der Fall
ist, weßhalb sollte nicht der arme kleine Richard daraus
Nutzen ziehen? Weßhalb solltest Du auch ferner gezwungen
sein, Deine Dienste zu verkaufen? Andererseits möchte ich
gerne in Erfahrung bringen, weßhalb dem Manne offenbar
fo viel daran gelegen, Fritz Staunton als todt hinzustellen.
Wenn man die Idee nährt, daß Du sowohl als das Kind
gestorben seiest, würde er wohl weniger ans seiner Hut sein
und es ließe sich leichter eruiren, welche Absichten er im
Vereine mit seinem sauberen Freunde haben mag. Ich
würde Dich sehr gerne besuchen, aber ich halte es für außer-
ordentlich wahrscheinlich, daß ich bewacht werde. Ich bin
deßhalb hier während meines kurzen Aufenthaltes sehr vor-
sichtig und zeige mich niemals mit Richard auf der Straße;
Barston ist ja ein so kleines Nest, daß eine fremde Er-
scheinung sofort Aufsehen erregen würde; ich gehe also bei
Tag gar nicht aus. Schreibe mir hieher; ich bleibe acht
Tage und sende Dir wieder Nachricht, ehe ich fortgehe!"
So schlossen die wichtigen Mittheilungen meiner Schwester;
sie riefen allerhand verworrene Gedanken in mir wach. Ich
glaubte nun erst recht, ganz vollständig überzeugt fein zu
können, daß Kapitän Barry und Fritz Staunton ein und
dieselbe Persönlichkeit seien. Natürlich — so schloß ich
ferner — war Oberst Lynwood es gewesen, der meine
Schwester aufgesucht hatte; Alles, was sie mir von ihm
schrieb, schien vortrefflich auf den Mann zu passen, welchen
ich kurz vor seiner Abreise im Wintergarten gesehen. Ja,
auch meine Schwester sprach von seinem ernsten, gutmüthigen
Wesen, das mich so sehr gefesselt hatte; wahrlich, die Frau
jenes Mannes konnte beneidet werden; sie war glücklich in
des Wortes vollster Deutung; sie hatte wohl alle Ursache,
einen solchen Gatten hochzuhalten. Vielleicht fühlte ich
inniger mit ihr, als sie ahnte, als ich heute Morgen in das
Boudoir kommend, sie förmlich vor Wonne darüber verklärt
fand, daß ihr Gatte heute zurückkehren werde. Sie wußte
freilich -nicht, daß ehe der Tag zur Neige ging, auch ich
meinen Gatten gefunden haben würde. Eingedenk ihres
lebhaften Wunsches, mich mit demselben wieder zu vereinen,
konnte ich ihr kaum vorenthalten, was ich durch meine
Schwester erfahren; sie aber mußte meine innere Erregung
bemerken, denn sie hielt plötzlich in ihren Freudenergüssen
inne und sprach:
„Ach Ellen, verzeihen Sie mir, daß ich so unbedacht
bin, mein Glück vor Ihnen zur Schau zu tragen, während
es Ihnen doch recht trübselig zu Muthe sein muß! Ver-
zeihen Sie mir, ich will trachten, alles Mögliche zu thun,
um Ihren Schmerz in Freude zu verwandeln. Ich habe
die ganze Nacht hindurch über Ihre Lebensgeschichte nach-
gedacht und bin fest entschlossen, entweder alle Hebel in
Bewegung zu setzen, um Ihren Gatten zu finden und eine
Wiedervereinigung mit ihm zu ermöglichen oder Ihnen volle
Freiheit zu verschaffen, so daß Sie Kapitän Barry heirathen
können! Nein, blicken Sie nicht so erschreckt drein, er rft
sehr schön, sehr tüchtig, kurz, einer der besten Menschen,
welche ich kenne! Ganz der Mann, um Sie, schüchternes
Veilchen, anzuerkennen! Nun gehen Sie,, um dafür Sorge
zu tragen, daß unsere Zimmer heute den schönsten Blmmn-
schmuck haben. Der Oberst bewundert stets so sehr
feines Verständnis; für das Arrangement von Blumen!"
