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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 28.1913

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Duhn, Friedrich von: Zur Deutung des klazomenischen Sarkophags in Leiden
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https://doi.org/10.11588/diglit.44288#0289
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F. v. Duhn, Zur Deutung des klazomenischen Sarkophags in Leiden.

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bitter nötig brauchte, nicht in der Scheide stecken lassen, würde überhaupt seine
Rechte irgendwie gebrauchen, statt sie ruhig und tatenlos vor der Brust zu halten;
ob sie wirklich, wie die Herausgeberin meint, einen Speer hielt, d. h. ob die schwarze
Linie, welche den Körper diagonal schneidet, sich jedoch nach unten nicht fort-
setzt, wirklich eine Lanze ist, kann man wohl nur vor dem Original entscheiden;
die Haltung der Hand spricht nicht dafür; wäre es aber in der Tat ein von der Hand
gehaltener Speer, so wäre gerade seine nach unten geneigte Haltung wiederum ein
klarer Beweis gegen die Erklärung der Gestalt als eines von dem Rechtsstehenden
angegriffenen und sich zur Abwehr bereitenden Kriegers. »Hinter der ersterwähnten
Figur steht eine Frau, welche, um den Streiter zurückzuhalten, die rechte Hand
auf dessen Arni gelegt hat.« Dies ist völlig unrichtig. Der Mann umfaßt mit seiner
Linken das rechte Handgelenk der Frau, deren rechte Hand infolgedessen kraftlos
niederhängt. Er zieht sie: daher die vorgeneigte und mit dem eigenen Körpergewicht
nachhelfende Art des Kriegers, die Stufe hinaufzusteigen! Die schwächlichere, mehr
zurückbleibende Bewegung des Kriegers zur Linken ist nur der Responsion zuliebe
nachgebildet; dieser Krieger hat keine Last nachzuziehen, sondern erhebt nur seine
linke Hand, um seine Teilnahme und innere Erregung auszudrücken. Die anderen
Krieger links und rechts sind bloß raumfüllende Zeugen der Haupthandlung.
Damit ist die Deutung gegeben. Polyxena wird von Neoptolemos heran-
geführt, um am Tyrnbos des Vaters ihm zum Opfer zu fallen. Das Schwert
ist schon gezückt, um auf den Stufen des Grabes selbst sich in die Brust
der Unglücklichen zu senken. So tritt diese ionische Darstellung in inter-
essanter Weise neben die attische Hydria in Berlin (Furtwängler I, 1902; abgeb. in
Roschers Myth. Lex. III 2735), die den gleichgebildeten Tyrnbos in halbierter Gestalt
am rechten Ende des Bildes zeigt, noch besonders kenntlich gemacht durch die aus
ihm hervorkommende, das Opfer heischende Schlange und das kleine beflügelte
Eidolon des beflügelten und gerüsteten Achilleus in der Höhe, und daneben Neopto-
lemos, der in ähnlicher, aber mehr typischer Weise das unglückliche Mädchen heran-
führt, sich zu ihr umblickend, dem bekannten Schema der Führung gemäß; auch
auf dem Sarkophag scheint er sein Antlitz ihr zugewandt zu haben, trotz des nach
rechts niedergehenden langen Helmbusches. Aber wie viel lebendiger, persönlicher
wird der ionische Maler, der mit solchem Bilde grausamen Mädchentodes einen
Sarkophag eigenartig und vielleicht nicht absichtslos schmückte! Zwar ist der zur
Linken emporsteigende Krieger künstlerisch nur als Parallelfigur zu Neoptolemos
entstanden: aber die hoch erhobene Hand, die ich vorher als Ausdruck der Erregung
erklärte, mag schon ein, wenn auch vielleicht noch halbbewußter Anfang jener
Stimmung mitleidsvoller Bewunderung sein, der Euripides in der Hekabe so edle
Worte geliehen hat.

Heidelberg.

F. v. Duhn.
 
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