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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1907

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Heft III-IV
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Dvořák, Max: Francesco Borromini als Restaurator
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https://doi.org/10.11588/diglit.18481#0055
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ALLGEMEINES

Francesco Borromini als Restaurator

Die allerehrwürdigste Kirche des Christentums,
die alte Lateranische Basilika, mater ecclesiarum,
mußte im XVII. Jh. umgebaut werden, weil sie einzu-
stürzen drohte.') Es handelte sich bei diesem Um-
baue darum, superare grandissime difficoltä, wie Bal-
dinucci berichtet;1 2) wir werden hören warum.

Die Durchführung der Aufgabe ist Francesco
Borromini übertragen worden. Das dürften viele
von den Zeitgenossen als das allergrößte Wagnis
angesehen haben. Wir alle, die ganz jungen unter
uns ausgenommen, hatten das Glück zu beobachten,
wie sich eine neue Kunst alten Traditionen gegen-
über durchgerungen hat. Als der Kampf am heftigsten
tobte, mochte es wohl manchem scheinen, ähnliches
hätte es früher nie gegeben, nie früher hätte das
Neue so, heftig um Daseinsberechtigung und Aner-
kennung kämpfen müssen, wie in unseren Tagen. Es
wäre dies eine irrige Meinung. Bis zum Cinquecento
hören wir wohl nichts von Kunstkämpfen, weil das
Neue stets als eine allgemein gesuchte unpersönliche
Lösung allgemein verbreiteter Probleme sich kampf-
los die Welt eroberte. Das wurde anders, als die
neuzeitliche Individualisierung der künstlerischen
.Schöpfung der subjektiven Anteilnahme der Künstler
an Lösungen künstlerischer Probleme einen weit
größeren Spielraum ließ als in irgendeiner früheren
Periode. Da haben Künstlerfehden begonnen und
Künstlertragödien, die darin ihren Ursprung hatten,
daß eine neue Auffassung künstlerischer Probleme
eine längere Zeit zum Siege brauchte, als das Leben
ihres Schöpfers gedauert hat.

Einer solchen Tragödie ist Borromini zum Opfer
gefallen. Es gibt wenig Architekten, deren Kunst

1) Über den trostlosen Zustand der alten Basilika
vergl. Rasi'ONJ, De Basilica et Patriarchio Lateranensi.
Roma 1657, pag. 37 und 79 und die wertvolle Untersuchung
H. Eggers, Francesco Borrominis Umbau von S. Giovanni
in Laterano in den „Beiträgen zur Kunstgeschichte“, Franz
W ickhoff gewidmet. AVien 1903. S. 154 ff.

2) Ausgabe vom J. 1773. Bd. XVII. S. 65.

einen so großen Einfluß auf ganz Europa durch Jahr-
hunderte ausgeübt hätte, wie jene des unglücklichen
Meisters vom Luganosee. Nur Michelangelo undPal-
ladio könnte man neben ihm nennen.

\R)n Michelangelos Tode an hat sich eine
Stilwandlung in der Architektur vorbereitet, deren
Inhalt als der Sieg des architektonischen Subjekti-
vismus über traditionelle architektonische Normen
bezeichnet werden kann. Die tektonischen Gesetze,
auf welchen die Gotik und Renaissance beruhte, haben
bereits in den Bauschöpfungen Michelangelos ihre
Bedeutung verloren und die Souverenität der sub-
jektiven architektonischen Komposition trat an ihre
Stelle. Doch die alten tektonischen Normen und
Formen wirkten ähnlich wie heute die Prinzipien
der barocken monumentalen Malerei, obwohl sie ihren
künstlerischen Sinn verloren hatten, noch lange nach,
Götzen vergleichbar, an die man nicht mehr glaubte,
die ganz aufzugeben man sich jedoch noch nicht
entschlossen hatte. Auch Bernini wagte dies nur im
dekorativen Beiwerke. Borromini hat aber in der großen
Architektur mit der Tradition gebrochen, die bis
dahin durch Jahrtausende die Grundlage einer jeden
architektonischen Schöpfung gewesen ist, und hat
eine neue Architektur geschaffen, in der nicht nur
für die Gesamtkomposition, sondern auch für die
Form und Verwendung sämtlicher Bauglieder ohne
Rücksicht auf ihren tektonischen Ursprung und ihre
einstige tektonische Bedeutung einzig und allein die
vom Künstler subjektiv angestrebte Gesamtwirkung
des Baues maßgebend gewesen ist.

Diesem Revolutionär in der Kunst, wie es ihrer
nur wenige in der Geschichte der Kunst gegeben
hat, wurde die Instandsetzung der Basilika Konstan-
tins anvertraut. Sollte man nicht meinen, daß für ihn,
wie für seine großen Vorgänger und noch mehr als für
sie, das Alte nur ein Hindernis bilden müßte, welches
er noch skrupelloser als seine Vorgänger beseitigt, da
seine Kunst einen vollständigen Bruch mit jahr-
tausendelanger Tradition bedeutet. Statt dessen be-
richten bereits die zeitgenössischen Biographen mit

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