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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 13.1902

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Velde, Henry van de: Werkstätten für Handwerks-Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.6713#0165

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INNEN-DEKORATION.

MARGARETE JUNGE—DRESDEN. Schränkchen für Bücher.

können, und dass sie den Reiz besitzen, dessen eine
ganze Klasse von Menschen bedarf. Diese Klasse
sind die Feinen, mit Geschmack, die aber einen aus-
gesprochenen Geschmack für die Einfachheit besitzen.
Diese Klasse Menschen ist folglich nicht gewöhn-
lich, und wenn sie auch keine eigene Individualität
besitzen, so sind sie doch der ganzen Aufmerksam-
keit der Künstler würdig. Dass diese Klasse nun
in zwei jungen Damen die genauen Vertreter
ihres Karakters gefunden hat, scheint mir kein
Zufall; da die Unpersönlichkeit einer der Haupt-
Wesenszüge der Frau ist, so liegt nur etwas sehr
Natürliches darin, dass auch Frauen die Eleganz
und den guten Geschmack verkörpern. Die Ein-
fachheit, die bei der einfachen Frau leicht ein wenig
derb wird, tritt in den Werken Frl. Kleinhempels
und Frl. Junge's, zuweilen mit Grösse, immer mit
Würde hervor. Nur ausnahmsweise weichen sie
von ihrem Ziele ab und lassen sich von der Fantasie
leiten. Dass ein Affe unter einer Vitrine nieder-
kauert, um sie zu tragen, und dass nachgemachte
Blumen-Guirlanden an den Möbeln hängen, kommt
nur selten vor, und das Bestreben, nur für die Kon-
struktion geeignete Mittel zu wählen, ist augen-
scheinlich. Wir sind noch weit von den verstandes-
mässigen und folgerechten Konstruktions-Prinzipien,
von denen ich in dem April-Heft gesprochen habe,

entfernt, aber wir sind nicht am entgegengesetzten
Ende. Einer einfachen Konstruktion, ohne alle
Raffiniertheiten, entlehnen sie ihre Formen; ich
kann nicht sagen, dass sie durchaus wünschen, dass
sie neu sind, aber ich fühle, dass sie wahrhaft glück-
lich sind, wenn diese Formen noch nicht dagewesen
sind. Nun aber passt sich ihr Werk hierin in manchen
Zügen noch dem Karakter dieser Klasse von feinen,
weichen und einfachen Leuten an.

Das weiss lackierte Schlaf - Zimmer von Frl.
Kleinhempel fasst am klarsten diese Eigenschaften
zusammen, und der Schrank (S. 156) gibt am besten
den Begriff des Umfanges, den ihr Talent erreichen
kann, wieder. Dieser Schrank ist vollkommen, und
auch an den Schlaf-Zimmer-Möbeln kann niemand,
so wie sie sind, etwas auszusetzen finden. Ihr Reiz
und ihre Einfachheit sind unleugbar, sowohl für die,
welche sie nach ihrem Geschmack finden, wie auch für
die, welche sie nicht nach ihrem Geschmack finden.

In ihnen liegt die ganze Weite der Entfernung,
zwischen denen, die einen ausgesprochenen Ge-
schmack haben, und denen, die Geschmack haben!
Die gewöhnlichste Tischlerei könnte uns etwas
ebenso Würdiges und Schönes bieten, wie die von
Frl. Kleinhempel und Frl. Junge gemeinsam ent-
worfenen Garten-Möbel, wenn dieses Handwerk
nicht durch die grosse Dummheit einer ganzen
Klasse Handwerker in den vollsten Misskredit ge-
fallen wäre; diese Leute fanden früher in sich selbst
und in der Tradition eine Menge ingenieuser, ge-
sunder und schöner Dinge, die ohne Anspruch auf
monumentale Schönheit, schön durch ihren ruhigen
und glücklichen Anblick, schön durch die gute
Ausführung und durch die gesunde Auffassung sind.

Solche Versuche werden Frl. Kleinhempel
und Frl. Junge zu Folgen bringen, die sie jetzt
selbst noch nicht zu ahnen scheinen. Ein Tisch von
Frl. Kleinhempel (S. 159) verkündet einen Um-
schwung zu Grösserem und es scheint, als ob ein
Sprung sie uns genähert hätte. Ausser den Latten
zwischen den Füssen, finden sich keine Spuren vom
»Chippendeal-« oder »Biedermeyer-Stil«. Ein rundes
Kanapee von Frl. Kleinhempel zeigt dieselbe Tendenz.
So sehr ich mich freue, dass sie sich meinem Ideal
nähern, so sehr möchte ich sie vor einem zu männ-
lichen Karakter bewahren. Wir haben genug
»Männer« in unserer Bewegung, und die Prinzipien,
die wir vertreten, müssen derart geschmeidig werden,
dass die »Frauen« dabei nichts von ihren eigenen
Eigenschaften einbüssen. Im April-Heft habe ich
Werke von Frl. von Brocken reproduziert, die nach
den verstandesmässigen und folgerechten Kon-
struktions-Prinzipien entworfen sind, welche aber doch
ein genügend weibliches Empfinden zur Schau tragen.
 
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