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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 21.1906

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Poulsen, Frederik: Zur Typenbildung in der archaischen Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.29676#0230
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220 F. Poulsen, Zur Typenbildung in der archaischen Plastik.

der Körperformen natürlich motivieren mußte, ein altes Schema war durch neue
Naturbeobachtung gebrochen worden. Das Motiv des Aufhebens an der Seite, das
künstlerisch nie recht verdaut worden war, mußte jetzt als eine Hinderung für den freien
Fall, für das Anschmiegen und die Durchsichtigkeit des Gewandes empfunden und
beseitigt werden. Daß es deshalb nicht sogleich verschwindet, leuchtet ein, aber
für die lebende, vorwärts strebende Kunst in der Zeit der Perserkriege war die
Losung: freie Bewegung, freier Faltenwurf.
Nur noch ein Wort über die Deutung der Koren i Es ist die feinsinnige
Deutung Lechats, welche jetzt fast allgemein angenommen wird, daß die Koren
keine Athenabilder, keine Priesterinnen, nicht einmal wirkliche Adorantinnen, sondern
einfach junge Frauen darstellen, die auf der Tempelterrasse zur Augenweide Athenas
und der Sterblichen standen^. Weil die Göttin nämlich nur von Frauen bedient
wurde, war es natürlich, auch bei der Stiftung einer oder Ssxarv] eine Frauen-
hgur zu wählen. Eine Inschrift von der Akropolis zeigt freilich, daß man auch dem
Poseidon eine Kore weihen konnte. Das nötigt uns, den Kreis zu erweitern und
das Phänomen nicht aus einem speziellen Kulte, sondern durch die Kulttradition
überhaupt zu erklären. Soweit wir sehen, treten die Koren alle mit Attributen auf,
tragen Kränze, Früchte, Vögel oder — wie die Hydrophore — einen Korb oder
ein Gefäß mit Opfergaben. Oft sind die Gegenstände, die sie halten, aus Metall
gewesen und deshalb verschwunden, und so erklärt sich auch das Fehlen vieler
Hände 3^, zugleich auch die Tatsache, daß die Schränke des Akropolismuseums so viele
offenbar mit Gewalt zerbrochene Hände bergen. Die Koren sind also Adorantinnen. In
dieser Rolle war die Frau schon seit der mykenischen Zeit heimisch, ja die Dar-
stellungen lehren, welches Übergewicht im mykenischen Kulte die Frau vor dem
Manne hatte. Die Spuren deuten überhaupt auf matriarchalische Zustände in der
griechischen Vorzeit, welche durch die vielen primitiven Völkern gemeinsame Ehr-
furcht vor dem Wesen bedingt werden, das den Samen in sich aufnimmt und, wie
die Erde selbst, in rätselhafter Weise das neue Leben aus sich heraus erzeugt^.
Die Bedeutung der Frau im Kulte erhielt sich naturgemäß, nachdem sie schon ihre
hohe soziale Geltung eingebüßt hatte. Sie muß also auch in späterer Zeit die
Vermittlerin sein, durch die der Mann sich an die Gottheit — also auch an den
männlichen Gott Poseidon — wendet^. Die Frau ist immer notwendig, aber sie
ist jetzt nur Medium: der Mann opfert, der Mann setzt auf die Tat wie auf die
Statue seinen Namen. Die Frau hat offenbar im Kulte wie im Leben ihre Persön-
lichkeit eingebüßt. Nichts erklärt die Anschauung der neuen Zeit besser als die
Worte Apollons in den Eumeniden des Aischylos^h

286) Au Musee 274ff. Vgl. Furtwängler, Meister-
werke 174 m. Anm. 2.
28?) Lechat, Au Musee 271 f. Vgl. Fig. 9 und 12.
288) Furtwängler, Gemmen III 46IT. Frazer, Golden
bough II 169 ff.

289) Vgl. die Deliaden als Vermittler zwischen dem
Gotte und den Pilgern, Bull, de corr. hell. XIV
1890, 501 f.
290) Vers 649 ff.
 
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