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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 12.1901

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Van de Veldes Programm
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https://doi.org/10.11588/diglit.6714#0127

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Seite 106.

Juni-Heft.

Gebr. Wasserstradt, Möbelfabrik, Lübeck.

Van pe Velpes Programm.

Der kühne belgische Gewerbe-Künstler und Neuerer
Henry van de Velde, der nunmehr durch seine Verbin-
dung mit dem Hohcnzollern-Kunstgewerbe-Hans (H. Hirsch-
wald) in Berlin ganz heimisch geworden ist und den Schwer-
punkt seines Wirkens nach Deutschland verlegte, hat in der
Wiener Wochenschrift »Die Zeit« (Nr. 336 vom 9. März 1901)
unter dem Titel » Was ich will« sein Reform-Programm dar-
gelegt. Dieses kurz gefasste, markig geschriebene Bekenntnis
des Künstlers gibt über die letzten Ziele der neuen Bestre-
bungen so klaren Ueberblick und ist so sehr geeignet, falsche
Anschauungen über dieselben zu widerlegen und voreinge-
nommene Bedenken zu zerstreuen, dass wir es nachstehend
wiedergeben wollen. Van de Velde sagt: »Ich frage mich
häufig selber, was meine Absichten sind, und diese Selbst-
prüfung ist mir zugleich die sicherste Führung zu jenem Ziele,
dem ich mein Werk und das dekorative Kunstgewerbe über-
haupt zusteuern will. Von meinem Werke glaube ich, dass
es insolange sicher ist vor Gefahr, als es so bleibt, wie ich
es mir denke; auf alle Fälle ist ihm dann der eine Vorzug
gewahrt, dass es die Absichten seines Schöpfers wirklich aus-
drückt. Ein Vorzug, den ich auch allen ebenso zustande
kommenden Arbeiten anderer zuerkenne, und von dem ich
annehme, dass aus dem Bewusstsein desselben den anderen
ein ebensolches Gefühl ruhiger Zuversicht zufliesst, wie mir.

In diesem Sinne ist es für jeden von uns notwendig, sich
über seine Absichten selber Klarheit zu verschaffen und dar-
nach die Ausdehnung und die Folgen seiner Thätigkeit ab-
zumessen. Und ich habe das Glück, mir über mein Wollen
um so leichter klar zu werden, als es einfacher nicht sein
könnte; freilich zwingt mich anderseits die Durchführung
dieses Wollens, mich mit tausend Dingen des materiellen
Lebens und praktischen Konfigurationen zu befassen. Ich
könnte mich ja damit begnügen, das Prinzip allein aufzustellen,

die Theorien, die
es hervorruft, und
die Aesthetik, die
es in sich schliesst,
zu verkünden, und
könnte mir so ein
Gebäude ruhiger
Anerkennung ein-
träglicher Ehren
errichten und ge-
nug verdienen, um
damit eine Familie
anständig zu ernäh-
ren ; doch ein über-
mächtiger Wille
drängt mich, jene
Grundsätze, die ich
der Welt gebracht,
als erster auch in
die Wirklichkeit
umzusetzen, und so
die ganze Last
meines Ideals zu
tragen, nicht blos
dessen leichtere
Hälfte. Nunmehr
glaube ich so weit
zu sein und alle Ge-
biete, auf die meine
künstlerischen Re-
formen mich führen könnten, durchforscht zu haben — in
einer organischen Folge von Entdeckungen und deren An-
wendungen. Auf dieser schwindelerregenden Fahrt mag ich
vielleicht Kräfte eingebüsst haben, aber die Klarheit meiner
Grundsätze hat dabei zugenommen. Kann auch ein Prinzip
klarer und einfacher sein als meine Forderung? Man höre:
Welchem Zweige des Kunstgewerbes ein Gegenstand
auch angehören mag, bei der Darstellung eines jeden hat
man vor allem darauf zu sehen, dass der Bau und die äussere
Gestalt seinem eigentlichen Zweck und seiner naturgemäss en
Form vollkommen angemessen seien. Nichts ist berechtigt,
was nicht ein Organ bildet, oder ein Bindeglied der verschie-
denen Organe untereinander; kein Ornament darf Geltung
finden, das nicht organisch sich anfügt.

Alles, was ausserhalb dieser konstruktiven Auffassung
liegt, ist im Kunstgewerbe sinnlos, vernunftwidrig und un-
fruchtbar, und ich spreche dieser Sinnlosigkeit, Vernunftwidrig-

Spiise-Zimmer im Hause des Senators Hehn; Gcsamt-Ansicht.

Gebr. Wasserstradt, Lübeck.

Speise-Zimmer ; Kopf-Wand.
 
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