Dr. Theodor Reik
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wieder auf die Identifikationstendenz. Zu unserem Erstaunen be-
merken wir aber, daß eigentlich eine Wiederholung desselben Vor-
ganges stattfindet, denn die Tötung und Wiederauferstehung in den
Riten bedeuten dasselbe wie die künstliche Amnesie, Blindheit und
veränderte »Einstellung« — das Wort hier dynamisch gebraucht —
zur Welt und zum eigenen Ich: nämlich Verdrängung und Bestra-
fung der infantilen Urwünsche und Identifikation mit dem Vater,
beziehungsweise Totem.
Eigentlich dürften wir als Psychoanalytiker darüber nicht er-
staunt sein, denn unsere Erfahrungen belehren uns darüber, daß
das Unbewußte solche Wiederholungen in veränderter Darstellung
liebt,- wir haben in der Traumdeutung1 erkannt, wie oft dieselben
Wünsche -— unter Umständen in Träumen derselben Nacht —
immer wieder in anderer Verkleidung die Traumfassade auf bauen.
Das unbewußte Seelenleben handelt aber, indem es dieselben
Wünsche immer wieder auf die Traumszene bringt, wie die alten
Sprachen: schir haschirim, das Lied der Lieder, das Hohelied heißt
es z. B, im Hebräischen. Beide drücken durch die Wiederholung die
Wichtigkeit und Bedeutsamkeit eines Vorganges aus.
Der Vergleich dieser Ritenabfolge mit dem Traumleben aber
ist nicht nur durch den traumhaften mysteriösen Charakter der
Pubertätsweihe, sondern auch durch ihre dramatische plastische Form
gerechtfertigt. Durch diesen Charakter ist es bedingt, daß logische
Relationen wie im Traume auch hier nicht anders denn plastisch dar-
gestellt werden können. Wir dürfen sagen, die Amnesie der Jüng-
linge ist nichts anderes als die plastische Darstellung des Vorganges
der Verdrängung.
Nur mit einem Worte noch sei darauf hingewiesen, daß die
Parallele Amnesie, Beschneidung und Blindheit, welche wir früher ver-
muteten, durch die Ausdrucksformen des unbewußten Seelenlebens
verifiziert wird. Das Unbewußte kann etwas — auch peinlich emp-
fundene Stücke des eigenen Ich — nicht radikaler erledigen als durch
Vergessen. <»Nicht gedacht soll seiner werden.«) Die Blendung <auf
welche das Geschlossensein der Augen hindeutet) als unbewußtes
Kastrationsäquivalent ist nicht nur durch die Ödipusmythen, sondern
auch aus vielen Analysen von Träumen bekannt2.
Fast scheint es, als handelten die primitiven Väter, indem sie
ihre »wiedergeborenen« Söhne in den Alltagsdingen unterweisen,
mit raffinierter Heuchelei: sind sie es doch selbst, welche die Jüng-
linge zwangen, alle jene Dinge zu vergessen.
Ein bisher unbeachtet gebliebener Teil der Pubertätsriten emp-
fängt von den Resultaten unserer bisherigen Betrachtungen ein neues
Lidit. Wir haben den Eindruck erhalten, als würde die Aufnahme
1 Vgl. Freud, Die Traumdeutung. 4. Aufl. Wien und Leipzig. 1914. p. 248,
2 Man vgl. zu dieser Auffassung die Beiträge von Dr. Ö. Rank, Dr. M.
Eder, Dr. R. Reitler und Dr. S. Ferenczi über Augenträume und Augen-
symbolik in »Internationaler Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse«, März 1913.
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wieder auf die Identifikationstendenz. Zu unserem Erstaunen be-
merken wir aber, daß eigentlich eine Wiederholung desselben Vor-
ganges stattfindet, denn die Tötung und Wiederauferstehung in den
Riten bedeuten dasselbe wie die künstliche Amnesie, Blindheit und
veränderte »Einstellung« — das Wort hier dynamisch gebraucht —
zur Welt und zum eigenen Ich: nämlich Verdrängung und Bestra-
fung der infantilen Urwünsche und Identifikation mit dem Vater,
beziehungsweise Totem.
Eigentlich dürften wir als Psychoanalytiker darüber nicht er-
staunt sein, denn unsere Erfahrungen belehren uns darüber, daß
das Unbewußte solche Wiederholungen in veränderter Darstellung
liebt,- wir haben in der Traumdeutung1 erkannt, wie oft dieselben
Wünsche -— unter Umständen in Träumen derselben Nacht —
immer wieder in anderer Verkleidung die Traumfassade auf bauen.
Das unbewußte Seelenleben handelt aber, indem es dieselben
Wünsche immer wieder auf die Traumszene bringt, wie die alten
Sprachen: schir haschirim, das Lied der Lieder, das Hohelied heißt
es z. B, im Hebräischen. Beide drücken durch die Wiederholung die
Wichtigkeit und Bedeutsamkeit eines Vorganges aus.
Der Vergleich dieser Ritenabfolge mit dem Traumleben aber
ist nicht nur durch den traumhaften mysteriösen Charakter der
Pubertätsweihe, sondern auch durch ihre dramatische plastische Form
gerechtfertigt. Durch diesen Charakter ist es bedingt, daß logische
Relationen wie im Traume auch hier nicht anders denn plastisch dar-
gestellt werden können. Wir dürfen sagen, die Amnesie der Jüng-
linge ist nichts anderes als die plastische Darstellung des Vorganges
der Verdrängung.
Nur mit einem Worte noch sei darauf hingewiesen, daß die
Parallele Amnesie, Beschneidung und Blindheit, welche wir früher ver-
muteten, durch die Ausdrucksformen des unbewußten Seelenlebens
verifiziert wird. Das Unbewußte kann etwas — auch peinlich emp-
fundene Stücke des eigenen Ich — nicht radikaler erledigen als durch
Vergessen. <»Nicht gedacht soll seiner werden.«) Die Blendung <auf
welche das Geschlossensein der Augen hindeutet) als unbewußtes
Kastrationsäquivalent ist nicht nur durch die Ödipusmythen, sondern
auch aus vielen Analysen von Träumen bekannt2.
Fast scheint es, als handelten die primitiven Väter, indem sie
ihre »wiedergeborenen« Söhne in den Alltagsdingen unterweisen,
mit raffinierter Heuchelei: sind sie es doch selbst, welche die Jüng-
linge zwangen, alle jene Dinge zu vergessen.
Ein bisher unbeachtet gebliebener Teil der Pubertätsriten emp-
fängt von den Resultaten unserer bisherigen Betrachtungen ein neues
Lidit. Wir haben den Eindruck erhalten, als würde die Aufnahme
1 Vgl. Freud, Die Traumdeutung. 4. Aufl. Wien und Leipzig. 1914. p. 248,
2 Man vgl. zu dieser Auffassung die Beiträge von Dr. Ö. Rank, Dr. M.
Eder, Dr. R. Reitler und Dr. S. Ferenczi über Augenträume und Augen-
symbolik in »Internationaler Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse«, März 1913.