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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 8.1922

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VIII. 2
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Kelsen, Hans: Der Begriff des Staates und die Sozialpsychologie: mit besonderer Berücksichtigung von Freuds Theorie der Masse
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https://doi.org/10.11588/diglit.28550#0124

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114

Dr. Hans Kelsen

ob der Staat als eine ^psychologische Massen der durch
die Freudsche Psychoanalyse aufgehellten Struktur
angesehen werden kann. Zu diesem Zwe&e genügt aber eine
die prinzipiellen Gesichtspunkte festhaltende Darstellung und ist
ein näheres Eingehen auf die Grundvoraussetzungen der a!!ge-
meinen PsyAoanalyse niAt erforderliA.
Wenn Freud die Annahme maAt, daß sdibidoc, »daß
Liebesbeziehungen (indifferent ausgedrückt: Gefühlsbindungen) auA
das Wesen der Massenseele ausmaAenc*, so versteht er das
Wort xdibido^ oder »Liebe« in einem weitesten, niAt bloß die
GesAleAtsliebe umfassenden Sinne, etwa in der gleiAen Be-
deutung, in der der s<Bros« Platons auftritt. Freud sagt, er
stütze seine Erwartung, daß Liebesbeziehungen auA das Wesen
der sozialen Verbindung ausmaAen, zunäAst auf zwei ^ßüAtige
Gedanken«: 9 Erstens, daß die Masse olfenbar durA irgend
eine MaAt zusammengehalten wird. WelAer MaAt könnte man
aber diese Leistung eher zusAreiben als dem Eros, der alles
in der Welt zusammenhält? Zweitens, daß man den EindruA
empfängt, wenn der Einzelne in der Masse seine Eigenart aufgibt
und siA von den anderen suggerieren läßt, tue er es, weil ein
Bedürfnis bei ihm besteht, eher im Einvernehmen mit ihnen als
im Gegensatz zu ihnen zu sein, also vielleiAt doA sühnen
zuliebes 3. Wenn das Wesen der Massenbildung, der sozialen
Verbindung überhaupt in süibidinösen Bindungens der Massen^
glieder, der die Gruppe bildenden Individuen bestehen soll, so
wird doA zugleiA mit NaAdruA betont, daß es siA dabei niAt
um Liebestriebe handeln könne, s>die direkte Sexualziele ver-
folgens. »Wir haben es hier mit Liebestrieben zu tun, die, ohne
darum minder energisA zu wirken, doA von ihren ursprüngliAen
Zielen abgelenkt sind«^. SolAe Ablenkung des Triebes von seinem
Sexualziel besAäftigt die PsyAoanalyse in vielfaAer RiAtung.
Diese ErsAeinung ist, wie die PsyAoanalyse lehrt, mit gewissen
BeeinträAtigungen des IAs verbunden. Die Vermutung, daß siA
die soziale Verbindung als eine derartige libidinöse Bindung be-
greifen lasse, wird zunäAst dadurA bestärkt, daß ja als ein
wesentliAes Merkmal des in die Masse eingereihten Individuums

i A. a. O. S. 45.
= A. a. O. S. 45.
s A. a. O. S. 64.
 
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