Der Rest des Tages vergeht rasch, denn es gibt noch
Vielerlei zu besorgen, und um fünf Uhr kamen unsere Netzen-
den an. Sir John Knight und mehrere andere Herren,
mit denen sie auf der Eisenbahnstation zusammen getroffen
waren, befanden sich in ihrer Gesellschaft; ich hörte N
vergnügt lachen und plaudern, während sie zusammen durch
die Vorhalle schritten. Ich blickte über das Treppengeländer
von oben herab, während Frau von Lynwood die Ankom-
menden in der Vorhalle begrüßte. Wie sollte ich ihm denn
unter Fremden zum ersten Male entgegen treten können-
Selbst wenn es mir gelingen würde, meine Empfindunger
bald die Zeit kommen, in der Alles von selbst sich lösen
müßte?
Die Dienerin trat ein mit Briefen in der Hand, zwei
derselben waren für mich; dec eine, von Richard, enthielt eine
begeisterte Schilderung der fröhlichen Gesellschaft, welche
Herr und Frau Stewart den Knaben gegeben.
„Und, Mama, denke Dir nur," schrieb mein Junge,
„auch Tante Alice ist gekommen; sie wohnt bei einer so
lieben alten Dame im Dorfe, die ein Zuckerbäckergewölbe
hat, und die immer sagt, ich solle zum Thee hinkommen,
um mit Dick zu spielen. Dick ist ein Junge, der die alte
Frau .Großmama' nennt."
So schrieb mein Liebling; ich verstand seinen Brief besser,
sobald ich fenen meiner Schwester gelesen; sie schrieb mir,
daß sie während eines der Besuche, welche sie Richard von
Zeit zu Zeit abstatte, in dem Dorfe eine alte Frau Rimmer
entdeckt habe, welche einst die treue Dienerin meiner Mutter
gewesen. Sie hatte uns verlassen, um zu ihrer verwittweten
Tochter zu ziehen; diese war ebenfalls gestorben und deren
einziger Knabe, der oben erwähnte Dick oder Richard, war
der großmütterlichen Sorge anheimgegeben.
Meine Schwester hatte es sich so eingetheilt, daß sie die
Weihnachtszeit in Barston zubringen konnte, denn sie hatte
Richard in ihr Herz geschlossen; sie wohnte bei der alten
Hanna Rimmer.
„Die Gute erinnert sich Deiner mit vieler Zärtlichkeit,"
schrieb meine Schwester, „sie weinte bittere Thränen über
das unverdiente Schicksal, welches Dir geworden. Sie
findet, ihr schönes Fräulein Nelly hätte glücklich und reich
werden sollen gleich einer Königin, ihre sröhliche Laune,
welche alle Welt erfreute, hätte wahrlich nimmer durch eine
traurige Verkettung von Umständen niedergedrückt werden
dürfen. Die alte Frau meint, Du müßtest Dich so einsam
und traurig fühlen fern von Deinem Kinde und würde gerne
Alles thun, um Dir zu einer Wiedervereinigung mit demselben
behülflich zu sein. Natürlich aber, liebe Nelly, mußt Du
selbst wissen, was Du sür gut findest. Frau von Lynwood
scheint sehr gütig und entlohnt Dich wirklich reich, was ja
auch Richard zugute kommt. Er sieht ganz vornehm aus
in den Kleidern, welche ich ihm, Deinen Wünschen nach-
kommend, gekauft habe, und das alte Zeug, welches er aus-
gewachsen, taugt gerade für den armen kleinen Dick, der
wirklich ein netter Junge ist, sonst würde ich nicht zugeben,
daß Richard mit ihm verkehre. Seine Großmutter hat ihn
recht gut erzogen und ihn von anderem Umgang ferngehalten.
Die gute Alte! Wahrlich, sie erfüllt in selten schöner Weise
die Pflichten gegen das Aind ihrer Tochter!"
