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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 28.1913

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Rodenwaldt, Gerhart: Thespische Reliefs
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https://doi.org/10.11588/diglit.44288#0325
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G. Rodenwaldt, Thespiscbe Reliefs.

309

THESPISCHE RELIEFS.
Mit Tafel 24—30.
Die Stadt Thespiai hat in der griechischen Kunstgeschichte weder als Heimat
großer Meister, noch als Auftraggeberin eine bedeutende Rolle gespielt. Polygnot hat
dort Wandgemälde unbekannten Inhalts geschaffen, vermutlich zu der gleichen Zeit,
als er in Platää tätig war; vielleicht war es eine Jugendarbeit, die für die antiken
Kunsthistoriker nur darum Interesse hatte, weil sie von Pausias in einer von der Kritik
ungünstig beurteilten Weise restauriert wurde T). Seinen kunstgeschichtlichen
Weltruhm verdankte Thespiai der Laune zufälliger persönlicher Beziehungen. Viel-
leicht war es nur Koketterie, vielleicht aber auch echtes Heimatsgefühl, das Phryne
dazu veranlaßte, dem alten Gott von Thespiai eine Votivstatue und ihr eigenes
Bildnis zu weihen. Jedenfalls wird es sich aus engen persönlichen Beziehungen
erklären, daß Praxiteles für dasselbe Heiligtum des Eros noch ein drittes Werk,
eine Votivstatue der Aphrodite, schuf, das wir uns gut als eine Weihung des Künstlers
selbst vorstellen können. Noch andere thespische Skulpturen hat man für Praxiteles
in Anspruch genommen, doch sind sie zu wenig sicher bezeugt2).
Wer den Eros des Lysipp geweiht hat, wissen wir nicht, wie ja überhaupt die
Stifter von Votivstatuen relativ selten bekannt sind; wichtiger ist, daß dieses Werk
zweifellos eben den Eros des Praxiteles zur Voraussetzung hat. Schwerlich als ein
sich anpassendes Gegenstück, sondern als Rivalen, der über das Meisterwerk des
Praxiteles triumphieren sollte, schuf Lysipp seinen Eros, eine Absicht, die er, soweit
wir nach der antiken Überlieferung urteilen können, nicht erreicht hat. Endlich sind
von Lysipps Sohn, Euthykrates, mehrere Werke für Thespiai bezeugt; über die
Gründe ihrer Entstehung lassen sich nur Vermutungen aufstellen 3). Dann hören
wir von keinem namhaften Meister mehr, der für Thespiai gearbeitet hätte. Die
Stadt zehrte von dem Ruhme der kurzen Episode, die sie ohne eigenes Verdienst
mit der Entwicklung der großen Kunst in Verbindung brachte, Kunstfreunde pilgerten
zum Eros des Praxiteles, bis dieser nach Rom entführt und durch die Kopie eines
neuattischen Meisters ersetzt wurde 4).
Die genannten Meisterwerke gehören in den Zusammenhang der allgemeinen
Kunstgeschichte. Sie haben weder eine spezifisch thespische Tradition enthalten,
noch haben sie in Thespiai eine besondere Kunstübung begründet. Daneben hat es
jedoch in Thespiai wie in jeder anderen griechischen Stadt ein lokales Kunsthand-
werk gegeben, das für die Bewohner der Stadt und ihre Umgebung Grabdenkmäler

’) Plin. XXXV 123; Robert, Marathonschlacht 66.
2) Vermutlich auf den großen Praxiteles zu be-
ziehen ist die Inschrift der Statue des Thrasy-
machos aus Leuktra; Löwy, Inschriften 76; I. G.
VII 1831; Klein, Praxiteles 6; Vollgraff, BCH.
XXXII 1908, 247. Zu den Thespiaden vgl.
Jahrbuch des archäologischen Instituts XXVIII.

Klein a. a. 0. 227, Anm. 1. Irrtümlich nennt
Hauser, Öst. Jahreshefte VI 1903, 103 Thespiai
statt Theben als Standort eines von den Söhnen
des Praxiteles dekorierten Altars.
3) Klein, Praxiteles 228; Robert bei P.-W. VI 1507 f.
4) Strabo IX 410; Paus. IX 27,3.
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