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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — N.F. 3.1881

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1. Heft (1881)
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Ueber mittelalterliche Wandmalerei in Tirol
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https://doi.org/10.11588/diglit.26638#0009
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Nr. 13. 1881.

vcm den heiligen Vätern fvrtgesetzten Kirche. Um dieses klnr und
ohne alle weiteren Umschweife begreiflich zu machen, sind in den noch
übrigen Gewölbekappen die Sinnbilder der vier Evangelisten und der
vier occidentalischen Kirchenvüter dnrgestellt, als Nachfolger der Apostel;
letztere mit geschlossenen, wohl verwahrten Büchern, zum Zeichen, daß
sie nichts Neues, sondern nur ihnen bestimmt Anvertrautes lehren.
Die Bilder von letzteren stehen auf blaugrünem Grunde, vielleicht um
die Hoffnung und das Vertrauen mehr zu nähren, welche Zedermann
auf den Erlöser und Seine Heilsanstalt setzen soll, während die Sinn-
bilder der Evangelisten einen weißen Hintergrund haben, etwa um
durch diese leuchtende Farbe ihre hohe, himmlische Sendung anzu-
deutcn. Zwischen den unteren Rippen wachsen krästige Ranken mit
schonen Blumen und reisen Früchten empor, welche ohne Zmeifel die
verschiedenen und edlen Resultate der Erlösung bei den einzelnen
Gläubigen sinnbilden sollen. Die Außenseite des Triumphbogens
schmücken verschiedene Wappenschilde des Kaiserhauses, des Landes
und des Fürstenthums Trient. Das sind wohl anstatt der Eigen-
namen sprechende Ausdrücke, um Fürbitte und Dank bei Gott zu er-
langen und zugleich Erinnerungszeichen der beigetragenen Schärflein
zu dem Schmucke dieses Gotteshauses.

Das Schiff, als der so recht eigenlliche Ranm für die Belenden
und Betrachtenden, welche des Lesens unkundig würen, bildet in der
That ein großes, aufgeschlagenes Buch, worin bei jedem Blicke nach i
rechts oder links Vieles und Eindringliches, Praktisches für's tägliche!
-Leben gelesen und geschaut werden kann. Acht Wandpfetler tragen
die Bündel des reich verzweigten Rippengewölbes und präsentiren sich
als Träger der Wabrheit auf das Fundament Christi fußend und
haltend eine reich verzierte, gewölbte Oberdecke, das Sinnbild der
wahren Heimath des Menschen, wornach er sich, dargestellt in den
aufwürts strebenden Rippen, so heiß sehnt. Diese Sehnsucht selbst
ist ausgedrückt durch die verschiedennrtigsten, aber laut sprechenden
Spmbole, wetche aus Mensche»- oder Thiergestalten, aus Zweigen,
Blumen oder Früchten trefflich zusammengesetzt erscheinen. Als deren
Träger sind eintönige, braune Rankengewächse gewählt, auf grau-
weißem Grunde; die Sinnbilder selbst führte der sinnige Meister in
polychrome» Tönen aüs, um sie so recht in die Augen springend dar-
zustetlen. Bevor wir in's Einzelne eingehen, können wir nicht um-
hin, auf diese ganz eigene Art Symbolik eingehender anfmerksam zu
machen, denn sie dürfte kaum in einer zweiten Kirche miederkehren,
somit einzig in ihrer interessanten Art und Weise dastehen. Es scheint
nümlich in der Wahl der belehrenden Bilder auf die llmgegend von
St. Nikolaus und seine Bewohner Rücksicht genommen zu sein, denn
es treten sehr viele einheimische Gegenstände auf, um deren Be-
deutung dem Berständnisse des Gläubigen näher zu riicken, ein Umstand,
welcher auch bei neuen Wandmalereien nicht übersehen werden sollte.
St. Nikolaus liegt mitten in üppigen Weingeländen und seine Umgegend
heißt sogar in alten Urkunden: ickonta vino^ der Oelbaum und der
Granatapfel gedeihen bereits im Freien; im nahen Kalterer-See weilen i

Ueber titittelalterltche Wattdmnleret in Tirol.

wenigstens zeitweilig Kraniche, Reiher und Störche und um 1530
sprangen noch häufig flinke Hirsche durch den nahen Wald, wo in
hohen Felsen der Adler nistete und selbst der Steinbock nicht fehlte.
Alle diese Pflanzen uno Thiere fanden fleißig Anwendung in sinn-
reicher Anordnung und Zusammenstellung mit anderen, wie wir nun
sehen werden.

1. (Beginnend am Wandpfeiler nächst dem Triumphbogen auf der
Epistelseite.) Jn einer Vase eine Tulpe und zwei
Rosen mit einer Knospe, an denen ein gewaltiger
Raubvogel mit zerzaustem Gefieder räuberisch daran
pickt. - Oder mit Worten: Selbst die blühende und hoffnungs-
volle Jugend des Mcnschen, besser: die reinste unschuldige Seele,
ist oft selbst bei vermeintlicher sorgfältiger Verwahrung (Vase)
vor dem Verderben durch die Sünde (Raubvogel) nicht sicher!

