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Pernice, Zwei Vasenbilder.

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Dionysos Wein verlangt, reicht ihm der Gott seinen Kantharos und sagt kühl zu
ihm: »Ich habe leider nichts mehr und kann euch nichts abgeben, bitte, sieh selbst
zu.« Doch so leicht lassen sich die Gäste nicht abspeisen. Vom Duft des Weins
aufs höchste erregt, drängt sich der Silen mit der Kithara ungestüm zwischen Kline
und Speisetisch und schnüffelt dem verborgenen Schlauch nach, den er wittert, aber
nicht entdecken kann. Mit lauten Vorwürfen reden die Mänaden und der andere
Silen auf Dionysos ein, und auch Hephaistos kann sein Erstaunen nicht unterdrücken,
daß der Inhalt des einen Kantharos aller Wein sein soll, den sich der Gott mit-
gebracht habe. Nur Hermes sagt nichts, er weiß genau, daß hier noch etwas zu
machen ist. Denn er hat schnell bemerkt, daß das Kissen, auf das sich Dionysos
gelagert hat, ganz anders aussieht, als es sonst Kissen tun: es hat einen schönen
Überzug wie andere Kissen auch, aber es sieht so merkwürdig aus und schwankt
unter der Bewegung hin und her. Heimlich greift er mit der linken Hand danach und
merkt zu seinem größten Vergnügen, daß der eine Zipfel des Kissens, der vom Überzug
unbedeckt geblieben ist, nichts anderes ist als der Zipfel eines Weinschlauches, und
dicht darüber fühlt er auch die zugebundene Mündung. So hat er das Rätsel gelöst;
der Schlauch, den Dionysos so schön, aber zu hastig versteckt hatte, ist zu dessen
größtem Ärger entdeckt. Unter dem Jubel der Besucher muß der Gott das Schlauch-
kopfkissen hervorziehen, und nicht einen einzigen Tropfen werden ihm die Gäste
darin zurücklassen.
So denke ich mir den Inhalt des Bildes, das mit packender Lebendigkeit ein
Vasenmaler aus der Schule des Amasis oder Exekias auf die Vorderseite einer Hydria
gemalt hatk Woher hatte der Maler den Stoff? Soll man ihm die Erfindung der lustigen
Szene selbst zuschreiben oder liegt ihr eine Quelle irgendwelcher Art zugrunde?
Um diese Frage zu beantworten, empfiehlt es sich, in der Gesamtstimmung
verwandte Szenen aus Monumenten und literarischer Überlieferung heranzuziehen.
Als ein passender Vergleich bietet sich, wie ich glaube, die Szene mit der Rück-
führung des Hephaistos auf der Frangoisvase dar. Eine lange lustige Geschichte
ist in dem Rahmen eines einzigen Bildes mit feinem, künstlerischem Takt zu einer
Einheit zusammengefaßt, kein wesentlicher Zug ist fortgelassen. Das Hauptinteresse

i) London B 302. Catalogue of the greek and
etruscanvasesintheBr. M. IIS. 175. Walters
hat die Bewegung der linken Hand so verstan-
den, als ob sie eine Weinrebe halte. Ein
kleiner Irrtum ist am Schluß seiner Beschreibung
zu berichtigen: 'In the Held, branches, and below
the couch an uncertain object, perhaps a large
keras'. Es ist der — in ähnlicher Bildung
häufig vorkömmende ^— Stamm der mächtigen
Weinrebe. R. Zahn hält die Hydria für etwas
entwickelter als Amasis oder Exekias und führt
dafür die fast übertrieben feine Innenzeichnung
z. B. am Bart des Dionysos an, die in der
Abbildung nicht ganz so fein herauskommt,

sowie die gekräuselten Faltenzüge am Chiton
und die gezackten Konturen am Bauche der
Silene. Jedenfalls ist der Abstand von jenen
Meistern nicht groß. Besonders schön und mit
vielem Behagen gemalt ist der wüste Silen in
der Mitte, dessen tierische Natur in der schnüf-
felnden Nase und den weit vorgeschobenen
Lippen glänzend zum Ausdruck kommt. Daß
das Kissen den Schlauch vorstellt, ist sicher.
Ich habe wenigstens nirgends auf schwarz- und
rotfigurigen Bildern derartige Kissen gesehen.
Vgl. die Abbildungen bei C. Ransom, Couches
and beds of the Greeks.
 
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