E. Pfuhl, Olympiaka.
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linken Ohr des sitzenden Mannes. So lange man dies Ohr der Giebelwand zuwenden
zu können meinte, nahm niemand daran Anstoß; sobald aber der Kopf in annähernde
— nicht vollständige! — Vorderansicht gedreht werden mußte, war das Unheil
geschehen. Man vergaß dabei, daß der erhobene linke Arm des Mannes mit dem
der Statik der Figur wegen unbedingt zu ergänzenden Stabe das Ohr für die Ansicht
fast vollständig deckte; auch ist der sitzende Mann bei Treu und Furtwängler der
Giebelmitte so nahe, daß man behaupten kann, seine Unvollkommenheiten kämen
auf dem weit vorgeschobenen Platze vor den Pferden viel mehr zur Geltung als
bei Einfügung in die Figurenreihe der linken GiebelseiteU Wenn die Figur keine
Plinthe hat, so liegt es am nächsten, das aus der Knappheit des Blockes zu erklären.
Nachträgliche Abarbeitung ist nicht erweislich, wäre übrigens auch wieder am ehesten
auf den Raumzwang der Giebelecke zurückzuführen Die grade Linie des linken
Oberschenkels war natürlich durch die Vorderfläche des Blocks gegeben und beruht
nicht auf Anpassung an den Geisonrand. Aber wichtiger als alles das ist die Ver-
deckung des Ohres durch den erhobenen Arm mit dem Stabe, welch letzterer ja
auch den Blick von der Kante des Blockes ablenkte — eine Erscheinung, die sich
abgeschwächt bei dem sitzenden Knaben wiederholt: auch dort schiebt der Stab des
Greises sich vor die gefährliche Schrägansicht.
Demnach liegt keine zwingende Notwendigkeit vor, die Regel von der voll-
ständigen Ausarbeitung der sichtbaren bzw. der Giebelmitte zugewendeten Teile
auf den sitzenden Mann anzuwenden. Er darf der linken Giebelseite zugewiesen
werden, wohin er als genaues Gegenstück des sitzenden Knaben E gehört.
Prüfen wir jetzt den Erfolg der Umstellung für Komposition und Inhalt der
Darstellung. Was die Komposition betrifft, so ist zunächst zu sagen, daß die ruhigen
Rückenkurven des nackten Knaben und des Mädchens vor dem Gewirr von Pferde-
beinen viel besser wirken als die weniger ruhigen Konture des sitzenden Knaben
und des Mannes. Treus Einwand, daß der Übergang von Vorderansicht in Profil
zu unvermittelt sei, hat kein Gewicht; Pelops und Oinomaos stehen ja doch bereits
schräg, und die Vasenmalerei bietet gerade für ein solches Nebeneinander Belege
(z. B. 'Eavjjj.. dpx- 1905 T. 1). Noch sehr viel größer ist der Gewinn für die Ecken,
und zwar sowohl im Sinn der Raumfüllung als der Bewegung. Zwischen den
liegenden und den sitzenden Profilfiguren an erster und dritter Stelle vermitteln
jetzt mehr oder minder nach vorn gewendete Figuren: die Komposition stellt
sich dadurch, wie zu fordern ist, zwischen den Ostgiebel des Aphaiatempels und
den Parthenon V Wie vorzüglich die Lücken gefüllt werden, zeigt ein Blick auf
die Abbildung. Dem aufgestützten Arm und dem Kopf des sogenannten Alpheios
3p Dies und noch mehr hob Furtwängler früher
selbst hervor, als er den sitzenden Mann in die
rechte Giebelecke verwies (B. ph. W. 1892, Sp.
1282).
32) So auch Furtwängler früher, vgl. Anmerkung 31.
