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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 8.1922

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VIII. 2
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Ranke, Otto: Die Don Juan-Gestalt: ein Beitrag zum Verständnis der sozialen Funktion der Dichtkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.28550#0205

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Die Don Juan=GestaIt

195

Vom Schöpfer des Don Juan können wir natürliA niAt wissen,
weldie individuellen Motive ihn zu der großartigen Phantasiebildung
veraniaßten. Aber von dem Künstler, der dieser SAöpfung ihre
Bwigkeitsgestalt verliehen hat, von Mozart, kennen wir ein bio-
graphisches Faktum, das seine Stellung zum ganzen Stoffkreis des
Don Juan und zugleich das Wesen der künstlerisAen Produktion
grell beleuchtet. Wieder ist es niAt das erotisAe Liebesmotiv, das
den großen Musiker begeisterte, sondern ein tragisAes Motiv,
dessen bedeutsame Wirkung uns Freud bereits bei einem anderen
großen Künstler verständliA gemaAt hat. Als nämliA Mozart
gerade begann, siA mit dem von seinem TextdiAter Da Ponte
vorgesAlagenen Stoff zu besAäftigen, starb sein Vater,- wenige
Monate darauf auA sein bester Freund Barisanih Die Biographen
selbst heben hervor, daß der Künstler in der SAöpfung des Don
Juan Gelegenheit suAte, sein bedrüdctes Gemüt zu befreien. Es
wird allenthalben beridrtet, mit welAer Intensität er siA auf die
Arbeit stürzte und die Legende, daß er die Ouvertüre in einer
einzigen Nadit niedergesArieben hätte, gibt am deutliAsten Zeugnis
von der künstlerisAen ^Besessenheit^, die seine Umgebung an
ihm bemerkt haben mag. Die tiefreiAenden ambivalenten Affekt^
regungen, die der Tod des Vaters naA unseren psydioanalytisAen
Erfahrungen besonders beim sAaffenden Künstler im Sinne der
Ursituation auslöst, erklären die nur auf Grund weitgehender
Identifizierung ermögliAte künstlerisAe DurAdringung und Be^
wältigung des Stoffes, die von allen Bearbeitern Mozart allein
vollkommen gelungen ist.
WelAen Anteil neben dem aufgezeigten persönliAen Anlaß
die besondere Kunstform der Musik daran haben mag, können
wir infolge unseres geringen psyAologisAen Verständnisses der
musikalisAen AusdruAsmittel nur ahnen. Es sAeint, daß die
Fähigkeit der Musik, gleiAzeitig versAiedenen Gefühlsregungen
AusdruA zu gestatten, sie zur Darstellung und affektiven Br^
ledigung ambivalenter Konßikte besonders geeignet maAt. Nun
ist im Grundzug des Don Juan=Charakters, niAt bloß dynamisA
i Im Frühjahr 1787, naA der RüAhehr von Prag naA Wien, wies Da
Ponte den Tonkünstler auf den Stoff des Don Giovanni hin, an dessen diAterisAcr
Gestaltung Mozart seihst großen Anteil hat. Am 28. Mai 1787 starb sein Vater,
am 3. September sein Freund und am 29. Oktober fand die Erstaufführung
statt, zu der die Musiker die Notenblätter der Ouvertüre noA feuAt und mit
dem darauf klebenden Streusand erhielten.
 
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