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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 8.1922

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VIII. 1
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Freud, Sigmund: Traum und Telepathie: Vortrag in der Wiener psychoanalytischen Vereinigung
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https://doi.org/10.11588/diglit.28550#0031

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Traum und Telepathie

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der Besserung kam, verhalf er mir selbst dazu, seine psyAologi-
schen TasAenspielereien aufzuhellen. Audi die im Brief unseres
ersten Korrespondenten enthaltene Mitteilung, wie er und seine
drei Brüder die Nachricht vom Tod ihres jüngsten Bruders als
etwas innerlich längst Gewußtes aufgenommen, scheint keiner an-
deren Aufklärung zu bedürfen. Die älteren Brüder werden alle
die gleiche Überzeugung von der Überflüssigkeit dieses jüngsten
Ankömmlings bei sidh entwickelt haben.
Ein anderes »Gesichte unserer Träumerin, dessen Verstände
nis vielleicht durdh analytische Einsicht erleichtert wird! Freundinnen
haben offenbar eine große Bedeutung für ihr Gefühlsleben. Der
Tod einer derselben zeigte sich ihr kürzlich durch nächtliches
Klopfen an das Bett einer Zimmerkollegin in der Heilanstalt an.
Eine andere Freundin hatte vor vielen Jahren einen Witwer mit
vielen (fünf) Kindern geheiratet. In deren Wohnung sah sie regel-
mäßig bei ihren Besuchen die BrsAeinung einer Dame, in der sie
die verstorbene erste Frau vermuten mußte, was sich zunächst
nicht bestätigen ließ und ihr erst naA sieben Jahren durch die
Auffindung einer neuen Photographie der Verstorbenen zur Ge-
wißheit wurde. Diese visionäre Leistung steht in der nämlichen
innigen Abhängigkeit von den uns bekannten Familienkomplexen
der SAreiberin wie ihre Ahnung vom Tod des Bruders. Wenn
sie sich mit der Freundin identifizierte, konnte sie in deren Person
ihre Wunscherfüllung finden, denn alle ältesten Töchter kinderreicher
Familien schaffen im Unbewußten die Phantasie, durch den Tod der
Mutter die zweite Frau des Vaters zu werden. Wenn die Mütter
krank ist oder stirbt, rückt die älteste Tochter wie selbstverständlich
an ihre Stelle im Verhältnis zu den Geschwistern und darf auch
beim Vater einen Teil der Funktionen der Frau übernehmen. Der
unbewußte Wunsch ergänzt hiezu den anderen Teil.
Das ist nun bald alles, was ich Ihnen erzählen wollte. IA
könnte noA die Bemerkung hinzufügen, daß die Fälle von tele^
pathisAer BotsAaft oder Leistung, die wir hier besproAen haben,
deutliA an Erregungen geknüpft sind, welAe dem BereiA des
Ödipuskomplexes angehören. Das mag frappant klingen, iA mödite
es aber niAt. für eine große Bntde&ung ausgeben. Wir wollen
lieber zu dem Ergebnis zurü&kehren, welAes wir aus der Untere
suAung des Traumes in unserem ersten Fall gewonnen haben.
Die Telepathie hat mit dem Wesen des Traumes niAts zu tun.
 
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