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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1880

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Nekrologe: Gottfried Semper
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https://doi.org/10.11588/diglit.7024#0016

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Nekrologe.

L. Der bayerische Kunstgewerbeverein hat im Jahre f8?9
drei seiner Ehrenmitglieder rasch nacheinander durch den
Tod verloren. Zwei derselben, Gottsried Semper und
Viollet-le-Duc, wurden von der Generalversammlung des
vorigen Jahres als schöpferische und theoretische Vertreter
der Baukunst und des Kunstgewsrbes zu Ehrenmitgliedern
gewählt; der dritte, der Präsident des prot. Oberkonsistoriums,
Adolf v. harleß, war schon früher Ehrenmitglied geworden,
nachdem er als freund der Kunst nach dein Tode Mari-
milian's II. dafür eingetreten war, daß ein Theil der vom
bayerischen Volk gespendeten Summe, mn das Andenken
des Königs zu ehren, der pflege des Kunstgewerbes zu-
gewendet werden sollte.

Gottfried Semper.

Gottfried Semper ist mn 29. November s80^ in
Altona als der Sohn eines Kaufmanns geboren. Als der
junge Gottfried mehr Neigung zum Studium als zum
Beruf eines Kaufmanns zeigte, wurde er denn Pastor Milk
in Barmstadt zur Ausbildung übergeben. Auf dem Ham-
burger Gymnasium machte er in der Folge bedeutende
Fortschritte in der Kenntniß der alten Sprachen und in der
Mathematik. \822 bezog er die Universität Göttingen.
Ursprünglich hatte der junge Semper die Absicht gehabt,
Militäringenieur zu werden; sein Vater dagegen wünschte,
daß er sich der Rechtswissenschaft widme. Doch hörte er
in Göttingen lieber die Vorlesungen von Gauß und
Otsried Müller, als die der Juristen. Zu Otfried Müller,
welcher Archäologie der Kunst zu lehren hatte, fand der
begeisterungsfähige Jüngling einen für die Kunst des Alter-
thums wahrhaft begeisternden Lehrer. Von dieser Zeit an
datirt Semper's Neigung zur Kunst. Er gelangte zugleich
zur Einsicht, daß der Künstler kein Verächter des Wissens
sein müsse, sondern daß er im Gegentheil geistige Nahrung
aus demselben zu schöpfen habe. Da er wirklich genial
war, verfiel er nie in Genialthuerei; damit das angeborne
Genie Dauerhaftes leiste, verlangte er die Anstrengung und
Mitwirkung der verschiedenen geistigen Kräfte. Wie einst
sein Landsmann Klopstock als Bahnbrecher der neueren
Dichtkunst für die Hervorbringung eines poetischen Kunst-
werkes das Zusammenwirken der menschlichen Grundkräfte,
des Verstandes, der Phantasie und des Herzens verlangte,
damit sie diese Kräfte des Lesers oder Hörers auch gleich-
zeitig erregen und beschäftigen, so ging Semper ebenfalls
von der später fornmlirten Anschauung aus, daß die ver-
schiedenen geistigen Kräfte und Thätigkeiten bei der Hervor-
bringung der Monumente Zusammenwirken müßten. Er
sagt: „Man bezeichnet sehr richtig die alten Monumente

als die fossilen Gehäuse ausgestorbener Gesellschaftsorga-
nismen, aber diese sind letzteren, wie sie lebten, nicht wie
Schneckenhäuser aus den Rücken gewachsen, noch sind sie
nach einem blinden Naturprozesse wie Korallenriffe auf-
geschossen, sondern freie Gebilde des Menschen, der dazu
Verstand, Naturbeobachtung, Genie, Willen, Wissen und
Macht in Bewegung setzte. Daher kommt der freie Wille
des schöpferischen Menschengeistes als wichtigster Faktor bei
der Frage des Entstehens der Baustile in erster Linie in

Betracht, der freilich bei seinem Schaffen sich innerhalb
gewisser höherer Gesetze des Neberlieferten, des Erforder-
lichen und der Nothwendigkeit bewegen muß, aber sich diese
durch freie objektive Auffassung und Verwerthung aneignet
und gleichsam dienstbar macht." Das ist eine für Semper's
Weise zu schaffen ungemein charakteristische Anschauung,
welche der landläufigen, als schaffe man Kunstwerke im
halben Dusel, mit aller Bestimmtheit gegenübertritt.

Nachdem Semper von seinem Vater die Einwilligung
erhalten hatte, daß er sich der Eivilbaukunst widme, ging
er s825 nach München, um sich unter Gärtner's Leitung
in der Baukunst auszubilden. Von München aus ging er
nach Regensburg, um sich an einen: Werk über den Regens-
burger Dom zu betheiligen. Zn Folge eines Duells mit
einem Landshuter Studenten flüchtete er nach Paris, hier
wurde der deutsche Architekt Gau sein Lehrer und Freund.
Nach der Zulirevolution, welche auf den freiheitliebenden
Architekten einen gewaltigen Eindruck gemacht hatte, unter-
nahm er eine mehrjährige Studienreise nach Ztalien und
Griechenland. Durch das Studium der Schöpfungen des
klassischen Alterthums und der Renaissance gelangte die ihm
eigenthümliche Auffassung der Monumentalität der Bau-
werke zur Reife. Diese Auffassung wurde in der Folge für
seine eigenen Bauunternehmungen maßgebend. Wenn wir
seine verschiedenen Aeußerungen zusammenfassen, so läßt
sich denselben entnehmen, was er von der Monumentalität
verlangte. Nach seiner Anschauung ist die Monumentalität
der Bauwerke dadurch zu erzielen, daß sie bei zweifelloser
Eristenzfähigkeit und Dauerhaftigkeit ohne besondere Hervor-
hebung des Baustoffes und seiner Befestigungsmittel die
ihnen zu Grunde liegende Zdee durch ihre Form so aus-
sprechen, wie „belebte Geschöpfe, bei denen man auch nicht
fragt, aus welchen Stoffen sie bestehen, obschon Qualität
und Quantität des Stofflichen wichtigste Bedingungen ihrer
Existenz sind, und diese sich nach jenen modifizirt." Diese,
allerdings erst später so bestimmt ausgesprochene, aber doch
schon in ihm wurzelnde Anschauung, sowie die Untersuchung
der griechischen Denkmäler an Ort und Stelle erweckten in
ihm die Ueberzeugung, die Griechen hätten ihre Denkmäler
bemalt. Er hält die Farbe „als die subtilste körperloseste
Bekleidung für das vollkommenste Mittel, die Realität zu
beseitigen; denn sie ist selbst, indem sie den Stoff bekleidet,
unstofflich." Nach seiner Rückkehr von der fruchtbringenden
Reise gab er im Zahre f8ö^ seine erste Schrift heraus:
„Ueber die bemalte Architektur und Plastik bei den Alten."
Nun war der Kampf für und wider Semper's Ansicht
losgebrochen.

Zn derselben kleinen Schrift gab sich sein kräftiger
Unabhängigkeitssinn nach jeder Richtung zu erkennen. Za
auch von seiner eigenen Wandermappe, welche die Früchte
eingehendsten und liebevollsten Studiums der ihn begeisternden
Bauwerke enthielt, suchte er sich unabhängig zu erhalten.
Außerdem hätte er auch nicht mit aller Schärfe über die-
jenigen herfallen können, welche sich hauptsächlich auf den
Znhalt ihrer Wandermappe verlassen, ohne Ursprüngliches
zu schaffen. Seine eigene ursprüngliche Natur zwang ihn,
auch Ursprüngliches von sich und von Anderen, sowie von
 
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