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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1907

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Heft II
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Neuwirth, Josef: Stileinheit und Stilreinheit in ihren Beziehungen zur Denkmalpflege
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https://doi.org/10.11588/diglit.18481#0027
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Stileinheit und Stilreinheit in ihren Beziehungen zur Denkmalpflege

Die Verwirklichung der modernen Grundsätze
möglichst einwandfreier Denkmalpflege findet in der
von gewissen Kreisen niemals aufgegebenen, bald
mehr bald minder nachdrücklich betonten For-
derung der Stileinheit und Stilreinheit eine überaus
schwer zu bekämpfende Gegnerin. Die mit den
Romantikern einsetzende Bewunderung des Mittel-
alters und seiner Kunstschöpfungen sowie der Be-
tätigungstrieb jenes mächtig wachsenden historischen
Sinnes, der auch künstlerische Fragen vom Gesichts-
punkte der reinen Wissenschaftlichkeit zu lösen ge-
dachte, haben eine der Erhaltung namentlich unserer
kirchlichen Denkmale nicht günstige Auffassung ge-
zeitigt, welche mit der Bevorzugung gewisser privi-
legierter, nicht gern über das Mittelalter hinaus-
greifender Stile sich in einer Vernichtung der Werke
späterer Kunstepochen auch heute noch gefällt und
jede Denkmalerhaltung dem gefährlichen Schlagworte
der Stileinheit und Stilreinheit unterordnen möchte.

Die schier unübersehbare Vernichtungsarbeit,
welche während des XIX. Jhs. zu immer neuen be-
klagenswerten Opfern für den Moloch der Nach-
ahmungsnotwendigkeit der mittelalterlichen Stile
drängte, hat noch nicht allen zur Denkmälererhaltung
Verpflichteten die Augen geöffnet. Das Phantom der
stilreinen Restaurierung ist noch immer nicht zu
bannen und gleicht einem der gerufenen Geister, die
man wohl nur schwer wieder loswerden dürfte. Die
empfindlichsten Verluste treffen uns alltäglich be-
sonders bei der rücksichtslosesten Beseitigung kirch-
licher Denkmäler der Renaissance-, Barock- und
Rokokoepoche in mittelalterlichen Kirchen, für welche
mit dem Schein einer weiteren Bevölkerungsschichten
einleuchtenden Berechtigung von maßgebenden Per-
sönlichkeiten Stileinheit und Stilreinheit gefordert
wird. Da ist es denn doch wohl an der Zeit, ganz
unvoreingenommen die Frage zu erörtern, ob wir
überhaupt ein Recht haben, an die Denkmälererhal-
tung mit der Forderung nach Stileinheit und Stil-
reinheit heranzutreten, wobei zunächst die Denkmäler
kirchlichen Charakters und das Verhalten der zu ihrer
Erhaltung verpflichteten Faktoren in Betracht ge-
zogen werden, weil auf diesem Gebiete wohl die er-
haltungswürdigsten Objekte liegen und eine mitunter

nicht unbedenklich durchbrechende Neuerungssucht
das Zusammenhalten wertvollen Kunstbesitzes ge-
fährdet.

Immer mehr, wenn auch sehr langsam, weiß sich
der oberste Grundsatz der Denkmalpflege „Konser-
vieren, aber nicht Restaurieren“ das Verständnis
weiterer Kreise zu erobern, die einzusehen beginnen,
daß die möglichst lange Erhaltung im ursprünglichen
Zustande als Hauptforderung aufgestellt und durch-
gesetzt werden müsse. Dazu ist freilich eine Er-
ziehung der Nation zum Denkmalschutze, die fast
ungezwungen sich einstellende, aber verständnisvoll
hochgehaltene Achtung vor dem historisch Gewor-
denen, die Entwicklung eines Verantwortlichkeits-
gefühles jedes Gebildeten für alles vor seinen Augen
und ohne seine Gegenvorstellung zugrundegehende
alte Kunstgut notwendig. Die Toleranz der Gegen-
wart und Zukunft wird sich für den Denkmalschutz
auf die Formel der vollen Gleichwertigkeit aller ge-
schichtlichen Richtungen im Hinblicke auf die Er-
haltungspflicht einigen müssen. Die Gleichwertigkeit
hat ja gerade die Kirche in der Praxis so vielfach
anerkannt, indem sie die mittelalterlichen Gottes-
häuser unbedenklich und ohne Furcht vor der Zer-
reißung einer als schonenswert betrachteten Stilein-
heit und Stilreinheit mit Kunstwerken späterer Epo-
chen schmückte und dies durchaus nicht als eine
Verunstaltung oder Herabsetzung der Kultwürdigkeit
betrachtete. Angesichts dieser für die Kunstenwick-
lung wohltuenden Toleranz befremdet in hohem Grade
die heute von kirchlichen Kreisen oder einzelnen
geistlichen Würdenträgern geübte Intoleranz, welche
immer noch verlangt, daß man ein Gotteshaus genau
in seinem ursprünglichen Stile restauriere und ihm
jene stileinheitliche und stilreine Form zurückgebe,
die dem ersten Meister vorschwebte und infolge un-
günstiger Verhältnisse entweder gar nicht zur Aus-
führung kam oder unter späteren Um- und Anbauten
teilweise zurücktreten mußte.

Als ob wir nicht die Pflicht hätten, unser Gefühl
der Pietät für die historische Überlieferung im Schutze
der vaterländischen Denkmäler gerade durch das
entschiedene Bestreben zu betonen, der Väter Erbe
und, was der Zeiten Ungunst und Zerstörung tiber-

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