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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 12.1901

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Schmidkunz, Hans: Zur Aesthetik der Wohnung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6714#0109

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Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Mai-Heft.

uns hier verteidigten Wohnungs - Kunst gegen das hier Be-
kämpfte. Aus dem Bericht, den H. S. Schmid's »Kunst-Stil-
Unterscheidung« (3. Aufl. 1897 S. 37) von der Biedermaierzeit
gibt, erkennen wir in deren Formen grossenteils die ver-
stärkte Ausprägung einer Wohnungs-Kunst, deren Karakter
die abstrakte Geometrie und die Unterschiedslosigkeit ist.
Das Quadrat, der Kreis usw. sind hier beinahe Leitmotiv.
Das Biedermaier-Zimmer könnte grossenteils auch umgestellt,
umgedreht, [versetzt werden, ohne dass dadurch viel anders
würde. Es gleicht unseren Hüten, die sich beliebig umdrehen
lassen, als sei der Mensch vorne und rückwärts gleich. Der
»Cylinderhut« ist der vielleicht grossartigste Triumph jenes Stiles.

Die näheren Durchführungen unseres ästhetischen Grund-
gedankens bedeuten grossenteils eine Losreissung vom Bieder-
maier-Zimmer. Wir bedürfen im Zimmer zunächst ebenso
wie am Menschen einer Achtung auf die verschiedenen For-
derungen der drei Coordinaten-Ebenen, die der Gestalt jenes
wie dieses zu Grunde liegen, und deren feines Verständnis
einen Gottfried Semper befähigt hat, seine Abhandlung über
den Schmuck zu einem der bestbegründeten ästhetischen Bei-
träge zu machen. Die Horizontal-Ebene verlangt eine andere
Behandlung als die Vertikal-Ebenen. Ein Boden- und ein
Tisch - Teppich verlangen eine andere Behandlnng als ein
Wand-Behang, und diese wieder eine andere als die Decke.
Ist es unnatürlich, dass wir auf Amoretten herumtreten und
unsere Trinkschalen auf Schäferinnen setzen, so ist es weniger
unnatürlich, beides auf rein geometrischen Ornamenten zu
thun. Und ist hinwieder hier eine symmetrische Gestaltung
erträglich, so ist sie es nicht auch dort, wo ein Leben mit
bestimmten Mannigfaltigkeiten sich ausgestalten soll: d. i. in

der gesamten Zimmer-Einrichtung. Hier waltet aus biedermaie-
rischer, zum Teil wohl auch aus früheren Zeiten herüber einer
der schlimmsten Feinde einer das Wohnungsleben möglichst an-
schaulich ausdrückenden Einrichtungs-Schönheit: dieSymmetrie.

Dann nicht genug, dass nach drei recht gleichwertigen
Coordinaten-Ebenen ein System von Quadraten und quadrat-
nahen Rechtecken einen Zimmer-Würfel bildet, und dass
dessen geometrischer Geist in den Möbeln wiederzukehren
strebt: auch in der Raumverteilung waltet das Gespenst der
gleichen Abteilungen. Die Betonung der Mitte ist die höchste
Aesthetik der Raumverbiederung. Für die Thüren erscheint
als der beste Platz die Mitte einer Wand; die beiden gleichen
Abschnitte zu den Seiten der Thüre sind dadurch für einen
mannigfachen Wohngebrauch verloren. Nimmt die Mitte
einer anderen Wand nicht gerade ein Fenster ein, so nimmt
sie ein Pfeiler zwischen zwei Fenstern ein, der dann aus
räumlichen und aus Beleuchtungsgründen beinahe für alles
andere als für die Anbringung eines Spiegels verloren ist.
Bleibt durchschnittlich noch eine Wand. Ihre Mitte wird
einem Schrank oder einem Sofa gewidmet, über dessen Mitte
wieder ein Bild angebracht ist; zu seinen oder zu des Schrankes
Seiten erscheinen die zwei berühmten »Seitenstücke«: bei-
spielsweise eine Morgen- und eine Abend-Landschaft. Nun
muss nicht nur der durch diese Zerteilungen und Spielereien
verschwendete Raum anderswo hereingebracht werden, son-
dern es muss auch die Betonung der Mitte in den Verbin-
dungslinien der einander gegenüberliegenden Wand-Mitten
wiederholt werden. Wie draussen in den Strassen- und Platz-
Achsen die Denkmäler, die vielmehr eines »Abseits vom Wege«
bedürfen, gerade in den Verkehr hineingestellt werden, so

Abel Lakdry, Paris.

Damen- Toilettetisch (geöffnet).

Aus »La Maison Moderne«, Paris.
 
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