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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 40.1925(1926)

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Müller, Valentin Kurt: Kretisch-mykenische Studien, 1: Die kretische Raumdarstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.44818#0100
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86

V alentin Müll er

Abb. 3. Siegel aus Platanos.


infolge der Unvollständigkeit

Abb. 88b). Vorhanden sind zwei Tiere; von einem
dritten stammt vielleicht der schräge Strich hinter
dem oberen. Sie sind nicht auf einer Standlinie
aufgereiht, sondern frei auf die Bildfläche gesetzt.
Der natürliche Boden ist also ignoriert; an seine
Wiedergabe hat der Hersteller gar nicht gedacht.
Könnte man bei dem Schiffsbild noch annehmen,
daß das Wasser die freie Verteilung auf der Bild-
fläche verursacht habe, so ist hier klar, daß der
Künstler kein Bedürfnis gehabt hat, die Tiere auf
festen Boden zu stellen. Diese freie Verteilung auf
der Bildfläche ist ein wichtiger Zug der kretischen
Kunst. Sie ist auf diesem Siegel offenbar nach
dekorativen Gesichtspunkten erfolgt, die wir aber
nicht mehr feststellen können. Die Bildfläche wirkt

als Oberfläche des Elfenbeinklötzchens, nicht als dargestellter »Raum«; sie er-

scheint daher wieder dem Beschauer als parallel liegend, nicht mit dem oberen Teil
als nach hinten geneigt. Zwischen den Tieren ist daher keine tiefenräumliche Be-
ziehung vorhanden, das obere erscheint nicht als »hinter« dem unteren befindlich,
sondern als »über« ihm, so wie es tatsächlich gegeben ist; es entsteht nicht die Illusion

eines Raumes.

Ein der gleichen Periode angehöriges Elfenbeinsiegel aus Platanos (Abb. 3 —
Evans a. a. 0. 118 Abb. 87, Nr. 6) hat rechts von einem ornamentalen Mittelstreifen
einen Mann, links eine Tiergruppe. Die senkrechten Dimensionen der Figuren sind
nicht gleichgerichtet, sondern kreuzen sich im Winkel von po°. Das Siegel hat nicht
eine einzige Richtung zum Beschauer, sondern zwei. Die Figuren sind dort hinge-
setzt, wo für sie Platz ist; sie werden durch die Bildfläche bestimmt; deren ornamen-
tale Einteilung übt über die Figuren die Herrschaft aus; die Lage der Figuren in der
Natur muß sich dem Gesetz der Bildfläche fügen und kann verändert werden. Die
Raumschicht, die die Figuren ausfüllen, ist auch nicht dicker als die des Ornaments.
Es ist eine einzige gleichmäßige Raumschicht, die wieder dem Beschauer parallel
liegt. Für die beiden vorhergehenden Siegel
können wir nun noch denselben Zusatz
machen; auch bei ihnen liegen alle figür-
lichen Darstellungen in einer gleichmäßig
breiten, zum Beschauer parallelen Raum-
schicht. Dies Prinzip ist der springende
Punkt der kretischen Raumdarstellung
überhaupt. Verstehe ich K. Müller x) recht,
so meint er mit dem bei der Analyse der Abb. 4. Hethitischer Siegelzylinder.


[) a. a. 0. 328.
 
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