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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 8.1922

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VIII. 1
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Pfister, Oskar Robert: Die primären Gefühle als Bedingungen der höchsten Geistesfunktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.28550#0059

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Die primären Gefühle als Bedingungen der hödisten Geistesfunktionen 49

leben zu kommen. Daß man keine Gefühle forderte, aber beständig
Lehren entwickelte, gekel ihr an der neuen Sekte. Nachdem sie die
größten Anstrengungen gemaAt habe, durch theoretische und
praktisAe Arbeit auf dem Wege Rudolf Steiners über ihre
geistige Verödung hinauszukommen, versuchte sie, unauffällig sich
umzubringen. Trotz schweren tuberkulösen Lungenleidens lief sie
nachts bei Regenwetter barfuß steile Abhänge hinauf und unter-
nahm eine Reihe anderer Suizidversuche, die keineswegs als
hysterische Aufmachungen betrachtet werden können. Da ihr das
Schicksal sogar den Selbstmord mißgönne, wünschte sie eine
Analyse zu durchlaufen.
Die VorgesAiAte enthält vorzügliAes Material zur BeanG
wortung der Frage, die uns besAäftigt. In unerqui&liAen Familien**
Verhältnissen aufgewaAsen, wurde unsere Patientin im 22. Jahr von
einem sAweren Lungenleiden befallen und verbraAte drei Jahre an
einem Kurort. Hatte sie als strenge Katholikin die Sexualität als
den Inbegriff alles HäßliAen und SündliAen betraAtet und beispiels-
weise sogar das WasAen der unteren Leibespartien für eine Tod**
sünde angesehen, so kam sie nun in ein Milieu, das die freie Liebe
unbedenkliA zuließ. Gegen Ende der ersten Kur, die etwa drei Jahre
gedauert hatte, sagte sie siA, daß sie nie heiraten dürfe. Dann aber
wolle sie auf andere Weise das Mysterium der Liebe kennen lernen.
Bisher hatte sie junge Männer gerne gesehen und arglos Freund**
sAaft mit ihnen gepflegt. AuA Freundinnen waren ihr lieb und
voller SehnsuAt, ein guter MensA zu sein und einen hohen Lebens**
inhalt zu gewinnen, fühlte sie siA glüAliA.
Während eines Lehrkurses, der ihr zu einem Beruf verhelfen
sollte, trat die Wendung ein. Sie lernte einen jungen Mann kennen,
der seine sinnliAen Gelüste wenig verbarg. Unsere Analysandin
konnte ihn weder sAätzen noA lieben,- um jedoA ihren längst ge-
faßten Vorsatz auszuführen und ein für allemal von ihren Begierden
befreit zu werden, ließ sie siA mit ihm in ein Verhältnis ein, das
eine Wo Ae dauerte, aber nur zu Intimitäten, niAt zum normalen
Sexualverkehr führte. Bei allen Reizungen blieb sie kalt und der
Ekel wurde so stark, daß sie jedesmal im letzten Augenblick ihren
Widerstand zur Geltung braAte. In der Nähe des Geliebten war
sie innerliA kalt, sofort naA seinem Weggang aber brannte sie in
den wildesten Gefühlen. Um siA niAt als gefallene Person veraAten
zu müssen, willigte sie in eine *Verlobung6 oder doA bleibende
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