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der Kirche verließen. Das älteste Passions- und Auferstehungsspiel auf einem freien Platz im
christlichen Westen datiert Kindermann auf das Jahr 1244.21 Großangelegte Passionsspiele
sind etwa seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bekannt. Ihr Darstellungsstil unterlag
einem steten Wandel: So war die Inszenierung der Spiele anfangs stark stilisiert und typi-
siert,22 während sie im späteren Mittelalter stärker auf den Menschen als Individuum einging
und die neuen Ideale der Kunst - Realismus und Illusion - verfolgten.23 Passionsprozessionen
und Mysterienspiele, die die Menschheitserlösung durch Christi Opfertod feierten, zeigten
Stationen aus seiner Leidensgeschichte sowie Szenen des Alten Testaments entweder in
Bildwerken oder durch lebende Personen. Die seit dem 14. Jahrhundert integrierten stummen
Szenen hatten die Aufgabe, die christliche Botschaft visuell überzeugend zu vermitteln. Fröm-
migkeit und Didaktik prägten somit Form und Inhalt.24

In Italien wurde ab dem 14. Jahrhundert auch in den sogenannten Devozione die Heils-
geschichte durch Bilder mit lebenden Personen veranschaulicht.25 Es handelte sich um Volks-
predigten, die durch die Visualisierung der Kirchenlehre eine starke Wirkung auf das Volk
zeigten: »Der Prediger bietet als eine Art Praecursor den einführenden Rahmen; und dann
erläutert er, als Beispiele zu seinen Predigtdarlegungen, ein lebendes Bild nach dem anderen.
Auf seinen an diese Erläuterungen sich anschließenden Ruf:, Ostendatis' hin hebt sich jedes-
mal der Vorhang und ein neues theatralisches Bild wird sichtbar. Bis zu vierzig derartige,
jedesmal außerordentlich farbenreich und auch vielstufig, jedesmal mit neuen Hintergründen
und Requisiten, Kostümen und Lichtwirkungen ausgestatteten Theaterbilder wurden da ge-
zeigt.«26 Man versah die eingefrorenen Szenen mit kleinen Handlungen und gestaltete sie zur
Pantomime um.27

Eine stringente Entwicklung dieser Kirchenspiele zu den lebenden Bildern des späten
Mittelalters wäre jedoch zu einfach. Sie waren nicht allein eine stumm und starr gehaltene
theatrale Szene, vielmehr läßt sich daneben gleichermaßen die Entwicklung von der »stum-
men« und »starren« bildenden Kunst auf die Tableaux vivants anführen, die somit dem Wunsch

21 Es fand in Italien zu Ostern statt, vgl. Kindermann 1980. S.202. Die Wandlung vom Kirchenraumspiel
zum Freiraumspiel, von der gemessenen, liturgischen Art des Feierns zur lebensfrohen Gelösten,
setzt ein gewandeltes Weltbild im 13. und 14. Jahrhundert voraus, vgl. Kindermann I. 1957. S. 207-
249.

22 Die mittelalterlichen, liturgischen Spiele sind fast statischer Natur gewesen. Sequenzen im Arran-
gieren der Ereignisse hatten wenig mit dem Prinzip der Serie zu tun. Das Drama war vielmehr
emblematisch angelegt, vgl. Davidson 1984, S.47. Vgl. Schöne 1964, S.202-223.

23 Vgl. Kindermann I. 1957. S.220.

24 Zu dem komplizierten Sachverhalt der »imitatio pietatis«, vgl. Pochat 1990, S.84. Zu der Disku-
ssion um das Andachtsbild, vgl. Belting 1990.

25 Eine detaillierte Liste von Aufführungen und Festzüge geistlicher wie weltlicher Art in Italien von
1200 bis 1598 findet man bei Pochat 1990. S. 372-377.

26 Siehe Kindermann I. 1957. S. 329. Es handelte sich sicherlich um stumme Szenen, keine lebenden
Bilder. Leider nennt Kindermann nicht den Zusammenhang der Predigten. So bleibt unklar welche
Orden sich dieser Mittel bedienten und zu welchen Anlässen diese Form der Predigten zum Einsatz
kam.

27 Vgl, Landvogt 1972. S. 13/14. Vgl. Kindermann I. 1957. S.328. Nachfolger der Devozione waren
ab den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts die sogenannten »Sacre Rappresentazioni«, aufwendige
geistliche Spiele, die sich allerdings nicht mehr der lebenden Bilder bedienten. Filippo Brunelleschi
war maßgeblich an entscheidenden Neuerungen auf dem Gebiet dieser Theaterinszenierungen be-
teiligt. Vgl. die beiden ausführlichen Kapitel Brunelleschis »Sacre Rappersentazioni« und »Sacre
Rappresentazioni und Holzschnittillustrationen« mit kritischen Anmerkungen, Quellenangaben,
Literaturhinweisen und Abbildungsmaterial in Pochat 1990. S.86-117.

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