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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 5.1911

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Kurth, Betty: Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient
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https://doi.org/10.11588/diglit.18127#0049
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Bftty Kurth Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient

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von Giottos Einfluß stand und man fast überall in giottesker Weise malte und komponierte,
zeigen sich in Verona nur ganz leise Wellen dieser gewaltigen Kunstströmung.

Das ist um so rätselhafter, als Giotto in dem nahen Padua, wo im letzten Drittel des
XIV. Jhs. die veronesische Malerei ihre höchsten Triumphe feierte, sein bedeutendstes und
einflußreichstes Werk schuf und uns sogar berichtet wird, daß er in Verona selbst im Palast
der Scaligeri gemalt haben soll55). Es kann also keinem Zweifel unterliegen, daß die vero-
nesischen Künstler seine Werke aus unmittelbarer Anschauung gekannt haben.

Um uns den großen Unterschied zwischen dem veronesischen Kunststil des XIV. Jhs.
und dem Stil der toskanischen Landschaft klarzumachen, müssen wir vor allem ein Werk
betrachten, das von einem Zeitgenossen Giottos in unmittelbarer Nähe von Verona gemalt
wurde. Es sind dies die Fresken im Kastell zu Avio56) (Fig. 8). Avio ist ein auf öster-
reichischem Gebiet zwischen Trient und Verona unmittelbar an der italienischen Grenze
auf steilem Felsen gelegenes Schloß, das seit seiner Erbauung im XIII. Jh. bis vor wenigen
Dezennien im Besitze der Grafen von Castelbarco war. Die Fresken befinden sich nicht im
Kastell selbst, sondern in einem kleinen etwas tiefer gelegenen isolierten Gebäude, wo sie
die Wände eines kleinen Gemaches im ersten Stock in streifenförmiger Anordnung umziehen.
Dargestellt sind, abgesehen von einigen Ringergruppen und einem heiligen Georg an der
Fensterwand, mannigfache Kampfszenen, die sich möglicherweise auf Grund der zahlreichen
angebrachten Wappen und Embleme mit historischen Ereignissen identifizieren lassen dürf-
ten. Das wiederholt vorkommende Wappen der Castelbarco, ein roter Löwe auf weißem
Feld, deutet darauf, daß wir hier Szenen aus der Geschichte des Fürstengeschlechtes selbst
zu sehen haben57).

Das Charakteristische des Werkes ist seine Tapetenwirkung. Eine ähnliche dekorative
Wirkung mag die berühmte Tapete von Bayeux, die einer phantastischen Tradition zufolge
von Mathilde, der Gattin Wilhelms des Eroberers, gestickt wurde, geübt haben. Die matten,
erdigen, pastellartigen Farben tragen nicht die Funktion der Modellierung, erhöhen nicht die
Plastizität der Formen, sondern sie dienen einzig zur Ausfüllung konturierter Flächen. Die
Umrißzeichnung dominiert. Diesem Zeichenstil entsprechend sind die zumeist in Profilansicht
gegebenen Gesichter scharf geschnitten, mit großen Augen und auffallend langen, etwas über-
hängenden Nasen. Eine tiefe Falte, die sich von der Nase zu den Mundwinkeln zieht, ver-
leiht ihnen etwas Wildes, Grausames. Einzelne Bogenschützen mit langen Bärten und bösem
Gesichtsausdruck scheinen sogar geradezu wilde Barbarenstämme repräsentieren zu wollen.
Giottos milden, formschönen und wenig individualisierten Typen gegenüber bilden diese
Figuren einen scharfen Gegensatz.

Ein weiteres Charakteristikum für die Fresken in Avio bildet die Vorliebe für zeitge-
mäße Waffen, Trachten und Kampfweisen. Es ist dies ein Zug, der auch der ganzen spätem
veronesischen Kunst eigentümlich ist und der einerseits mit der Vorliebe der veronesischen

H) Giorgio Vasari: Le Vite dei piü eccellenti pittori vol. III, pag. 417—418. — Heinz Braune: Die kirchliche

scultori ed architettori. (Ediz. Milanesi) Vol. I, pag. 389. Wandmalerei Bozens um 1400. Zeitschrift des Ferdinan-

Diese Nachricht ist allerdings mit Mißtrauen aufzunehmen. deums 1906, Taf. I, — Mitt. Z. K., N. F., Bd. XIX, pag. 188,

50) Sieker: Offizieller Bericht über die Verhandlungen Bd. XXV, pag. 40 und 110 und 154. — Kurt Zoege

des VII. internationalen kunsthistorischen Kongresses in v. Manteuefei.: Die Gemälde und Zeichnungen des Antonio

Innsbruck 1901. — Diego Sant' Ambrogio: II Castello Pisano aus Verona, Halle 1909, S. 77.

d'Avio nel Trentino fra Peri ed Ala. Milano, 1905. — 57) Solche Darstellungen, mit welchen einzelne Fürsten

Gino Fogoi.ari: Gli affreschi del Castello di Sabbionara ihre eigenen Heldentaten oder die ihrer Vorfahren verherr-

di Avio. Tridentum X, April 1907 mit Abbildungen. — Er- liehen ließen, sind insbesondere in der nordischen Kunst

wähnt von Ahoi.fo Venturi: Storia dell' arte italiana nichts Seltenes.
 
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