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Dr. Theodor Reik
haben: sie sollen die Inzestschranke aufrichten, den Jüngling aus dem
Familienverband loslösen und ihn in die Männerbünde einführen,
damit aber auch die unbewußten Regungen der Feindschaft und des
Hasses, welche in den Jünglingen gegen ihre Väter wirkten, in
freundschaftliche verkehren, Diese soziale Bedeutung der Pubertäts®
weihe hat Schurtz fast in den nämlichen Worten ausgesprochen,
mit denen Freud die Aufrichtung der Inzestschranke in der Pubertät
kennzeichnete1.
VIII.
Nun kehren wir, mit neuen Kenntnissen ausgerüstet, zu un®
serer Aufgabe, das sonderbare Benehmen der Novizen zu erklären,
zurück. Welche Beziehung besteht zwischen dem Unterrichte der
geschlechtsreifen und waffenfähigen Jugend in der Einschließungszeit
und der Amnesie bei ihrer Rückkehr? Eine sehr innige, wie es
scheint. Die Verbote, welche den Novizen im Walde für ihr ferneres
Leben eingeprägt worden sind, betreffen ebendieselben Wünsche ihres
bisherigen Lebens, welche nun der Vergessenheit anheimgefallen
sind. Die Amnesie bei der Rückkehr ist gleidtsam die Probe der
Wirksamkeit jenes Unterrichtes. Mit anderen Worten: die Jünglinge
sollen vergessen — besser ausgedrüdct: »verdrängen« — was bisher
ihr tiefstes Begehren ausmachte: den Vater aus dem Wege zu
räumen und seine Stelle bei der Mutter einzunehmen. Ein Ein wand
verdient hier gehört zu werden: die Jünglinge haben alles aus ihrem
früheren Leben vergessen, nicht nur ihre verwandtschaftlichen Bezieh
hungen,- man muß sie auch essen und trinken lehren und ihnen
zeigen, durch welche Tür man eine Hütte betritt. Doch diese Schwie®
rigkeit löst sich, wenn wir die psychoanalytischen Theorien und Be®
obachtungen heranziehen: das Unbewußte sucht bei eintretender Ver®
sagung Ersatzobjekte und Ersatzbefriedigungen/ es weiß noch vom
alltäglichsten und nichtigsten Ding aus geheime Beziehungen zu den
ersehnten Objekten und Betätigungen zu finden. Die Väter der Be®
schnittenen sind sich in ihrem dunklen Drange des rechten Weges
wohl bewußt: um jene zwei Urwünsche aus dem Seelenleben der
jungen Leute zu verbannen, mußte audr die ganze frühere Existenz,
das Leben des Alltags, mit dem sie so innig verknüpft sind, der
Vergessenheit verfallen. Die seelischen Mechanismen der Verschie®
1 Altersklassen und Männerbünde, p. 99. »Bei den Knabemveihen im beson®
deren handelt es sich nicht allein um die Aufnahme in die Schar der Jünglinge und
Krieger, sondern zugleich um eine Abkehr von den bisherigen Verhältnissen. Der
junge Mann ist fortan nicht mehr der Mutter untertänig, er wohnt nicht mehr in
der Hütte der Weiber und auch bei ihren häuslichen Geschäften hilft er nicht mit,
,einen neuen Menschen hat er angezogen', wie der Wallensteinsdhe Wachtmeister
dem Rekruten in einer Ansprache zuruft, die mit einigen Änderungen auch bei
einer Knabenweihe gehalten werden könnte/ er gehört jetzt auf Jahre hinaus einer
Gruppe an, die sich meist schon räumlich von den Familien sondert und zu diesen
durch ihre Anschauungen und Sitten in einem mehr oder weniger deutlichen Gegen«
satze steht,« Vgl. noch p. 108 des Schurtzschen Werkes.
Dr. Theodor Reik
haben: sie sollen die Inzestschranke aufrichten, den Jüngling aus dem
Familienverband loslösen und ihn in die Männerbünde einführen,
damit aber auch die unbewußten Regungen der Feindschaft und des
Hasses, welche in den Jünglingen gegen ihre Väter wirkten, in
freundschaftliche verkehren, Diese soziale Bedeutung der Pubertäts®
weihe hat Schurtz fast in den nämlichen Worten ausgesprochen,
mit denen Freud die Aufrichtung der Inzestschranke in der Pubertät
kennzeichnete1.
VIII.
Nun kehren wir, mit neuen Kenntnissen ausgerüstet, zu un®
serer Aufgabe, das sonderbare Benehmen der Novizen zu erklären,
zurück. Welche Beziehung besteht zwischen dem Unterrichte der
geschlechtsreifen und waffenfähigen Jugend in der Einschließungszeit
und der Amnesie bei ihrer Rückkehr? Eine sehr innige, wie es
scheint. Die Verbote, welche den Novizen im Walde für ihr ferneres
Leben eingeprägt worden sind, betreffen ebendieselben Wünsche ihres
bisherigen Lebens, welche nun der Vergessenheit anheimgefallen
sind. Die Amnesie bei der Rückkehr ist gleidtsam die Probe der
Wirksamkeit jenes Unterrichtes. Mit anderen Worten: die Jünglinge
sollen vergessen — besser ausgedrüdct: »verdrängen« — was bisher
ihr tiefstes Begehren ausmachte: den Vater aus dem Wege zu
räumen und seine Stelle bei der Mutter einzunehmen. Ein Ein wand
verdient hier gehört zu werden: die Jünglinge haben alles aus ihrem
früheren Leben vergessen, nicht nur ihre verwandtschaftlichen Bezieh
hungen,- man muß sie auch essen und trinken lehren und ihnen
zeigen, durch welche Tür man eine Hütte betritt. Doch diese Schwie®
rigkeit löst sich, wenn wir die psychoanalytischen Theorien und Be®
obachtungen heranziehen: das Unbewußte sucht bei eintretender Ver®
sagung Ersatzobjekte und Ersatzbefriedigungen/ es weiß noch vom
alltäglichsten und nichtigsten Ding aus geheime Beziehungen zu den
ersehnten Objekten und Betätigungen zu finden. Die Väter der Be®
schnittenen sind sich in ihrem dunklen Drange des rechten Weges
wohl bewußt: um jene zwei Urwünsche aus dem Seelenleben der
jungen Leute zu verbannen, mußte audr die ganze frühere Existenz,
das Leben des Alltags, mit dem sie so innig verknüpft sind, der
Vergessenheit verfallen. Die seelischen Mechanismen der Verschie®
1 Altersklassen und Männerbünde, p. 99. »Bei den Knabemveihen im beson®
deren handelt es sich nicht allein um die Aufnahme in die Schar der Jünglinge und
Krieger, sondern zugleich um eine Abkehr von den bisherigen Verhältnissen. Der
junge Mann ist fortan nicht mehr der Mutter untertänig, er wohnt nicht mehr in
der Hütte der Weiber und auch bei ihren häuslichen Geschäften hilft er nicht mit,
,einen neuen Menschen hat er angezogen', wie der Wallensteinsdhe Wachtmeister
dem Rekruten in einer Ansprache zuruft, die mit einigen Änderungen auch bei
einer Knabenweihe gehalten werden könnte/ er gehört jetzt auf Jahre hinaus einer
Gruppe an, die sich meist schon räumlich von den Familien sondert und zu diesen
durch ihre Anschauungen und Sitten in einem mehr oder weniger deutlichen Gegen«
satze steht,« Vgl. noch p. 108 des Schurtzschen Werkes.