2. Aus zwei Bechern ragen zwei Trauben hervor, eine
weiße und eine rothe; sie sind einander zugeneigt
und mit Blättern geschmückt. — Sinnbild der Reinheit

' und Freude. Genieße'mit Mäßigkeit den köstlichen Trauben-
saft, um deine Seele nicht zu verunreinigen und mit Dankbar-
keit, dich zugleich erfreuend ob der Güte des himmlischen Gebers.
Einander zugemendet: zum letzten Male sich begrüßend und ver-
abschiedend, denn die weiße zunächst am Triumphbogen als am
Eingange in's Heiligthum opfert so gerne, so freudig, so sehn-
suchtsvoll ihr Leben, damit sie im Kelche auf dem Altare ver-
wandelt merde. Die rothe, mit niedrigem Loose zufrieden, neigt:
sich uns zu, um die durch harte Arbeit oder durch Krankheit
geschwächten Kräfte des Leibes wiedcr herzustellen. Das Blatt
daran mit seiner schönen, grünen Farbe muntert zur Hoffnung!
auf, daß der Landmann, wenn der Herr von Zeit zu Zeit den!
süßen Tropfen spärlich gibt, dennoch nicht verzagen soll.

3. Eine Fratze mit grünem, aufgestülptem Hute und
zwei flatternden, gelben Bändern darauf, hält iNl
den ausgestreckt en Armen zwei Schnittersicheln in
die Höhe. - - Der Hut schützt vor Sonne und Hitze, Sturm
und Külte den Haupttheil des Körpers, auch schirmt er die
Seele als Helm des Heiles, indem der Mensch beim Aufsetzen
in der Frühe an seinen Herrn denkt u. s. w. Die fliegenden
Bänder bedeuten den Frohsinn bei der Arbeit, sei sie leicht oder
schwer. Die in die Höhe geschwungenen Sicheln mollen sagen:
Gott sei gedankt nach vollendeter Arbeit. Die Garben aber
fehlen, wohl zum Zeichen, daß das Verdienst der Arbeit für
den Himmel größer sei, als aller zeitliche Gewinn und Nutz,
der nicht werth ist, hier im Bilde auch ihn darzustellen!

4. Der Pelikan. Ileber diesen Vogel gehen bekanntlich die
alten Sagen etwas von einander, nur bleibt fest, daß er sein Blut
für seine Jungen verspritzt, daher ein Sinnbild unseres Retters
und Heilandes ist. Nach Einigen zerreißt jich die Mutter ihre
Brust, läßt das Blut nuf die Brut laufen und erweckt (ernährt)

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sie so zum Leben. Nach anderer Sage stellt die Schlange den
Jungen nach und tödtet sie durch ihren Athem; aber die Mutter
erhebt sich, peitscht ihre Seiten und erweckt sie wiederum. Hier ^
ist der Pelikan wohl ein Bild des heiligen Abendmahles, mit
welchem der Heiland die Seinigen nährt, und der lebendig
machende Christus, wenn der arme Christ nicht allein in den
Leiden der täglichen Pflichten ermattet, sondern oft durch die
Fallstricke der Schlange geistig getödtet worden ist.

5. Zwei gefüllteRosen, auseiner himmelblaudn Lilie
hervorwachsend, neigen sich über zwei Kelche hin.

— Das sind nach dem hl. Bernhard (otk. 5 vuln.) die zwei
größteu Wunderwerke des Himmels auf Erden und sinnbilden:

Jesus und Maria. Beide sind so recht eigentlich zum Geschenke
für die frommen Gläubigen bestimmt. Jesus mein Alles und
Maria meine Mutter, bemerkt der genannte große Heilige und
Kirchenschriftsteller.

6. Eine große Schale mit verschiedenen schönen und
reizenden Früchten gefüllt, oder das Bild des Gerechten
auf Erden, die Werke seines Lebens, seine geübten Tugenden
und leuchtenden guten Werke. Wie sie schön aussehcn, so sind
sie auch durchaus wirklich schön.

7. Auf zwei Kelchen zwei zu einander geneigte Adler
und in ihrer Mitte eine hellgelbe Lilie, getragen
von einem Engelskopse. Soll das nicht die Seele des
wahrhaft frommen Christen überhaupt bedeuten, in, mit und
von der Gnade getragen nach Oben, zu den Freuden der höchsten
Geister: renovabitur nt aguila suvsntus tun ?8. 102? Der
Adler, der König der Vögel, läßt sich nicht in Sümpfen und
Morästen sinden, sondern er lebt auf hohen, freien Bergen und
durchfliegt die Luftregionen der Sonne, wenn er seine Jungen
erprobt, nach Hieron. Er ist Sinnbild der Gnade, die Alles
vermag, um die Seele durch alle Zeitläufe durch die Engel zu
tragen, daher zwei Kelche: für Leiden wie für Freuden.

(Weitere Folge: Erbsünde, Erlösung, die Kirche; die
Sünde und ihre Folgen, rechts und links davon die beseligende
Frucht der Erlösung.)

8. Zwei Hasen im freudigen Sprunge auf zwei Kelche
und auf diesen Olivenzweige, zwischen welchen
der geschmückte und verherrlichte Name Jesus
prangt. — Der Hase, von Natur aus ein furchtsames Thier,
im fröhlichen Sprunge über heilige Gefäße mit Oliven bekrönt,
deutet wohl überhaupt auf die ganze Thierwelt, welche freudig,
jede in ihrer Art das Lob und den Preis der Erlösung verkündet.

9. Zwei geflügelte Schlaugen an einer Frucht (Apfel)
uagend, die auf einem geschmückten Freudenbecher
liegt. — Es sind die Erbsünde und die persönliche Sünde
bildlich angedeutet, die Frucht der Erlösung vernichtend; ge-
 
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