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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 12.1901

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Schmidkunz, Hans: Zur Aesthetik der Wohnung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6714#0108

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Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 89.

Mai-Heft.

Weitere aufheben, würde uns aber auch in Widerspruch zu
bereits erreichten Fortschritten bringen. Der zweite Fall ver-
anlasst uns, gleich von vornherein zu sagen, worin wir im
Wesentlichen die Schönheit einer Wohn - Einrichtung und
Wohn-Ausstattung zu sehen glauben. Sie besteht, scheint
uns, in dem möglichst anschaulichen Ausdruck des Lebens,
für das die Wohnung da ist. Damit Jwäre nun freilich die
Wohnungs - Schönheit in Abhängigkeit von den jeweiligen
Kulturformen gebracht. Indessen ist es aussichtslos, irgend
eines unserer Güter aus der Wechselwirkung mit den übrigen
herauszureissen. Insonderheit finden wir in den verschiedenen
geschichtlichen Gestalten der Wohnungs - Kunst thatsächlich
lebhafte Beziehungen zum sonstigen Leben und zu dessen
künstlerischer Gestaltung. Die Wohnungs-Art, die wir heute
noch vorwiegend besitzen, und die erst zum Teil durch Anders-
artiges überwunden wird, zeigt deutlich zwei solche Bezieh-
ungen, die 'unseren bürgerlichen Behausungen sozusagen
zwei bestimmt erkennbare Haupt-Richtungen erteilen.

Die erste besteht darin, dass die Wohnung, zumal in den
»Miet-Kasernen« der Grossstadt, ihren Karakter zuerst vom
Vermieter und dann erst vom Mieter erhält. Jener legt sie
so an und stattet sie so aus, dass sie niemals mehr der voll-
ständige Ausdruck des individuellen Lebens in ihr werden
kann. Gesetzt auch, ihre Ausstattung vor dem Einzug des
Mieters sei an sich rühmenswert, so wird sich diese doch
kaum je mit dem in Harmonie setzen, was nun der Mieter
aus Eigenem dazu thut. Und solang sich nicht unsere sozialen
Verhältnisse, sei es selbst durch die Triebkraft künstlerischer
Faktoren — in diesem Punkt ändern, wird die Wohnungs-
Kunst, buchstäblich genommen, »von Haus aus« zu einer
Unvollkommenheit gezwungen sein. — Die zweite jener Be-
ziehungen und Richtungen unserer Wohnungs-Art besteht
darin, dass unsere Häuser, kurz gesagt, von aussen nach

Abel Landry, Paris. Thee-Tisch.

>

Abel Landry, Paris. Schreibtisch für ein junges Mädchen.

innen gebaut sind. In der Fassade liegt ihr künstlerischer

— oder unkünstlerischer — Schwerpunkt; als das Nächst-
gewichtige folgen die verschiedentlichen Entrees u. dergl., und
als letztes, gleichgültigstes verbleibt das Innerste des Woh-
nungslebens. Noch mehr: unsere typische Wohnung ist eine
Fortsetzung der Strasse. Nun besitzt heute auch die Strasse,
der Platz, überhaupt die ganze Bau-Anlage einer gegenwär-
tigen Stadt ihre Eigenart oder vielmehr ihre Eigenartslosigkeit:
die der abstrakten Geometrie. Recht aus drei Coordinaten-
Ebenen gleichmässig zusammengesetzt und mit einer nach-
drücklich betonten »Achse« versehen, so reiht sich Strasse
an Strasse, Platz an Platz, Baublock an Baublock, jedes der
räumliche Ausdruck nicht des Verkehrslebens, sondern des
behördlichen und des privaten Bureaus, des Reglements und
des Profits; und um erst recht das Verkehrsleben nicht aus
sich heraus zum Gestalten der Strassenformen werden zu
lassen, sind die Strassenfluchten und Platzfluchten in einer
Weise mit Kreuzungen und Strahlungen durchbrochen, die
weder ästhetischen noch verkehrstechnischen Wert haben.
Und schliesslich findet sich in diesen Stadtformen kaum eine
Strassen- oder Platz- oder Bau-Gestaltung, die nicht ohne
wesentliche Aenderung des Ganzen umgestellt oder ganz
nach Belieben anderswohin gesetzt werden könnte.

Diese abstrakte Geometrie ist nun ersichtlich von der
Strasse in die Wohnungen eingedrungen. Auch hier das
gleichmässige Walten der drei Coordinaten-Ebenen und der

— gleich nachher näher zu erwähnenden — Achsen; auch
hier das Nachwirken einer Bureau-Schematik und des Bau-
Profiles; auch hier die vielfachen Zerreissungen der Räume
durch Thüren und Fenster; auch hier eine verhältnismässige
Gleichgültigkeit des Rechts und Links, des Oben und Unten,
des Hier oder Dort. Man sieht, wie diese Richtung der
Wohnungs-Anlage von aussen nach innen eine Wohnungs-
Schönheit in unserem Sinn unmöglich macht, und wie die
entgegengesetzte Richtung nicht nur eine solche ermöglichen
wird, sondern auch allmählich hinwieder einen Einfluss auf
die Formen der Strassenwelt ausüben kann.

Es gibt einen historischen Kunst-Stil, für den das hier
Gesagte verhältnismässig am meisten zutrifft: den »Bieder-
maier-Stil«, der etwa von 1820 bis 1840 blühte, der bis heute
nachwirkt, und dessen Ueberwindung erst durch die »Repeti-
tionszeit« und jetzt durch die heutigen Anläufe zu Neuem
grossenteils gleichbedeutend ist mit den Gegensätzen der von
 
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