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Dr. Theodor Reik
Freundschaft hervorzurufen. Beim Ur uh unnastamm werden die
Vorhaut und das Beschneidungsmesser dem älteren Bruder des Ope-
rierten ausgefolgt und dieser berührt den Magen jedes Nuthi
<Mannes, der zu dem Beschnittenen im Verhältnis des älteren Bru-
ders steht) mit der Vorhaut1. Bei den Karesauinsulanern ver-
sammeln sich Jünglinge und Männer zu folgender, von W. Sdhmidt
beschriebenen Zeremonie2: Die Männer graben eine muldenförmige
Steinhöhlung und tragen Süßwasser hinein, dann durchbohren sie
sich den Penis und lassen das Blut in jene Mulde fließen, indem sie
es mit Wasser vermischen. Das auf dem Rande laufende und dort
koagulierende Blut wird auch hineingeschabt, so daß dicke Stücke
darin herumschwimmen. Zulezt kostet einer der Männer davon und
von diesem kostbaren Naß müssen alle Knaben trinken,
Wir erkennen in allen diesen Riten Formen von Blutsverbrüde-
rung. Die Blutsbünde dieser Art sind uralt und über die ganze
Erde verbreitet3, doch was sollen sie in diesem Zusammenhänge
bedeuten? Warum entziehen sich auch die älteren, bereits beschnitten
nen Männer Blut aus dem Penis?
Erinnern wir uns daran, daß diese älteren Männer von unbe-
wußter Vergeltungsfurcht beherrscht, die Kastration, beziehungsweise
Beschneidung und Einschneidung einführten, und zwar als Sühne
für die unbewußten Inzestimpulse der Jungen. Wenn sie nun also
selbst eine Art Kastration durch die Einschneidung an sich ausführen,
so führen sie einen Gemeinsamkeitsakt aus, der sich nur auf die
nämlichen psychischen Vorgänge stützen kann: es liegt in ihm ein
Bekenntnis derselben Wünsche, die sie einst selbst beseelt haben
und die sie nun zu solchen grausamen Vorsichtsmaßregeln gegen
die Jungen gezwungen haben. Es liegt darin aber audi eine Sühnung
dieser Kindheitsimpulse und eine seelische Annäherung an die jungen
Leute. Wir verstehen nun auch, wie dieser Blutbund zustande kam:
wie so oft im Leben sind Richter und Angeklagte, Henker und Ver-
brecher von denselben geheimen Tendenzen getrieben. Ist die Kastra-
tion eine gegen die geschlechtsreife Jugend gerichtete, feindselige
Maßregel, so stellt dieses Blutzeremoniell den Ausdruck einer homo-
sexuellen Strömung dar, einen Gemeinsamkeitsakt, in dem sich auch
der zärtliche Anteil der väterlichen Gefühlsambivalenz deutlich ge-
nug zeigt.
Ein Detail dieser Riten ist so reizvoll, daß ich es nicht gerne
unterdrücken möchte. Der kleine Bonifaz, ein Karesauinsulaner,
welcher die Pubertätsfeierlichkeiten seines Stammes aktiv und passiv
miterlebte und dem Ethnologen W. Schmidt ausführlichen Bericht
darüber gab, erzählt, daß die Männer den Knaben nach jener Zere-
monie des Peniseinschneidens und Bluttrinkens sagten, wenn sie
1 Op. cit. p. 332.
2 Man vgl. den früher zitierten Artikel von W. Schmidt im Anthropos.
3 Vgl. Robertson Smith: Lectures on the religion of the Semites. Second
edition, London 1907.
Dr. Theodor Reik
Freundschaft hervorzurufen. Beim Ur uh unnastamm werden die
Vorhaut und das Beschneidungsmesser dem älteren Bruder des Ope-
rierten ausgefolgt und dieser berührt den Magen jedes Nuthi
<Mannes, der zu dem Beschnittenen im Verhältnis des älteren Bru-
ders steht) mit der Vorhaut1. Bei den Karesauinsulanern ver-
sammeln sich Jünglinge und Männer zu folgender, von W. Sdhmidt
beschriebenen Zeremonie2: Die Männer graben eine muldenförmige
Steinhöhlung und tragen Süßwasser hinein, dann durchbohren sie
sich den Penis und lassen das Blut in jene Mulde fließen, indem sie
es mit Wasser vermischen. Das auf dem Rande laufende und dort
koagulierende Blut wird auch hineingeschabt, so daß dicke Stücke
darin herumschwimmen. Zulezt kostet einer der Männer davon und
von diesem kostbaren Naß müssen alle Knaben trinken,
Wir erkennen in allen diesen Riten Formen von Blutsverbrüde-
rung. Die Blutsbünde dieser Art sind uralt und über die ganze
Erde verbreitet3, doch was sollen sie in diesem Zusammenhänge
bedeuten? Warum entziehen sich auch die älteren, bereits beschnitten
nen Männer Blut aus dem Penis?
Erinnern wir uns daran, daß diese älteren Männer von unbe-
wußter Vergeltungsfurcht beherrscht, die Kastration, beziehungsweise
Beschneidung und Einschneidung einführten, und zwar als Sühne
für die unbewußten Inzestimpulse der Jungen. Wenn sie nun also
selbst eine Art Kastration durch die Einschneidung an sich ausführen,
so führen sie einen Gemeinsamkeitsakt aus, der sich nur auf die
nämlichen psychischen Vorgänge stützen kann: es liegt in ihm ein
Bekenntnis derselben Wünsche, die sie einst selbst beseelt haben
und die sie nun zu solchen grausamen Vorsichtsmaßregeln gegen
die Jungen gezwungen haben. Es liegt darin aber audi eine Sühnung
dieser Kindheitsimpulse und eine seelische Annäherung an die jungen
Leute. Wir verstehen nun auch, wie dieser Blutbund zustande kam:
wie so oft im Leben sind Richter und Angeklagte, Henker und Ver-
brecher von denselben geheimen Tendenzen getrieben. Ist die Kastra-
tion eine gegen die geschlechtsreife Jugend gerichtete, feindselige
Maßregel, so stellt dieses Blutzeremoniell den Ausdruck einer homo-
sexuellen Strömung dar, einen Gemeinsamkeitsakt, in dem sich auch
der zärtliche Anteil der väterlichen Gefühlsambivalenz deutlich ge-
nug zeigt.
Ein Detail dieser Riten ist so reizvoll, daß ich es nicht gerne
unterdrücken möchte. Der kleine Bonifaz, ein Karesauinsulaner,
welcher die Pubertätsfeierlichkeiten seines Stammes aktiv und passiv
miterlebte und dem Ethnologen W. Schmidt ausführlichen Bericht
darüber gab, erzählt, daß die Männer den Knaben nach jener Zere-
monie des Peniseinschneidens und Bluttrinkens sagten, wenn sie
1 Op. cit. p. 332.
2 Man vgl. den früher zitierten Artikel von W. Schmidt im Anthropos.
3 Vgl. Robertson Smith: Lectures on the religion of the Semites. Second
edition, London 1907.