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Prandtl, Zur Rekonstruktion des Parthenon-Ostgiebels.

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das Gepräge einer späteren Zeit an sich: die unteren Extremitäten lang, der Ober-
leib kurz, die Gurtung hoch —, daß es eine naheliegende Vermutung ist, sie als
späte Zutat des Kompilators zu betrachten. — Doch andrerseits erwäge man, wie
unmöglich und gequält die Anordnung dieser Nike zwischen Zeus und Athena ist:
links kollidiert das Flügelende mit Zeus' Zepter, rechts müssen sich der Kranz und
Athenas Haupt in ähnlicher Weise berührt haben. Man darf wohl annehmen, daß
auch der Künstler gegen diesen Fehler nicht empfindungslos war, und wenn er
dennoch die Nike in seine Komposition hereinzog — da sie für die Verständlichkeit
der Szene doch ebensogut auch wegbleiben konnte —, so mußte er wohl durch
das Vorbild, nach dem er arbeitete, hierin gebunden sein. Freilich wird dies Vor-
bild nicht in gleich unkünstlerischer Weise Nike zwischen Zeus und Athena, sondern
kann sie nur über denselben angeordnet haben, auch waren Zeus und Athena
sicherlich nicht, wie auf unserem Relief, durch eine klaffende Fücke von einander
getrennt. Schiebt man nun aber die beiden letzteren so weit aneinander, daß die
Fücke verschwindet, so muß gleichzeitig auch Nike höher gerückt werden, so daß
sie über Zeus und Athena zu liegen kommt: Haupt, Kranz und Flügelenden
bezeichnen dann ohne weiteres den Verlauf der absteigenden Schenkel eines Giebel-
dreiecks. Es bestätigt sich sonach, was bereits oben über die Herkunft des Madrider
Reliefs ausgesprochen wurde V — Nach allem also wäre es recht wahrscheinlich, daß
die Gruppe mit der Nike einem Giebeldreieck, dem des Parthenon, entstammt, daß
also auch die Nike auf ein Vorbild aus der Schule des Phidias zurückgeht.
Ich denke, der Verfertiger unseres Puteais war nicht der erste, der die
phidiasische Darstellung der Geburt der Athena in die Kleinkunst übertrug. Es wird
ihm eine längere oder kürzere Überlieferung im Kunsthandwerk vorangegangen sein,
die sich letzten Endes auf eine oder einige wenige Arbeiten zurückführte, welche
wirklich direkt nach dem Original in Athen kopiert waren, während man sich im
übrigen an diese einmal gemachten Übertragungen der Rundplastik in Relief sowie
an deren Nachbildungen hielt und sich freilich auf diesem Wege auch mehr und
mehr vom ursprünglichen Typus entfernte. Wenn Nike mehr als die übrigen Figuren
unter diesem handwerksmäßigen Betrieb zu leiden hatte, so mag dies darauf zurück-
zuführen sein, daß die Gestalt der schwebenden Nike in späteren Zeiten, da die
anderen Gestalten kaum die Geltung von viel verwendeten Typen hatten, ein
beliebtes und oft wiederholtes Motiv bildete und somit die Neigung bestehen mußte,
in die alte Vorlage die korrumpierte Auffassung der modernen Zeit hineinzutragen.
Eine Art Bestätigung der schwebenden Nike für den Ostgiebel des Parthenon
mag in den Reliefs der Pergamener Gigantomachie erblickt werden: auch hier finden
wir ihre Gestalt der Göttin Athena beigesellt ü während letztere bekanntlich eine
12) Ein weiteres Anzeichen ist in der Gestalt des von Zeus' Haupt und die Spitze des Zepters
thronenden Zeus gegeben, worauf mich Herr folgen einander in einer Höhenabstufung, welche
Gymnasiallehrer Eichhorn aufmerksam macht; den schrägen Verlauf des oberen Giebelrahmens
die Rücklehne des Thrones, die Scheitelhöhe deutlich angibt.
 
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