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Kunst- und Denkmalpflege in Schlesien: Niederschlesien — 2.1939

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Lossow, Hubertus: Das Vesperbild in Schlesien
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https://doi.org/10.11588/diglit.19995#0074
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Hubertus Lossow

Das Vesperbild in Schlesien

Nicht als die Illustration eines evangelischen Berichtes, sondern als
die Sublimierung starker seelischer Erschütterungen, die eine
unendlich tiefe und innerliche Versenkung in die Leidensgeschichte
voraussetzen, erscheint in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts das
Vesperbild in der deutschen Kunst. Der ihm zugrunde liegende Ge-
danke hat seinen Ursprung in der frühen deutschen Mystik und wird
schon im 12. Jahrhundert in deutschen Versen ausgesprochen1). Von
den bildkünstlerischen Disziplinen bemächtigt sich seiner zuerst die
Buchmalerei2) und dann erst verhältnismäßig spät die Skulptur. Das
früheste uns erhaltene Stück, das Vesperbild aus dem Scheuerfeld,
bewahrt die Sammlung auf der Feste Koburg. In dieser um 1520
entstandenen Pietä spricht sich ein starkes architektonisches Gefühl
aus, das zusammen mit der Stilisierung der Einzelzüge den monu-
mentalen Eindruck hervorruft, den dieses Stück in seiner hoheits-
und würdevollen Haltung auf den Beschauer ausübt. Damit ist zu-
gleich der monumentale Typus statuiert, der bis weil in die zweite
Hälfte des Jahrhunderts hinein beherrschend bleibt. Die ihrem
Format nach verhältnismäßig kleine Pietä Roettgen im Bonner
ProArinzialmuseum gehört diesem Typus ebenso an, wie das um
die Mitte des Jahrhunderts entstandene Vesperbild aus dem Ursu-
linenkloster in Erfurt, das in seiner Formengcbung einerseits
deutliche Beziehungen zu Koburg verrät und andererseits auf die
in der Klosterkirche zu Leubus befindliche Pietä vorausweist.
Abb. 42. Diese ist das einzige in Schlesien gefundene Vesperbild,
das dem monumentalen Typus angehört. Es wird wohl aus dem
Ostfränkischen importiert sein3). Die Gesamtkomposition der
Gruppe mit dem leichten S-Schwung in der Maria und dem von ihr
aufrecht gehaltenen Leichnam Christi, der sie treppenförmig über-
schneidet, erinnert sofort an Koburg und Erfurt, aber die reiche
Durchbildung des Gewandes, besonders die von den Knien der Ma-
donna herabfallenden Faltenpartien, zeigen, daß hier eine plastische

') Vgl. Wilhelm Pinder: Die dichterisdie Wurzel der Pietä. Rep. f. Kstw. 1920
und „Marienklage" Genius 1919. p. 200. — Walter Passarge: Das deutsche Vesper-
bild im Mittelalter. Köln 1924.

-') Vgl. Hans Swarzenski: Quellen zum deutschen Andachtsbild. Ztsckr. f. Ivstgeseh.
IV. 1955, p. 141 ff.

'■') Vgl. den Aufsatz des Verfassers: Das Vesperbild aus der Klosterkirche zu
Leubus. /.(sein-, d. DI. Vereins f. Ivstw. 1956, p. 196 ff. Dort auch eingehender Be-
riehi über die 1955 erfolgte Restaurierung.

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