Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 21.1906

DOI Artikel:
Poulsen, Frederik: Zur Typenbildung in der archaischen Plastik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29676#0188
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
i;8

F. Poulsen, Zur Typenbildung in der archaischen Plastik.

Wann haben die Frauen denn überhaupt Kleider getragen? Warum steht auf einem
Bronzeblech von Olympia eine nachte Frau einem ebenfalls nackten Manne gegen-
über, mit einem Kinde und einer Kithara in der Mitte U Warum sind die Wagen-
lenker der Dipylonvasen langbekleidet, die der gleichzeitigen Bronzen und Terra-
kotten nacktT Also das Umgekehrte von dem, was wir bei den Klagefrauen in
Zeichnung und Plastik vorfanden. Dieses genügt, wie ich glaube, um zu zeigen, welche
schwierigen Probleme für die damalige Sittengeschichte die Ansicht Müllers stellt.
Daß die Nacktheit primitiver Kunst überhaupt nicht auf Nachahmung der
Wirklichkeit zu fußen braucht, zeigen am deutlichsten die Felsenzeichnungen der
nordischen Bronzezeit, die
sogenannten »Helleristnin-
ger«, in denen immer
nackte, bisweilen durch die
Geschlechtsteile näher cha-
rakterisierte Figuren auf-
treten, während die gleich-
zeitigen Gräberfunde, die
Eichensärge aus den Torf-
mooren, uns über die reich-
liche Bekleidung der da-
maligen Männer undFrauen
belehrend Es sind hier
wie auf den vorgeschicht-
lichen Vasen und Zylindern
Aegyptenswo wenig-
stens die Männer nackt auf-
treten, zeichnerische Prin-
zipien entscheidend. Auch das Kind gibt, wenn es ein Menschenbild zeichnet, Kopf,
Körper, Arme und Beine wieder, aber denkt nicht daran, das Geschlecht oder die
Bekleidung mit darzustellen — das versteht sich von selbst, mit Hilfe der Phantasie.
Durch die Fortschritte der Ethnographie haben wir freilich den Glauben an die naive
Anmut der Naturvölker verloren, aber in ihrer Kunst begegnet uns tatsächlich etwas
von kindlicher Unschuld. Echte Kinderzeichnungen sind z. B. die Figuren auf den
trojanischen Spinnwirteln und auf den ältesten Phylakopivasen. Erst allmählich erwacht
das Bedürfnis nach näherer Charakteristik. Auf den Dipylonvasen muß man häufig
aus der Situation das Geschlecht erschließen, wie wenn eine Figur zwei Pferde zügelt
oder eine andere einem Frauenchor zugewendet und leierspielend dargestellt ist".

?) Olympia IV Taf. XVIII 296. i°) Capart, Primitive Art ofEgypt n6f. Catalogue
S) Müller, Nacktheit 86. Olympia IV Taf. XV des Antiqu. Egypt. du Musee du Caire Bd. iS:
248—250. Quibell, Archaic objects Taf. 22 u. 59 Nr. 14518.
9) Soph. Müller, Nordische Altertumskunde 15248'. n) Napf in Dresden, Archäol. Anzeiger 1900, 110
und 4668*. Nr. 1. Trojanische Spinnwirtel: Schliemann, Ilios


Abb. 1. Dipylonschale in Athen.
 
Annotationen