Dieser genaue Bericht meiner Schwester interessirte mich
lebhaft; ich empfand mit Befriedigung, daß Richard doch
für einige Tage ein liebendes Gemüth in seiner Nähe habe,
welches ihn mit jener mütterlichen Sorgfalt bewachte, die der
Sonnenschein einer kindlichen Existenz ist. Der zweite Theil
des Briefes meiner Schwester enthielt sehr bedeutsame Nach-
richten, sie schrieb:
„Und nun, meine liebe Nelly, mußt Du noch eine Kunde
entgegennehmen! Ich will Dich nicht gern aufregen, aber
weißt Du, daß ich nicht umhin kann, zu glauben, Fritz,
Dein Gatte, sei in Warwick gewesen? Ich bin etwa einen
Monat vor meiner Hieherkunft im Park des dem Städtchen
naheliegenden Schlosses spazieren gegangen, als ich eine
lebhaft plaudernde größere Gesellschaft von Herren und
Damen bemerkte. Einer der Herren blieb hinter den Anderen
zurück; er schien in Gedanken versunken und hatte den Blick
zur Erde gesenkt. Ich glaube, der Name Fritz Staunton
schwebte mir auf den Lippen, denn obgleich stärker und sonn-
gebräunter, wie er durch jahrelanges Reisen ja leicht hatte
werden können, war die Identität doch unleugbar lind ich
wußte, daß jener Mann Dein Gatte sei. Bevor ich auf
ihn zutreten konnte, gesellte sich ein anderer Herr zu ihm;
mir war die Gelegenheit ihn anzusprechen, genommen; ich
war höchst ärgerlich darüber, aber was konnte ich thun?
Ihm zu folgen und auf eiuer Unteredung zu bestehen, würde
nach aller Wahrscheinlichkeit eine Szene herbeigeführt haben.
Ich wartete noch eine Stunde lang im Park in der Hoff-
nung, er werde wicderkehren, dann aber mußte ich nach
Hause gehen. Am gleichen Abend zur Dämmerstunde sah
ich ihn an meiner Wohnung, in welcher einst auch Du
gewohnt, vorübergehen, er blickte sich sorgfältig um, förm-
lich, als suche er Jemanden. Ich war durch den Fenster-
vorhang gedeckt, er sah mich nicht, doch die Gasflamme
leuchtete ihm voll in'S Antlitz, das so schön war, wie je
zuvor, aber sehr bleich. War es nicht seltsam, daß er sich
gar nicht bei mir blicken ließ? Er mußte doch erfahren haben,
wo ich sei, und ich dachte damals gar nicht anders, als daß
er zu mir käme, so zwar, daß ich eilig meine Dienerin herbei-
rief, damit sie Licht mache, und von Minute zu Minute seines
Kommens in äußerster Spannung harrte. Er kam aber
nicht; ich fürchtete mich, Dir von meiner Begegnung zu er-
zählen, weil Du mir mit Berechtigung den Vorwurf machen
konntest, daß ich ihn zweimal aus dem Gesicht verloren
habe, seither aber hörte ich von ihm und ich fühle, daß es
nun ein Unrecht wäre, noch länger zu schweigen.
„Vor wenigen Tagen, noch ehe ich nach Barston ab-
reiste, als ich eben im oberen Stockwerke beschäftigt war,
trat Mary, meine Dienerin, ein und meldete milch cs sei
ein Herr im Wohnzimmer.
„,Ein großer, martialisch aussehenper Mann mit schönem
Schnurrbart.'
„,Wie heißt er, Mary, wo ist seine Karte?'
„,Ach Gott, ich habe ganz vergessen, ihn um dieselbe
Tllustrirte Melt.
zu bitten. Er ging geraden Wegs hereiff, als ob er sich
ganz gut auskenne und stellte sich vor Fräulein Nelly s
Bild. Soll ich gehen und ihn um seinen Namen fragen?'
„Ich verneinte und erklärte dem Mädchen, daß ich selbst
mich zu dem Herrn begeben werde.
„Ich that cs denn auch mit einigermaßen pochendem
Herzen, denn ich bildete mir ein, es müsse Fritz sein. Er
stand vor Deinem Bilde und war in dessen Anblick so ver-
tieft, daß er meinen Eintritt nicht vernahm. Ich trat bis
in die Mitte des Zimmers und blieb befremdet stehen, end-
lich aber nannte ich doch fast unwillkürlich seinen Namen.
,„Fritz Staunton.'
„,Nicht Fritz Staunton, sondern ein Fremder, meine
Dame,' sprach er, sich mir mit einer würdevollen Verbeugung
zuwendend, während ein gewinnendes Lächeln seine Lippen
umspielte.
