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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 21.1906

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Schrader, Hans: Bekrönung einer Kolossalen Grabstele in Athen
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https://doi.org/10.11588/diglit.29676#0085
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Schräder, Bekrönung einer kolossalen Grabstele in Athen.

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einer Frau in Haltung und Gewand der sogenannten Pudicitia und etwa noch das
Akroterion mit einer ganzen Mädchenfigur (Attische Grabreliefs n. 852).
Der Kopf scheint ganz realistisch behandelt gewesen zu sein, und danach
wird man das Ganze nicht vor der hellenistischen Zeit ansetzen. Gegen Entstehung
noch im 4. Jahrhundert — auf das das Palmettenschema wohl zunächst hinweist —
spricht vernehmlich die leblose Zeichnung der Palmette mit ihren eckig und schwunglos
bewegten Blättern. Gerade bei einem so anspruchsvollen Denkmal wäre so geringe
Arbeit im 4. Jahrhundert schwer verständlich. Stelen mit Palmettenakroter sind im
3. oder 2. Jahrhundert v. Chr. selten, soviel ich sehe, aber nicht unerhört. Ich nenne
die schöne Stele aus Tenos im Nationalmuseum (Kavv. 1028, Friedr.-Wolters 1801)
und, für den vorliegenden Fall wichtiger, weil attisch, die Stele des Thrasyxenos,
des Sohnes des Dositheos in athenischem Privatbesitz (Postolakka Phot. Athen. Privat-
besitz 247, Inschrift IG II, 3,2361). Zwei Dositheos aus Myrrinutte sind, worauf mich
Wilhelm hinweist, datiert, einer um 178, ein anderer, offenbar der Enkel, um 112
v. Chr. (vgl. Kirchner, Prosop. Att.). Da Leute aus Myrrinutte selten Vorkommen,
ist Thrasyxenos höchst wahrscheinlich der Sohn eines dieser beiden, wie Wilhelm
aus den Schriftformen schließen möchte, am ehesten des älteren, ist also um 130
v. Chr. anzusetzen. Bei der Zerstörung unseres Steins läßt sich ein eingehender
Vergleich mit der Thrasyxenosstele nicht anstellen, es ist aber wichtig, daß beide
den ganz ungewöhnlichen Blätterkranz unter der üblichen Akanthosstaude gemeinsam
haben. Ich würde es danach für sehr wahrscheinlich halten, daß auch der neue
Stein etwa dem 2. Jahrhundert v. Chr. angehört. Das wäre ein wichtiges Ergebnis,
indem es darauf hinwiese, daß damals das Gesetz des Demetrios, das die attische
Grabplastik vernichtet hat, außer Wirksamkeit gekommen ist, daß sich sogar aus
einem der verbreitetsten Typen des 4. Jahrhunderts ein neues Gebilde entwickelt hat,
ein, wenn man will, geiler und unfruchtbarer, aber doch sehr merkwürdiger Schoß
des mächtigen alten Baumes.
Innsbruck.

H. Schräder.
 
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