33) Nachträglich sehe ich, daß Brunn auf Grund der
alten Aufstellung der Ägineten und der selben
Eckbildung der östlichen Giebelgruppe von
Olympia, die Furtwängler jetzt wieder vorschlägt,
zu dem gleichen Ergebnis gelangt: wieder ein
Beispiel dafür, wie Brunn bei ungenügender
materieller Grundlage kunstgeschichtliche Zu-
sammenhänge empfunden hat. (Über Giebel-
gruppen, Sitzungsberichte der bayerischen Aka-
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linken Ohr des sitzenden Mannes. So lange man dies Ohr der Giebelwand zuwenden
zu können meinte, nahm niemand daran Anstoß; sobald aber der Kopf in annähernde
— nicht vollständige! — Vorderansicht gedreht werden mußte, war das Unheil
geschehen. Man vergaß dabei, daß der erhobene linke Arm des Mannes mit dem
der Statik der Figur wegen unbedingt zu ergänzenden Stabe das Ohr für die Ansicht
fast vollständig deckte; auch ist der sitzende Mann bei Treu und Furtwängler der
Giebelmitte so nahe, daß man behaupten kann, seine Unvollkommenheiten kämen
auf dem weit vorgeschobenen Platze vor den Pferden viel mehr zur Geltung als
bei Einfügung in die Figurenreihe der linken GiebelseiteU Wenn die Figur keine
Plinthe hat, so liegt es am nächsten, das aus der Knappheit des Blockes zu erklären.
Nachträgliche Abarbeitung ist nicht erweislich, wäre übrigens auch wieder am ehesten
auf den Raumzwang der Giebelecke zurückzuführen Die grade Linie des linken
Oberschenkels war natürlich durch die Vorderfläche des Blocks gegeben und beruht
nicht auf Anpassung an den Geisonrand. Aber wichtiger als alles das ist die Ver-
deckung des Ohres durch den erhobenen Arm mit dem Stabe, welch letzterer ja
auch den Blick von der Kante des Blockes ablenkte — eine Erscheinung, die sich
abgeschwächt bei dem sitzenden Knaben wiederholt: auch dort schiebt der Stab des
Greises sich vor die gefährliche Schrägansicht.
Demnach liegt keine zwingende Notwendigkeit vor, die Regel von der voll-
ständigen Ausarbeitung der sichtbaren bzw. der Giebelmitte zugewendeten Teile
auf den sitzenden Mann anzuwenden. Er darf der linken Giebelseite zugewiesen
werden, wohin er als genaues Gegenstück des sitzenden Knaben E gehört.
Prüfen wir jetzt den Erfolg der Umstellung für Komposition und Inhalt der
Darstellung. Was die Komposition betrifft, so ist zunächst zu sagen, daß die ruhigen
Rückenkurven des nackten Knaben und des Mädchens vor dem Gewirr von Pferde-
beinen viel besser wirken als die weniger ruhigen Konture des sitzenden Knaben
und des Mannes. Treus Einwand, daß der Übergang von Vorderansicht in Profil
zu unvermittelt sei, hat kein Gewicht; Pelops und Oinomaos stehen ja doch bereits
schräg, und die Vasenmalerei bietet gerade für ein solches Nebeneinander Belege
(z. B. 'Eavjjj.. dpx- 1905 T. 1). Noch sehr viel größer ist der Gewinn für die Ecken,
und zwar sowohl im Sinn der Raumfüllung als der Bewegung. Zwischen den
liegenden und den sitzenden Profilfiguren an erster und dritter Stelle vermitteln
jetzt mehr oder minder nach vorn gewendete Figuren: die Komposition stellt
sich dadurch, wie zu fordern ist, zwischen den Ostgiebel des Aphaiatempels und
den Parthenon V Wie vorzüglich die Lücken gefüllt werden, zeigt ein Blick auf
die Abbildung. Dem aufgestützten Arm und dem Kopf des sogenannten Alpheios
3p Dies und noch mehr hob Furtwängler früher
selbst hervor, als er den sitzenden Mann in die
rechte Giebelecke verwies (B. ph. W. 1892, Sp.
1282).
32) So auch Furtwängler früher, vgl. Anmerkung 31.
33) Nachträglich sehe ich, daß Brunn auf Grund der
alten Aufstellung der Ägineten und der selben
Eckbildung der östlichen Giebelgruppe von
Olympia, die Furtwängler jetzt wieder vorschlägt,
zu dem gleichen Ergebnis gelangt: wieder ein
Beispiel dafür, wie Brunn bei ungenügender
materieller Grundlage kunstgeschichtliche Zu-
sammenhänge empfunden hat. (Über Giebel-
gruppen, Sitzungsberichte der bayerischen Aka-
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