„Nein, es war nicht Fritz, und ich fühlte mich ganz ent-
täuscht durch diese Entdeckung, hatte ich doch geglaubt, meiner
Sache so gewiß sein zu können; ich erkannte aber in ihm
denselben Herrn, welcher Fritzen im Garten angesprochen.
Was brachte ihn hieher? War der Andere draußen?
„,Jch bedaure, meine Dame, daß Sie mich mit dem
Namen meines verstorbenen Freundes, des armen Fritz
Staunton, ansprechen, denn ich ersehe daraus, daß Sie nicht
wissen, wie Jener vor einigen Jahren im Auslande starb.'
„Mir verschlug die Sicherheit, mit welcher er diese Lüge
aussprach, beinahe den Athem; hatte ich sie denn nicht Beide
vor so kurzer Zeit zusammen gesehen? Er trat auf mich
zu und schob mir einen Stuhl herbei.
,„Jch fürchte, ich bin zu hastig gewesen in der Ueber-
bringung meiner bösen Kunde, bitte, verzeihen Sie mir.'
„Ich begriff jetzt erst, daß er mein sehr sichtliches Er-
staunen mißverstanden habe, und raffte mich zu einigen höf-
lichen Worten der Entschuldigung auf; nachdem ich ihm
einen Sitz geboten, sprach ich:
,„Ja, Ihre Mittheilung hat mich allerdings befremdet,
da mir keinerlei Kunde von Herrn Staunton's Tode ward.
Wo und wann soll er gestorben sein, weßhalb höre ich jetzt
zum ersten Mal davon?'
,„Er starb in Amerika vor vier Jahren am gelben Fieber;
er hatte, wie Sie wissen, keine Verwandten und außer Ihrem
ergebensten Diener wohl auch keinen Freund. Er sprach
mir von Ihrer Schwester, bat mich, sie aufzusuchen und für
das Kind Sorge zu tragen, wenn es noch lebe. Nach langem
Forschen erfuhr ich den Tod Beider, erst kürzlich aber gelang
es mir, Sie zu entdecken, Sie, von der ich die Einzelheiten
des Todes Ihrer Schwester und des Kindes erfahren
möchte.'
„Welche Lage für mich! Was sollte ich thun oder sagen,
ich fühlte, daß ich vorsichtig sein müsse, und beschloß daher,
so wenig als nur überhaupt möglich zu reden. Ich sagte
ihm, ihr Beide wäret gänzlich aus meinem Gesichtskreise
entschwunden und außer einigen flüchtigen Abschiedsworten
habest Du Niemandem von Deinen Verwandten je wieder
ein Lebenszeichen gesandt.
,„Verzeihen Sie die Frage,' sprach er, ,aber haben Sie
irgend eine Ursache, anzunehmen, daß Ihre Schwester frei-
willig in den Tod gegangen? Wir, — ein Polizeiagent,
dessen Dienste ich erkauft, und ich, — wir haben Veran-
lassung, zu glauben, daß die Leichen einer Frau und eines
Kindes, welche die Avon ans Ufer gespült, jene Ihrer
Schwester und ihres Kleinen gewesen seien. Es war dieß
etwa zu der gleichen Zeit, zu welcher mein Freund in Amerika
starb; ich habe mich seither unausgesetzt bemüht, zu eruiren,
ob sich die Sache auch wirklich so verhalte.'
„Mühsam meine Entrüstung beherrschend, sprach ich:
„,Es soll also meiner armen Schwester auch im Grabe
noch die Ungerechtigkeit widerfahren, daß man an einen Selbst-
mord ihrerseits glaubt? Nun, was sie gelitten,. war bei
Gott arg genug, um sie auch uoch zu solcher Thorheit hin-
zureißen, bricht doch nur zu häufig ein Frauenherz um eines
leichtsinnigen Abenteurers willen, wie jener Fritz Staunton
es gewesen. Ich verfluche den Tag, an welchem er Nelly
überredete, ihn zu heirathen.'
„Er blickte mich an, als wolle er in meinem tiefsten
Herzensgründe lesen, dann sprach er:
„,Wie kommen Sie auf den Einfall, daß Fritz Staunton
Ihre Schwester geheirathet habe?'
