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Kunstgewerbliche Rundschau: Verkündigungsblatt des Verbandes Deutscher Kunstgewerbevereine — 1.1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.8036#0084
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Vom Reichstagsdau. An unserer Notiz hierüber in letzter Num-
mer (S. 7-^) wird uns noch mitgetheilt. daß das für das Reichstags-
xräsidium bestimmte Gestühl von tsosmöbelfabrikant k. I. peter in
Mannheim gefertigt wurde. Dortige Blätter rühmen an demselben
besonders die künstlerisch ausgeführten Bildhauerarbeiten.

Lin großcs DeckengemLlde aus dcr Kchule des Boucher ist neuer-
dings beim Abbruch des Zchlosses Jssy bei Paris aufgedeckt worden,
nachdem dasselbe etwa zso Iahre lang übertüncht gewesen ist. In
dem reich getäfelten Festsaale des ehemaligen kierzogsschlosses, welches


pierre Bullet, ein Schüler des älteren Blondel, erbaute, fand man
nach sorgfältigem Abwaschen der weißen Farbe einen prächtigen Reigen
von Amoretten nnd Genicn, die aus den lichten Molken eines bell-
blauen bfimmels hervorschauten. Nach der Technik zu urtheilen, wurde
das Bild dem älteren Fragonard zugeschrieben, währeud andere
Aenner dasselbe als eine Arbeit des Franoois Boucher bezeichnen.
Da abcr Boucher bei dem Tode Bullets (f z?(8) erst zq, Iahre alt
war, wird man es wohl eher einem seiner zahlreichen Schüler zu-
erkennen müssen. - -


KlmstgkiveröliUe Litkratnr.

Die künstlerische Lrzichung der dentschen Ingend. von
Or. Aonrad Lange, a. o. Prosessor der Aunstwissenschaft an der
Universität Aönigsberg. Darmstadt, verlag von Aruold Berg-
sträßer (8ZI.

von warmem Lebenshauche, von wahrer Begeisterung nud gründ-
lichem Verständuiß für seine Sache dnrchdruugen, tritt nns der ver-
fasser in diesem seinem lVerke entgegen. Er faßt die künftlerische Er-
ziehnng nicht als eine unseren Anforderungen an höheres Mssen und
Aönnen entsprechende Diszixlin, als eine nur für besonders dasür be-
gabte Natnreu erreichbare Thätigkeit auf, als etwas dem Schüler küust-
lich Vktroyirtes, souderu er erkenut deu künstlcrischen Sinn als dem
Uienschen von Natnr ans inuewohnend an, deu wir verpslichtet sind
ausznbildeu, wcnu wir uns an ihm uicht gewissermaßeu versüudigen
wollen. Der Sinn für die Uunst ist eine Gabe, die in erster Linie
dazu angethan ift, die ksauptlebensaufgabe lösen zn helfen, den Meuschen
nicht nur nützlich, sondern auch glücklich zu machen. Der verfasser will
daher durch seine künstlerische Trziehung nicht Künstler heranbilden,
sondern Dilettanten, oder wenn wir das N)ort verdeutscheu, Menschen,
die Freude an der Kunst haben, welche die lverke der Aünstler ver-
stehen und sie dadurch zum Gemeingut der Nation machen. An der
ksand der geschichtlichen Lntwickelung Deutschlands glaubt er, daß uns
die Führerrolle in der Kunst, die uns bisher versagt war, im kommenden
Iahrhnndert zusallen wird. Möge seine Prophezeinng in Lrsüllnng gehen.

