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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 21.1906

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Sauer, Bruno: Eine Apollonstatue des Paionios
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https://doi.org/10.11588/diglit.29676#0185
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B. Sauer, Eine Apollonstatue des Paionios.

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Schwieriger ist die Beurteilung der Einzelformen, weil hier die Formgebung
des Kopisten sich einmischt. Diese Weichheit der Muskulatur, diese Zartheit der
Übergänge, dieses Zurücktreten aller Härten und Schärfen des Knochengerüstes, ist
es Paionios oder seinem Kopisten anzurechnen? Der Vergleich mit der Nike hilft
zur Entscheidung dieser Frage fast nichts, weil sie nach Geschlecht und Alter ver-
schieden ist und ihre Körperformen zumeist verhüllt sind; es muß genügen festzustellen,
daß Knie und Knöchel des linken Beines Ähnlichkeiten, d. h. keine sehr merklichen
Verschiedenheiten aufweisen. Aber nach allgemeineren Erfahrungen über die Gewohn-
heiten antiker Kopisten darf man behaupten: diese Weichheit der Formgebung, die
uns bei der Nike aus vielen Gründen berechtigt scheint, während sie uns bei dem
nach strengerem Schema und für Bronze erfundenen Apollon zunächst befremdet,
ist im wesentlichen nicht Kopistenzutat, sondern Eigenheit des Originals, sie gehört
also in diesem Falle zum Wesen der Kunst des Paionios, und die Bronze- und
Marmorwerke, die aus seiner Hand hervorgingen, waren kaum so erheblich von ein-
ander verschieden, wie sie bei schulmäßig pedantischer Rücksicht auf die Eigen-
schaften des Materials wohl ausgefallen wären. Und zwar ist dieser Stil im ganzen
der des Marmorkünstlers, und der Apollon ändert trotz seines grundverschiedenen
Charakters nicht wesentlich das Bild, das wir uns von dem Marmorvirtuosen Paionios
bisher gemacht haben.
Das führt uns endlich auf die kunstgeschichtliche Frage, die vielleicht wichtiger
ist als die Vermehrung des Werkes des Paionios um ein einzelnes Stück, das
manchem nicht einmal besonders reizvoll erscheinen mag. Die Frage, wann die Nike
des Paionios entstanden sei, ob bald nach der Mitte oder in den zwanziger Jahren
des 5. Jahrhunderts, ob vor oder nach den Parthenonskulpturen, hat man anfangs
aus den Zeitverhältnissen heraus zu lösen gehofft^; heute wird man zugeben müssen,
daß diese Hoffnungen vergeblich waren, daß für das frühere wie für das spätere
Datum sich gleich geeignete Anlässe der Weihung anführen lassen. Wenn wir jetzt
neben derNike ein zweites, stilistisch viel weniger rätselhaftes Werk desPaionios besitzen,
so dürfen wir eine bestimmtere Antwort auf die alte Frage erwarten; was historische
Kombination nicht überzeugend entscheiden konnte, muß die Stilkritik erschließen.
Die Vergleichung des Hertzschen und des Apollonkopfes mit dem Fragment
des Nikekopfes hat gelehrt, daß alle drei Werke von überraschender Ähnlichkeit
sind, und niemand wird behaupten wollen, daß ein größerer Zeitraum, geschweige
denn einige Jahrzehnte voll der stürmischsten kunstgeschichtlichen Entwicklungen
zwischen den einzelnen gelegen haben. Erlaubt eines der drei Werke eine festere
Datierung, so zieht es die anderen mit sich. Diesen Dienst leistet uns jetzt besser
als der Hertzsche Kopf der Apollon. Eine Statue dieses Typus und dieser Form-
gebung, ausgestattet mit diesem Nackenschopf, der altertümlicher Mode entspricht,
2') Ältere Literatur bei den Herausgebern der In- nicht kannte, hielt die Erwägung der Zeit-
schrift Olympia V 25$, Sp. 381 f. Sehr nützlich umstände für ausreichend, um das jüngere Datum
ist die Kritik von Koepp, Rh. Mus. 30, 1895, zu sichern.
268 ff. Treu, Olympia III 191, der diese noch
 
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