„,Du lieber Himmel, war ich denn nicht Zeugin der
Trauung in der Biarienkirche? War es nicht die hübscheste
Hochzeit, welche im Laufe jenes Sommers stattfand?'
„,Nelly!' stieß er erbleichend hervor und starrte mich
an. .Verheirathet?' wiederholte er, ,das hätte ich mir frei-
lich nimmer träumen lassen.'
„Du siehst also, meine liebe Schwester, daß Dein Gatte
elend genug war, nicht nur Dich zu verlassen, sondern auch
Deinen reinen Namen zu verunglimpfen; offenbar erzählte
er seinem Freunde von einer Tändelei mit Dir, aber nicht
von einer Heirath. O der Elende, ich hoffe, er wird all'
jene Qualen leiden, welche seine Niederträchtigkeit in so
reichem Maße verdient.
,„Sind Cie gewiß, daß Ihre Schwester todt ist? Haben
Sie jemals nach ihr geforscht?' fragte er.
„Ich blickte ihm voll in's Gesicht, dann aber sprach ich
langsam: ,Jch bin des Todes meiner Schwester ebenso
gewiff als Sie des Todes Fritz Staunton's sicher sind.'
„Ich konnte nicht umhin, ihm diese wohlverdiente Zurecht-
weisung zu ertheilen, und ich sah an seinen Mienen, daß er
nicht ganz unempfänglich dafür war; freilich konnte er nicht
ahnen, dag ich jenen Mann, von dessen Tode er mir sprach,
erst so kürzlich gesehen; er war offenbar einigermaßen aus
der Fassung gebracht, obschon er sichtlich darnach rang, stim
äußere Ruhe zu bewahren. Ich kann nicht umhin' trotz
aller Gegenbeweise zu glauben, daß er cur Mann sei, welchem
die Lüge nicht natürlich angeboren, er sieht vielmehr ehrlich
und wahr aus. Es muß irgend ein besonders wichtiger
Grund für ihn bestehen, welcher ihn veranlaßt, Fritz Staun-
ton's Existenz in Abrede zu stellen. Ich bin überzeugt er
ist ein verläßlicher Freund, er sagte, daß die Lebensschuksale
Deines Kindes für ihn von wesentlichem Interesse seien
da er die heilige Pflicht übernommen, für dasselbe Sorge
zu tragen; er wolle daher in Ruhe überlegen, was sich
thun lasse, um Leben oder Tod des Kindes zu konstatiren
und mich nach einem Monate wieder aufsuchen. Dann
wollte er wissen, ob ick> bereit wäre, ihm zu helfen, Nach-
forschungen über Dich einzuziehen und rieth mir, einstweilen
strenges Schweigen zu wahren, es sei ja nicht nothwmdig
daß die ganze Welt um diese verwickelten Familienverhält-
nisse wisse und man ihr Veranlassung gebe zu tausenderlei
Redereien.
„Mit dem Versprechen, auf jeden Fall binnen Monats-
frist wiederzukehren, entfernte er sich endlich. Willst Du mir
wohl glauben, daß ich aus lauter Verwirrung vergessen
habe, um seinen Namen zu fragen? Wer mag er sein und
woher kommt er? Nochmals bitte ich Dich, liebe Nelly,
laß Dich durch meine Nachrichten nicht aus der Fassung
bringen, sondern überlege wohl und laß uns dann beschließen,
wie wir in der ganzen Angelegenheit vorgehen sollen. Bist
Du bereit, aufzutreten und auch die Existenz des Kindes
nachzuweisen? Fritz machte mir den Eindruck, als ob er
reich mit Geldmitteln versehen sei. Wenn dieß der Fall
ist, weßhalb sollte nicht der arme kleine Richard daraus
Nutzen ziehen? Weßhalb solltest Du auch ferner gezwungen
sein, Deine Dienste zu verkaufen? Andererseits möchte ich
gerne in Erfahrung bringen, weßhalb dem Manne offenbar
fo viel daran gelegen, Fritz Staunton als todt hinzustellen.
