Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften (8.1922)

Die primären Gefühle ais Bedingungen der hö&sten Geistesfunktionen 53

Sadismus, oder wie uns die Asketik verrät, der Masochismus usw.
Oft tollt sich die ganze Erotik unverändert in religiösen Phantasien
aus, Träumen, Halluzinationen, Deiirien, hysterischen Phantasien,
in denen die Primärerotik sich in den kräftigsten und unverhüllten
Innervationen äußern kann*. Selbstverständlich entspricht nicht die
Sexualverdrängung, sondern die von der ethis&en Norm bestimmte
Verwendung und Beherrschung der Ges&iechtiichkeit dem Ideal
einer autonomen Ethik.
Nach einzelnen PsyAologen besteht das Gefühl überhaupt
nur in Körperempfmdungen, seien es Innervationen der Muskeln
(James) oder solche der Gefäße (Lange). Der Würde der höchsten
Gefühle tut dies so wenig Abbruch, als es die Hoheit irgend eines
Helden beeinträchtigt, daß er ohne Darmfunktionen seine höAsten
Schöpfungen nicht zustande brächte. Denn niemals kann es sich
darum handeln, aus der Primärerotik allein die höchsten Geistestaten
zu erklären. Jede Sublimierung ist Aktivierung nichtsexueller
Anlagen, und schon das Neue Testament bestätigt, daß von
Menschen, die sich in Primärerotik ausgeben, eine höhere Lebens^
entfaltung vernünftigerweise nicht zu erwarten steht. Diese praktisch
gewonnene Einsicht dur& exakte Beobachtung zu erhärten und
ein wenig weiter durchzudenken, war die Absi&t dieser kurzen Mit-
teilung.
i Vg!. Pfister, Die Frömmigkeit des Grafen L. v. Zinzendorf, Schriften zur
angewandten Seeienkunde, 8. Heft, Leipzig und Wien. — Derseibe, Zur
Psychologie des hysterisAen Madonnenkuitus. Xentraibiatt für Psydioanatyse,
Band I- Derseibe, Hysterie und Mystik bei Margarete Ebner. Ebenda. Beide in
das Buch: Zum Kampf um die PsyAoanaiyse (internationaie PsyAoanaiytisAe
Bibiiothek Nr. 8>, 1920, aufgenommen.