von Theorien der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewertet werden, die sich mit der
Verlebendigung von Kunst beziehungsweise mit dem Betrachterverhalten auseinandersetzten.
Hier ließen sich zahlreiche Strömungen anführen, die ihren Aufschwung begünstigten: Sozio-
kulturelle, kunsttheoretische und rezeptionsästhetische Vorgaben hingen mit ihrer Entwick-
lung zusammen.186 Die entworfenen Theorien drangen erst langsam bis in die Welt der »Lai-
en« vor und traten in popularisierter - in diesem Falle spielerischer - Form als Verlebendi-
gung der Gedanken zu Tage.
Anhand des auffallenden Interesses am antiken Pygmalionmythos, der seit der Mitte des
18. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde, läßt sich die theoretische Grundlage für die lebenden
Bilder am anschaulichsten schildern. Das Bedürfnis der Zeit, die Grenze zwischen Kunst und
Natur aufzuheben, die vom Menschen geschaffenen Werke künstlich zu beleben, wird durch
das besondere Interesse an der ovidschen Pygmalion-Geschichte, vor allem in Frankreich
zwischen 1740 und 1779, illustriert.187
Im 10. Buch seiner Metamorphosen188 beschreibt Ovid eine Geschichte, die sich zu ei-
nem der großen Mythen über die Jahrhunderte hinweg entwickelte: Der cyprische Bildhauer
Pygmalion - angewidert von der aus Gewinnsucht betriebenen Prostitution der von Venus
verstoßenen Propoetiden - schuf sich sein Frauenideal von körperlicher wie ethischer Rein-
heit und Schönheit in Gestalt einer Elfenbeinstatue. Seine Arbeit gelang ihm so gut, daß er
sich in sein eigenes Bildwerk verliebte und es durch die Gnade der Göttin der Liebe, Venus,
zum Leben erwecken ließ.189 Der Mythos enthält in unserem Zusammenhang zwei interessante,
grundlegende Elemente: Zum einen die Liebe Pygmalions, des Erschaffers, zu seinem die
Wirklichkeit vortäuschenden Werk und zum anderen die Belebung einer Elfenbeinstatue, also
der toten Materie. Die Kunst steht dabei für das Leben, Pygmalion für den genialen Künstler,
und die weibliche Statue wird zum Symbol der Beziehung zwischen der toten Wirklichkeit
186 Die kunsttheoretischen Überlegungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind zahlreich und
die meisten von ihnen von tiefer Bedeutung für die nachfolgenden Generationen. Direkt oder indi-
rekt ließen sich viele zu der besonderen Kunstform der lebenden Bilder in Beziehung setzen. Die
Auswahl an theoretischen Leitgedanken in unserem Zusammenhang beschränkt sich auf diejeni-
gen, die sich mit der Verlebendigung der Kunst beschäftigten. Zweifelsohne wären auch - um nur
die wichtigsten zu nennen - ausführliche Erläuterungen von Denkern wie Jean Baptiste Dubos,
Karl Philipp Moritz oder Immanuel Kant zu den Theorien des Sensualismus, der ästhetischen Illu-
sion, zum Geniekult, oder zur Nachahmungstheorie des 18. Jahrhunderts denkbar. Die Abhandlun-
gen dazu sind zahlreich. Hier seien wenige mit weiterführender Literatur genannt: Vgl. Bätschmann
1985; Dieckmann 1964; Dieckmann 1972; Disselbeck 1987; Fried 1980; Kohle 1989; Kurz 1990;
Niewöhner 1991; Puntel 1986; Saisselin 1961; Schütze 1993; Tavernier 1984; Tavernier 1986.
187 Zum Pygmalionmythos vgl. unter kunsthistorischem Aspekt die grundlegenden Arbeiten von Blühm
1988, Carr 1960, Schneider 1987. Unter theaterhistorischem Aspekt, vgl. Dome 1974. Unter litera-
risch-philosophischem Aspekt, vgl. Sckommodau 1970, Dinter 1979, Fink 1983, Pfotenhauer 1991,
S.27-56. Zur Rezeption des Pygmalionmythos in Deutschland, vgl. Blühm 1988. S. 113-117. Die
jüngste Veröffentlichung ist die Abhandlung von Mülder-Bach 1998, die sich auf die theoretische
Reflexion konzentriert.
188 Vgl. Ovid (l.Jhd.n.Chr.). In: Breitenbach 1988. S.324-326. Es ist keine frühere Fassung der Ge-
schichte überliefert, vgl. Warner 1989. S.312.
189 Grundsätzlich sind zwei Imaginierungstypen zu unterscheiden. Zum einen den des Zeuxis, der
nach dem Selektionsprinzip gestaltete, der den Forderungen nach imitatio, aemulatio und superatio
genügen wollte (Helena) und zum anderen den des Pygmalion, der ohne konkrete Vorbilder dem
integrierenden Wunsch nachging (Galathea), vgl. hierzu Niewöhner 1991. S.36. Vgl. Dome 1974.
