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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 12.1901

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Schmidkunz, Hans: Zur Aesthetik der Wohnung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6714#0111

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Seite 92.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-jDekoration.

Mai-Heft.

und gleichmässig ausgefüllte Wand entlang laufend, bei dem
abermaligen Sieg der abstraktesten Geometrie angekommen ist.

Kurz: die hier geschilderten Formen - Schemen würden
anderen Körperformen und anderen Lebensäusserungen ent-
sprechen als gerade
unseren mensch-
lichen. Diese ver-
langen kein Wan-
deln und Blicken in
Mitten und Achsen,
sondern in Raum-
Bildungen, die aus
dem Lebensbedürf-
nis herauswachsen.
Der Prospekt von
einer Ecke aus ist
das erste, wenn-
gleich selbst noch
schematische Mittel,
um sich eine gewisse
Selbständigkeit der
Raum-Anschauung
über jene Ur-Sche-
men hinaus zu bil-
den. Mit ihm ge-
schieht in unserem
Rahmen ein erster
Schritt, um den
Prozess einzuleiten,
der alle künstle-
rische Entwickelung von primitiveren zu reicheren Formen
begleitet, und der im deutschen Kunstleben durchschnittlich
schärfer und reichlicher hervortritt als im romanischen: die
Durchbrechung der Symmetrie und damit der Fortschritt von
dem mehr »Mechanischen« zu dem mehr »Organischen«.

Das letztere ist hier eben durch eine solche Gestaltung
der Raum-Formen und ihrer Ausfüllung gewonnen, die unsere
leiblichen Formen und Bewegungen ausdrückt. Zunächst
also bedarf es einer Raum - Bildung, die uns möglichst viel
unterbringen lässt, die uns Bewegungsfreiheit gibt, die uns
die Wege zwischen Bedarfspunkten der Wohnung mit dem
kleinsten Kraftmass zurücklegen lässt und dem durch jedes
Zimmer unnatürlich zurückgeschlagenen Blick die verhältnis-
mässig weiteste Erstreckung gewährt. Also die Thüren,
Fenster usw. in der geringst möglichen Zahl und an den die
Wandflächen wenigst zerreissenden Stellen angebracht! Kein
Zwang zur Verdoppelung, wo des zweiten Stückes kein Bedarf

Abel Landrv, Paris.

ist! Die Mitten möglichst frei, die Ecken der leiblichen Ruhe
gewidmet! Dann die Möbel selber zunächst auf den Gebrauch,
auf ihre natürliche Bestimmung hin gebaut! Nehmen wir
ein besonders karakteristisches Beispiel: das Bett. Von seiner

früheren und jetzt
noch meistens vor-
herrschenden , der
sog.deutschenForm
lässt sich ziemlich
genau nachweisen,
auf welche Art sie
den menschlichen
Körper in unnatür-
liche Lagen zwingt,
insbesondere durch
zu hohe Lagerung
von Nacken und
Kopf (vgl. »Natur-
gemässe Körper-
haltung« in »Zeit-
schrift für Philo-
sophie und Päda-
gogik«, IV. 2, 1897).
Auch das bieder-
maierische Sofa
prägt durch die
Höhen seiner drei
Wände jene falsche
Behandlung des
menschlichen Leibes

aus. Hier fordert die Gesundheit ebenfalls das Ihrige und
vermag, wenn richtig berücksichtigt, formbildend zu wirken;
das »englische Bett« ist dafür ein bekannter Ausdruck. So
kommt durch die Uebereinstimmung zwischen Bedarf und
Befriedigungsmittel das wichtigste Stück Harmonie in das
Ganze der Wohnungs-Einrichtung. Ein weiteres erwächst
daraus, dass mit den dem Bedarf entsprechenden Grundformen
der Möbel auch ihre eventuelle Ornamentik übereinstimme,
dass sie wiederum ein Ausdruck und zwar unmittelbar eben
dieser Formen, mittelbar des hinter ihnen liegenden Bedarfes
sei. Ob nun durch Zierratlinien die Grundlinien des Möbels
wiederholt werden, oder ob organische Motive, selbst Tier-
und Pflanzenbilder, in die Form des ganzen Stückes und in
den ihm vorgezeichneten Sinn hineingepasst werden, und
wie dies im Einzelnen geschieht: das ist dann nicht mehr
Sache unserer grundsätzlichen Feststellungen, sondern bleibt
der Künstler-Individualität als Spielraum. (Schiuss im nächsten Heft.)

Lese-Tisch und Stuhl.
 
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