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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 21.1906

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Poulsen, Frederik: Zur Typenbildung in der archaischen Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.29676#0187
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ZUR TYPENBILDUNG IN DER ARCHAISCHEN
PLASTIK.

i.
Ist die Nacktheit der auf den Dipylonvasen dargestehten Figuren stilistischer
Art oder wird sie durch den Inhalt der Darstellung selbst bedingt? Ist es Stil oder
dürfen wir darin Wirklichkeit sehen? Diese alte Streitfrage ist wieder von W. A. Müller
aufgenommen und in dem Sinne gelöst worden, daß er nicht nur, wie früher Dümmler,
für die nackten Klagefrauen der Trauerszenen, sondern überhaupt für die nackten
Männer und Frauen sowohl in der Dipylonmalerei wie in den gleichzeitigen plastischen
Darstellungen vollkommene Übereinstimmung mit dem Leben annimmt und für
jeden einzelnen Fall eine besondere Erklärung der Nacktheit zu geben versucht'.
So deuten nach ihm z. B. die nackten Frauen der großen Grabvasen durch ihre
Nacktheit an, »daß sie sich dem Toten preisgeben wollen, um seine Seele den
Überlebenden gnädig zu stimmen«. Gleich da drängen sich aber eine Reihe Fragen
auf: warum sind denn bisweilen einige Klagefrauen, und zwar die, welche dem Toten
am nächsten sind und unter der Bahre knien, bekleidet"? Warum sind die Klage-
frauen der böotisch-geometrischen Hydria im Louvre alle bekleidet"? Böotien ist
doch sonst ein Land alter Tradition und überschwenglicher Trauerfeier, und die
Gesten dieser Klagefrauen sind noch heftiger als die der Dipylonhguren. Warum
sind ferner die sicher als Klagefrauen zu deutenden Terrakotten fast immer bekleidet*?
Wenn Müller ferner für die nackten Frauen der Tanzszenen eine ähnliche Erklärung
hndet, daß sie sich dem Gotte — warum eigentlich nicht dem anwesenden Zither-
spieler? '— preisgeben wollen, und andererseits meint, daß die spinnenden Frauen einer
Dipylonschale in Athen (Abb. i)" sich ihres Peplos entledigt haben, weil sie im Innern
des Hauses arbeiten, dann können wir uns auch mit diesen Erklärungen nicht zufrieden
geben; denn auch die Frau, welche auf dem geometrischen Bronzegitter aus der
idäischen Höhle eine Kuh melkt, und ihre Gefährtin, die mit einem Schallbecken
dazu Musik macht, sind nackt, obwohl die Szene doch wohl auf dem Felde spielt".

i) W.A. Müller, Nacktheit und Entblößung in der 2) Poulsen, Dipylongräber und Dipylonvasen 123.
altorientalischen und älteren griechischen Kunst, 3) Pottier, Vases du Louvre, Taf. 21 A. 573.
Leipzig 1906. 77ff. Dümmler, PhilologusLIII 4) Collignon, Revue des et. gr. XVI 1903, 300E.
1894, 212 Anm.n. Vgl. Savignoni, Monum. dei $) Collignon-Couve, CatalogueNr.3$i.Vgl.Poulsen
Lincei XIV 1904, 88 Anm. 1. a. a. O. 115.
6) Museo Italiano di Ant. CI. II Atlas Taf. XI 5.
 
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