Schon im Säugling erkennt er den Sinn und die Freude an den
Lrscheinungen der Natur. Mit klarer Lrkenntniß verfolgt er die Stufen-
reihe der vom Kiude wahrnehmbaren sinnlichen Liudrücke uud bespricht
die Art, wie diese Lindrücke benützt und geregelt werden sollen. Am
längsten hält er sich bei dem Zeichnungsunterricht an den Gymnasien
auf. Der Betrieb desselben, trotz mannigfacher Reformvorschläge nnd
Versuche, entsxricht mit wenigen Ausnahmen seinen Anschaunngen
nicht. Ihm ist bei demselben das kveseutlichste dic Bcobachtnng dcr
Natnr und die Selbstthätigkeit und damit verbunden das Lrwocken der
Liebe zur Sache, die bei dem abstrakten Theoretisiren oder dem geist-
losen Nachahmen von Vorlagen, welch' letzteres er jedoch zum Zweckc
des Uennenlernens der technischen Darstellung nicht verwirft, zu Grunde
geht. Leider wird es kaum möglich sein, den Unterricht, so weit er
ihn gebracht zu haben wünscht und er auch das Ideal eines Ieich-
nungsunterrichtes wäre, an dem Gymnasium durchznführen. Trotz
seiner Ansicht wird woder das Fignrenzeichnen nach Gips, noch die
Landschaft nach Vorlagen an dem Gymnasium eingeführt werden
können; es fehlt die Ieit, besonders zu ersterem. Das Stndium mensch-
licher Uörxertheile fordert, wenn es nicht Stümxerarbeit bleiben soll,
ein eingehendes Vertiefen in die Sache. Es ist deßhalb nicht nöthig,
Maschinentheile an dessen Stelle zu setzen. Das Pflanzen- und Geräthe-
zeichnen schärft auch den Sinn für die xlastische Lrscheinung und regt
die Phantasie und das künstlerische Emxfinden an.

lvas er über den Ieichenlehrerstand sagt, ist vollständig richtig
und die Durchführung seiner Ansichten und vorschläge wäre nnr zu
wünschen. lveniger glücklich ist seine Idee über die Universität und
das akademische Zeichenlehramt.

Ls ist gewiß zu beklagen, daß unsere Universitäten allmälig
immer mehr zu reinen Fachbildungsanstalten werden und das, was
ihnen ihre eigentliche lveihe verleiht, ihre allgemein ethisch und
ästhetisch-philosoxhisch bildende Seite, in den ksintergrund gedrängt wird.
Dem künstlerischen Bedürfniß der Universität entsxricht der Unterricht
in der Uunstwissenschaft, wie ihn der Verfasser in seinem letzten Uaxitel
beleuchtet, gewiß vollständig. Daß aber neben dem Uunsthistoriker
noch ein akademischer Zeichenlehrer angestellt sein soll, der dem Vrdi-

narins gleichgestellt ist, dcr also nicht nur Uüustler, sondern auch
Mann des lvissens ersten Ranges ist — deun cineu auderu Universitäts-
profcssor kann ich mir nicht vorstellen —, der den Studenten „Aqua-
rellircn, Velmalen nach der Natur, Porträtzeichnen, künstlerisches Mo-
delliren :e. vcrmitteln soll", das ist doch wohl eine kaum erfüllbare
Forderung. lvenn diese Fächer wirklich künstlerisch nur als all-
aemcines Bildnngsmittel nebeu dem Fachstudium bctrieben werden
könnten, für was hätten wir dann Unnstakademieen und für was
würde eiu jnnger Manu daun Iahro eiuzig und allein mit dem Stu-
dium der Uunst zubringen? Beinahe naiv klingt es, wonn er von
dem betresfeuden Lehrer sagt: „lvenn er nur wirklich Uünstlcr und
Pädagogc ist." Lr sxricht da ein großes lvort gelassen aus. Der

kserr verfasser möchte uns die wirklichen Künstler nnd Pädagogen in
einer Pcrson in der Uunstgeschichte aller Zeiten nenncn; es werden
nicht so viele sein, um hente an unseren deutschen Universitäten die
betreffenden Stellen mit solchen Männern zu besetzen. Mit demselben
Recht könnten übrigens anch die Musiker verlangen, daß nicht nur
Musikgeschichte an den Universitäten gelehrt wird, sondern anch ein
xraktisch gebildeter Musiker, der Ulavier-, Grgel-, Violin- rc. spielen
lehrt, als Vrdinarius Anstellung findet. Denn die Musik ist doch ge-
wiß ebeuso ethisch uud ästhetisch bildend wie Nalerei und Plastik und
beide Künste haben das gleiche Recht.

Die Liebe zur Sache und der sicher sehr berechtigte lvunsch, es
möchte der Zeichnungsnnterricht weit mehr wie bisher als Bildungs-
mittel für das ganze volk betrachtet werden, ebenso auch die konsequente
Durchführung seiner Jdee, hat den verfasser hier entschieden zu weit
geführt. Das thut aber dem Grundgedanken seines Werkes und seiner
idealen Auffassung keinen Lintrag und das Buch wird immer zu dem
kservorragendsten gehören, was über den werth des Zcichnungsunter-
richts für die dentsche Iugend geschrieben worden ist. L. v. 8.


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