Wenn man die Idee nährt, daß Du sowohl als das Kind
gestorben seiest, würde er wohl weniger ans seiner Hut sein
und es ließe sich leichter eruiren, welche Absichten er im
Vereine mit seinem sauberen Freunde haben mag. Ich
würde Dich sehr gerne besuchen, aber ich halte es für außer-
ordentlich wahrscheinlich, daß ich bewacht werde. Ich bin
deßhalb hier während meines kurzen Aufenthaltes sehr vor-
sichtig und zeige mich niemals mit Richard auf der Straße;
Barston ist ja ein so kleines Nest, daß eine fremde Er-
scheinung sofort Aufsehen erregen würde; ich gehe also bei
Tag gar nicht aus. Schreibe mir hieher; ich bleibe acht
Tage und sende Dir wieder Nachricht, ehe ich fortgehe!"
So schlossen die wichtigen Mittheilungen meiner Schwester;
sie riefen allerhand verworrene Gedanken in mir wach. Ich
glaubte nun erst recht, ganz vollständig überzeugt fein zu
können, daß Kapitän Barry und Fritz Staunton ein und
dieselbe Persönlichkeit seien. Natürlich — so schloß ich
ferner — war Oberst Lynwood es gewesen, der meine
Schwester aufgesucht hatte; Alles, was sie mir von ihm
schrieb, schien vortrefflich auf den Mann zu passen, welchen
ich kurz vor seiner Abreise im Wintergarten gesehen. Ja,
auch meine Schwester sprach von seinem ernsten, gutmüthigen
Wesen, das mich so sehr gefesselt hatte; wahrlich, die Frau
jenes Mannes konnte beneidet werden; sie war glücklich in
des Wortes vollster Deutung; sie hatte wohl alle Ursache,
einen solchen Gatten hochzuhalten. Vielleicht fühlte ich
inniger mit ihr, als sie ahnte, als ich heute Morgen in das
Boudoir kommend, sie förmlich vor Wonne darüber verklärt
fand, daß ihr Gatte heute zurückkehren werde. Sie wußte
freilich -nicht, daß ehe der Tag zur Neige ging, auch ich
meinen Gatten gefunden haben würde. Eingedenk ihres
lebhaften Wunsches, mich mit demselben wieder zu vereinen,
konnte ich ihr kaum vorenthalten, was ich durch meine
Schwester erfahren; sie aber mußte meine innere Erregung
bemerken, denn sie hielt plötzlich in ihren Freudenergüssen
inne und sprach:
„Ach Ellen, verzeihen Sie mir, daß ich so unbedacht
bin, mein Glück vor Ihnen zur Schau zu tragen, während
es Ihnen doch recht trübselig zu Muthe sein muß! Ver-
zeihen Sie mir, ich will trachten, alles Mögliche zu thun,
um Ihren Schmerz in Freude zu verwandeln. Ich habe
die ganze Nacht hindurch über Ihre Lebensgeschichte nach-
gedacht und bin fest entschlossen, entweder alle Hebel in
Bewegung zu setzen, um Ihren Gatten zu finden und eine
Wiedervereinigung mit ihm zu ermöglichen oder Ihnen volle
Freiheit zu verschaffen, so daß Sie Kapitän Barry heirathen
können! Nein, blicken Sie nicht so erschreckt drein, er rft
sehr schön, sehr tüchtig, kurz, einer der besten Menschen,
welche ich kenne! Ganz der Mann, um Sie, schüchternes
Veilchen, anzuerkennen! Nun gehen Sie,, um dafür Sorge
zu tragen, daß unsere Zimmer heute den schönsten Blmmn-
schmuck haben. Der Oberst bewundert stets so sehr
feines Verständnis; für das Arrangement von Blumen!"
Der Rest des Tages vergeht rasch, denn es gibt noch
Vielerlei zu besorgen, und um fünf Uhr kamen unsere Netzen-
den an. Sir John Knight und mehrere andere Herren,
mit denen sie auf der Eisenbahnstation zusammen getroffen
waren, befanden sich in ihrer Gesellschaft; ich hörte N
vergnügt lachen und plaudern, während sie zusammen durch
die Vorhalle schritten. Ich blickte über das Treppengeländer
von oben herab, während Frau von Lynwood die Ankom-
menden in der Vorhalle begrüßte. Wie sollte ich ihm denn
unter Fremden zum ersten Male entgegen treten können-
Selbst wenn es mir gelingen würde, meine Empfindunger