S.11-15.
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Verlebendigung von Kunst beziehungsweise mit dem Betrachterverhalten auseinandersetzten.
Hier ließen sich zahlreiche Strömungen anführen, die ihren Aufschwung begünstigten: Sozio-
kulturelle, kunsttheoretische und rezeptionsästhetische Vorgaben hingen mit ihrer Entwick-
lung zusammen.186 Die entworfenen Theorien drangen erst langsam bis in die Welt der »Lai-
en« vor und traten in popularisierter - in diesem Falle spielerischer - Form als Verlebendi-
gung der Gedanken zu Tage.
Anhand des auffallenden Interesses am antiken Pygmalionmythos, der seit der Mitte des
18. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde, läßt sich die theoretische Grundlage für die lebenden
Bilder am anschaulichsten schildern. Das Bedürfnis der Zeit, die Grenze zwischen Kunst und
Natur aufzuheben, die vom Menschen geschaffenen Werke künstlich zu beleben, wird durch
das besondere Interesse an der ovidschen Pygmalion-Geschichte, vor allem in Frankreich
zwischen 1740 und 1779, illustriert.187
Im 10. Buch seiner Metamorphosen188 beschreibt Ovid eine Geschichte, die sich zu ei-
nem der großen Mythen über die Jahrhunderte hinweg entwickelte: Der cyprische Bildhauer
Pygmalion - angewidert von der aus Gewinnsucht betriebenen Prostitution der von Venus
verstoßenen Propoetiden - schuf sich sein Frauenideal von körperlicher wie ethischer Rein-
heit und Schönheit in Gestalt einer Elfenbeinstatue. Seine Arbeit gelang ihm so gut, daß er
sich in sein eigenes Bildwerk verliebte und es durch die Gnade der Göttin der Liebe, Venus,
zum Leben erwecken ließ.189 Der Mythos enthält in unserem Zusammenhang zwei interessante,
grundlegende Elemente: Zum einen die Liebe Pygmalions, des Erschaffers, zu seinem die
Wirklichkeit vortäuschenden Werk und zum anderen die Belebung einer Elfenbeinstatue, also
der toten Materie. Die Kunst steht dabei für das Leben, Pygmalion für den genialen Künstler,
und die weibliche Statue wird zum Symbol der Beziehung zwischen der toten Wirklichkeit
186 Die kunsttheoretischen Überlegungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind zahlreich und
die meisten von ihnen von tiefer Bedeutung für die nachfolgenden Generationen. Direkt oder indi-
rekt ließen sich viele zu der besonderen Kunstform der lebenden Bilder in Beziehung setzen. Die
Auswahl an theoretischen Leitgedanken in unserem Zusammenhang beschränkt sich auf diejeni-
gen, die sich mit der Verlebendigung der Kunst beschäftigten. Zweifelsohne wären auch - um nur
die wichtigsten zu nennen - ausführliche Erläuterungen von Denkern wie Jean Baptiste Dubos,
Karl Philipp Moritz oder Immanuel Kant zu den Theorien des Sensualismus, der ästhetischen Illu-
sion, zum Geniekult, oder zur Nachahmungstheorie des 18. Jahrhunderts denkbar. Die Abhandlun-
gen dazu sind zahlreich. Hier seien wenige mit weiterführender Literatur genannt: Vgl. Bätschmann
1985; Dieckmann 1964; Dieckmann 1972; Disselbeck 1987; Fried 1980; Kohle 1989; Kurz 1990;
Niewöhner 1991; Puntel 1986; Saisselin 1961; Schütze 1993; Tavernier 1984; Tavernier 1986.
187 Zum Pygmalionmythos vgl. unter kunsthistorischem Aspekt die grundlegenden Arbeiten von Blühm
1988, Carr 1960, Schneider 1987. Unter theaterhistorischem Aspekt, vgl. Dome 1974. Unter litera-
risch-philosophischem Aspekt, vgl. Sckommodau 1970, Dinter 1979, Fink 1983, Pfotenhauer 1991,
S.27-56. Zur Rezeption des Pygmalionmythos in Deutschland, vgl. Blühm 1988. S. 113-117. Die
jüngste Veröffentlichung ist die Abhandlung von Mülder-Bach 1998, die sich auf die theoretische
Reflexion konzentriert.
188 Vgl. Ovid (l.Jhd.n.Chr.). In: Breitenbach 1988. S.324-326. Es ist keine frühere Fassung der Ge-
schichte überliefert, vgl. Warner 1989. S.312.
189 Grundsätzlich sind zwei Imaginierungstypen zu unterscheiden. Zum einen den des Zeuxis, der
nach dem Selektionsprinzip gestaltete, der den Forderungen nach imitatio, aemulatio und superatio
genügen wollte (Helena) und zum anderen den des Pygmalion, der ohne konkrete Vorbilder dem
integrierenden Wunsch nachging (Galathea), vgl. hierzu Niewöhner 1991. S.36. Vgl. Dome 1974.
S.11-15.
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