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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Helferich, Herman: Adolf Hildebrand
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0256

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von Herinan Helferich

Plejade der Künstler, die, ehe es zn einer lebenskräftigen Kunst gekommen war, ihre Arme nach Italien aus-
streckten; so aufgefaßt jedoch, ist es wirklich phänomenal, was er aus sich hervorgerufen hat!

Leistungen, die achtbar zu nennen wären, kämen sie von einem Franzosen, der ja den Lernapparat so
bequem hat, werden unter diesen Umständen zu höchst zu bewundernden; und Leistungen, die wie die Hilde-
brandschen bald hinter den besten der französischen kommen, sind wirklich zu bewundern!

Die Schönheit des menschlichen Körpers zeigt er, die vollendete Schönheit des Körpers, wie sie die
Antike mehr noch als die italienische Renaissance uns zeigt: lder ruhende Hirtenknabe,^desseiUschön durchgefühlte
Gestalt man jüngst im Münchener Kunst-
verein sah, gehört zu Hildebrands Werken.

Außer diesem Hirtenknaben zeigte die Aus-
stellung Werke der Jugend und der Gegen-
wart des Meisters, während die mittlere
Epoche fehlte. Nächst dem Hirtenknaben,
der zuerst in Wien auf der Ausstellung
von 1873 gewesen, — von Hildebrand
geschaffen, als er im Anfang der Zwanziger
sich befand — und der schönen Bronze
des Trinkers und dem Porträtkopse von
Theodor Heyse, welche gleichfalls Jugend-
arbeiten sind, bot der Kunstverein den An-
blick einer „Leda", eines Marmor-Reliefs
eines Weibes, das, an einen Felsen ge-
schmiegt, den Schwan, der zu ihr hinstrebt,
kosend sich nahen läßt, einige Arbeiten
ohne Punktierung direkt in den Stein ge-
schnitten, also gleichsam Handzeichnungen
(die bei nicht merkwürdigem Inhalt das
Können zeigten), und einige Porträtbüsten.

Das Bestreben des Künstlers trennt
sich scharf Figuren und Büsten gegenüber.

Figuren sieht er verallgemeinert, Büsten
individualisiert er. Es sträubt sich nichts
in ihm dagegen, dem kleinen Mann, der
ihm Modell sitzt, im Bilde gleichmäßige
Proportionen zu geben, das Unschöne
„schön", das Spezielle ins Allgemeine ab-
zurnnden, und er geht von der Ansicht
aus, daß dieses Künstlers Pflicht sei.

Und dem nackten Körper gegenüber legt
er ein, wie man bedauernd sagen möchte,
geringes Gewicht auf den Kopf, womit
er sehr wenig im Geiste unsrer Tage vor-
geht. So geschieht es, daß seine wunder-
schön gemachten Idealfiguren diese Ent-
fernung von uns haben, wie Statuen in
einem Museum, die von einem trefflichen
Künstler einer Zeit, mit der wir ohne
intime Fühlung wären, von deren Lebens- Schlafender Hirtenknabe, von Adolf Hildebrand

güngen und von deren Herzen wir nichts

wissen, angefertigt wären, — sehr schöne Statuen in der That, und ganz gewiß die bestvollendeten, die es von
der deutschen Kunst gegenwärtig gibt — nur zeitlos und, wenigstens mir scheint es so, zu abstrakt. Der Künstler
sagt, er sei objektiv, er sammle Dokumente, er beruhige sich nicht beim einzelnen Fall, beim zufälligen Modell,
er nehme vielmehr, mit jenem Wahrnehmungsvermögen, das ihm Talent und Übung gaben, die Dinge, alle
Dinge, in seine Vorstellung auf, wo sich die Bilder zu einem Bilde verdichten.

Dies deucht mir eine etwas philosophische, durch Abgeschlossenheit vom modernen Kunstleben, durch
Einsamkeit in Italien wie durch geistigen Austausch mit ähnlich gesinnten Modernen im hierhinneigenden
Deutschen entstandene, theoretische Ansicht zu sein; immerhin ist Hildebrand ein so ungemein beanlagter Bild-

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