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Jahrbuch für den Zeichen- und Kunstunterricht — 3.1907

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Des Jahrbuches siebenter Teil. Literatur
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Wunderlich, Theodor: Der Zeichenunterricht im Jahre 1905 im Lichte seiner Literatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.74115#0680

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656

Literatur. I. Der Zeichenunterricht im Jahre 1905.

Kunst zurückkehren als zu dem Sonntag unseres Lebens, wodurch diesem erst die
volle Weihe gegeben wird — daß wir uns aufs neue ein Herz fassen zur Freiheit
und den Mut haben, uns menschlich und politisch frei zu machen und frei zu
halten." Diesen Worten können Professor Dr. Lyons67) Äußerungen angeschlossen
werden: „Zum Genuß des Echten, Wahren in der Kunst führt nur das tiefere Kunst-
verständnis. Und in dieses dringen wir nur ein durch ernste, strenge Arbeit, durch
feinsinnige, tiefdringende Analyse der Kunstwerke. Es gibt keinen anderen Weg.
Zur ernsten Kunstarbeit wollen wir unsere Jugend erziehen, zur strengen Schulung
von Auge, Hand und plastischem Gefühl, nicht zum Kunstgenüsse. Denn zu
diesem steigen wir nur durch ernstes Ringen, durch tiefdringende Arbeit auf. Der
soll nur winken als herrlicher Preis unserer Arbeit. Und so nur soll unsere Jugend
den Genuß auffassen und verstehen lernen."
Daß viele, die anfänglich der Kunstfrage das wärmste Interesse entgegen-
brachten, heute zurückhaltender in ihren Lobpreisungen sind, beweist am besten
die Einleitung zu Pretzels Referat über den dritten Kunsterziehungstag in Ham-
burg68): „Etliche schrieen so, etliche ein anderes, und war die Gemeinde irre, und
das mehrere Teil wußte nicht, warum sie zusammengekommen waren". Und
Professor Dr. W. Stein äußert69): „Aber andererseits hat man auch vielfach über
das Ziel hinausgeschossen und die Bedeutung einer künstlerischen Durchdringung
unseres Lebens übertrieben. Deshalb muß man Selbständigkeit bewahren und
eine vielleicht altmodische Zurückhaltung gegenüber dem Angebot an wirklicher
und sogenannter Kunst verfolgen. Denn mit der temperamentvollen Bestimmtheit,
wie sie besonders den modernen Künstler oft auszeichnet, wird heutzutage an dem
Laien mehr herumgedoktert, als diesem selber immer lieb ist; er wird zum Gegen-
stand oder Opfer des recht unbestimmten Begriffes der Kunsterziehung, deren un-
gemütlichste Seite neben manchem Guten die ist, daß sie mit dem guten Alten so
schonungslos aufräumt, um oft ein anderes, aber nicht immer besseres dafür zu
bieten." W. Dirks schließt seine Broschüre „Das Problem der künstlerischen
Erziehung" (Berlin, Gerdes und Hödel), die ganz auf dem Boden von Konrad
Langes Werk „Das Wesen der Kunst" steht, mit den Worten: „Möge aber auch die
Pädagogik glücklich den Gefahren entgehen, die das neueste Schlagwort „künst-
lerische Erziehung" mit sich bringt."
Eine ausführliche Übersicht über alle Vorschläge, die bisher bezüglich der
künstlerischen Erziehung der Jugend und des Volkes gemacht worden sind, gibt
O. Schultz70). E.Kösters entwickelt in seiner Programmabhandlung „Natur und
bildende Kunst. Anregungen zur Pflege des Kunstsinns in höheren
Schulen" (Paderborn, Schöningh. 0,60 Mk.) keine neuen Gedanken; was er bietet,
sind abgeklärte Meinungen, die zur Bekräftigung der früher gewonnenen Ansichten
in dieser Frage dienen.
In den allgemein bildenden Schulen muß der Zeichenunterricht als Hauptträger
der Kunstbildung angesehen werden71'). Jedoch die Bedeutung dieses Unterrichts

67) 0. Lyon, Schi11ergedächtnis und Schule. Z. f. deutsch. Unterr.
Jg. XIX. S. 209—232. Ein Teil dieser Abhandlung ist unter der Überschrift: „Ein
Mahnwort von berufenster Seite" in der Kreide, Jg. XVII., S. 176—177, abgedruckt
worden. Dieser Auszug fand weiter Aufnahme in der Mecklb. Gew. Schlztg. Jg. VIII.
S. 40.

68) Pädagogische Ztg. Jg. XXXIII. Nr. 43. S. 821—824. — Vergleiche die ein-
leitenden Worte über Kunsterziehung von Flinzer in Kapitel XIV, Jg. XIX, der
Jahresberichte über das höhere Schulwesen, herausgeg. von Rethwisch.

69) W. Stein, Kinderspie1zeug. Daheim. Jg. XXXXII. Nr. 10. S. 21.

70) O. Schultz, Betrachtungen über das Thema für die Direktorenkonferenz
der Provinz Sachsen: „Was kann innerhalb der Grenzen der gegen-
wärtigen Lehrpläne seitens der Schule für die Pflege des Kunst-
sinnes und Kunstverständnisses geschehen?" D. Bl. Zeh. K. U. Jg. X.
S. 279—285, 295—301, 313—315, 327—333, 349—354.

71) F. Ulm, Der Zeichenunterricht als Träger der Kunstbi1dung.
Bayer. Zeitschr. f. Realschulwesen. Bd. XIII. Heft I. — R. Bürckner, Der
Zeichenunterricht als Träger der Kunstbildun g. Wiesbaden, Gut. —
Kaiser, Zeichenunterricht und Kunstanschauung. Kehrs Pädag. Bl.
Jg. 1905. Heft VIII.
 
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