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Jahrbuch für den Zeichen- und Kunstunterricht — 3.1907

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Des Jahrbuches vierter Teil. Überblick über den Stand des Zeichenunterrichtes in den verschiedenen Ländern
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Erste Abteilung. Deutsches Reich
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Erstes Kapitel. Preussen
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Chrosciel, G.: Leherbildungsanstalten: kurze Geschichte und gegenwärtiger Stand des Zeichnens an den preussischen Lehrerseminaren
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https://doi.org/10.11588/diglit.74115#0159

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1. Kapitel. Preußen. IV. Lehrerbildungsanstalten.

135

IV. Abschnitt. LEHRERBILDUNGSANSTALTEN.
KURZE GESCHICHTE UND GEGENWÄRTIGER STAND DES
ZEICHNENS AN DEN PREUSSISCHEN LEHRERSEMINAREN.
Von G. CHROSCIEL, Könige. Seminarlehrer, BARBY.
Das Zeichnen an den Lehrerbildungsanstalten eines Staates muß in engem Zu-
sammenhänge mit dem Zeichenunterricht seiner Volksschulen stehen. Das Zeichnen
der preußischen Volksschule ist noch nicht alt. Kaum hundert Jahre rückwärts,
und wir finden nur die spärlichsten Anfänge von dem, was wir heute Volksschul-
zeichnen nennen. So ist es erklärlich, wenn auch das Zeichnen an den preußischen
Lehrerseminaren neueren Datums ist.
Um den Entwicklungsstandpunkt des Zeichenunterrichts in den einzelnen Stadien
des Werdens unserer Lehrerseminare zu kennzeichnen, bedarf es eines Gradmessers
für denselben. Dieser ist am besten in der Aufgabe des Zeichenunterrichts einer
Lehrerbildungsanstalt gegeben.
1. Aus dem Wesen der Fachschule, die ihren Zöglingen vor allem das zu ver-
mitteln hat, was sie in ihrem Unterrichte verwerten sollen, ergibt sich als erste
Aufgabe: Befähigung zur Erteilung des Zeichenunterrichts.
2. Der ganze Elementarunterricht seit Pestalozzi fußt auf der Anschauung, die
der Elementarlehrer zu vermitteln hat an wirklichen Gegenständen, an Abbildungen
und zu einem großen Teile mit der Kreide in der Hand durch Zeichnungen an der
Wandtafel. Der Zeichenunterricht, den der Seminarist erhält, ist demnach in den
Dienst dieses Anschauungsprinzips zu stellen, d. h. der zukünftige Lehrer soll be-
fähigt werden, mit klarem Auge und sicherer Hand die verschiedensten Gegen-
stände an der Wandtafel zu entwerfen und so in den Besitz eines Erklärungs-, eines
Unterrichtsmittels gesetzt werden, das verständlicher zu den Kleinen spricht, als die
klarste und deutlichste Schulsprache.
3. Der allgemeinbildende Wert des Zeichenunterrichts ist natürlich auch für den
Seminaristen da. Übung des Auges und der Hand, Pflege des Formensinnes und
Anregung des ästhetischen Gefühls sind demnach Aufgaben auch des Seminar-
zeichnens. Abgesehen nun davon, daß durch Erreichung der unter 1 und 2 ge-
nannten Ziele auch diese Zwecke mit gefördert werden, ist es doch noch notwendig,
daß durch eine über die direkten Zwecke der Volksschule hinausgehende Zeichen-
fertigkeit, durch — sagen wir kurz — künstlerische Selbstbetätigung, der Seminarist
auf eine höhere Stufe der Allgemeinbildung gehoben wird, daß er die Fähigkeit
erlangt, das Schöne in Natur und Kunst mit sicherem Blick und Takt zu finden,
und vor die Werke unserer großen Künstler mit dem Verständnis zu treten, das
man von einem gebildeten Manne, von jemand, der anderen ein Führer zum
Schönen sein soll, verlangt. — Fassen wir noch einmal kurz zusammen: durch den
Seminarunterricht soll der Seminarist lernen
1. Erteilung des Zeichenunterrichts in der Volksschule.
2. Den Gebrauch der Kreide im Dienste der Anschauung.
3. Der Zeichenunterricht soll seine Allgemeinbildung erhöhen.
Es sollen nun diese drei Lehraufgaben als Gradmesser bei der Kritik des
Zeichenunterrichts der preußischen Seminare in seinen verschiedenen Entwicklungs-
perioden gebraucht werden.
Die ersten bescheidenen Anfänge dieser Entwicklung reichen in die Mitte des
18. Jahrhunderts zurück. Der erste ausführliche und überlieferte Lehrplan eines
preußischen Lehrerseminars ist derjenige des Heckerschen Volksschullehrerseminars
zu Berlin. (Jetzt Köpenick.) Fast alle Unterrichtsdisziplinen, die heute im Lehr-
plane eines Seminars zu finden sind, werden hier als obligatorische Unterrichts-
gegenstände besonders namhaft gemacht. Der Besuch der „Handzeichnungsklassen"
der Kunst- und deutschen Schule wird den Zöglingen, die Zeit, Kopf und Neigung
haben, nur empfohlen. Diese fakultative Stellung des Zeichenunterrichts mag wohl
in den meisten Seminaren die nächsten 50 Jahre hindurch herrschende Praxis ge-
wesen sein. Wenn wir die Geschichte und Einrichtung einzelner Lehrerseminare
verfolgen, findet sich, daß erst um 1820, also in einer Zeit, in der Pestalozzische
 
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