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Schreiben Öcs Rarons von Prudelwih an den
Raron uou Strudetwitz.

Cher Baron! Schwimme noch in Cccan von Seligkeit, komme aus
Jubelcravatte. Lackstiesel und Begeisterung gar nicht heraus, bin geistig noch
immer beflaggt und grün decorirt — auf Ehre! Glockengeläut, Ehrenjungfern.
Wimpelschmuck. Musik. FestonS. lebendige Dächer, fliegende Tribünen. Fenster
mit schönen Jüdinnen garnirt, Fahnenschwcnken, Tüchenvedeln. Blumcnregen.
Kanonendonner, Enthusiasmus! War monumentaler Anblick, als brave Jun-
gen- unter Victoria einzogen. Eäsarbaftcr Eindruck — werde nie vergessen.
Habe 'mal in alte Scharteke gelesen, dah Römische Kaiser vor Triumphwagen
besiegte Fürsten in Ketten gesührt. Schade, daß nicht mehr a la mode, habe
antike Sitte schmerzlich vermißt — wäre pempiquer Aufzug gewesen, wenn
voran entkrönte Häupter, Kurhut neben Erinolinde. Welsenhose neben Frank-
furter Senator aufgeführt worden wäre. Hinter Fürsten dann KriegSge-
sangene mit Doppelaar. und hinter diesen besiegte Demokratie. Dies,
nach meiner Ansicht, Hauptersolg de- -Krieges, daß Demokratie auf Haupt und
Maul geschlagen, entwaffnet, ruinirt, gesprengt, verschollen. Tricolorer Scandal
aus ewig aus Weltgeschichte verbannt und verbannert. burichenschastliche Senti-
mentalität und wartbürgerliche Schwärmerei aus Well geschafft. Vor Parla-
ment habe keine Furcht — muß entweder nach Preußische Pfeife tanzen, oder
— Diantre! — sich zu Henker scheeren. WaS sagen dazu, wie kirr alte
Lions von Demokratie geworden? Fressen auö Hand, lausen Staats-
männern bis in Minister-Hotels nach, thun, was besohlen wird, kommen,
wenn mit Finger gew'inkt werden, pariren aufs Wort und sind zufrieden, wenn
mit Gnadenbissen gefüttert werden. Maul halten, niederlegen, couche!
Und Lion streckt alle Viere von sich und liegt aus Bauch. 60 Millionen —
apporte! Und Lion apportirt. — Dreifacher Lorbeer für Staatsmann, der
admirable Dressur erfunden! Besitzt. en esset, fast dämonische Kraft: bannt
Geister und zwingt selbst Höllenpfcrdlcn. ihm zu dienen. Triumphaler Witz —
auf Hüfte! — Pfordten beugt sich in Demuth und bittet, als Dank für gnädige
Strafe Großccrdcn von St. Hubertuö anzunehmcn! Hoffe noch zu erleben,
daß auch Sachsen sich in Staub krümmt und Rautenkranz de- Ruhmes zu
Füßen legt. Sehe wirklich nicht ein, wozu taut cke coremouies mit HauS
Wettin7 Ou — ou — entweder mit uns, oder ohne ihm! Entweder Vasall
— oder Feind, entweder EtwaS — oder Nichts. Wir sind jetzt Maitres der
Situation. Herren von Europa — auf Dreyse! Annexion zu Gesetz erho-
ten — schade, daß nicht noch mehr! Wer hätte verwehren können? Wider-
stand gegen Annexion — lächerlich! Nirgend mehr Macht, Wohlstand, In-
telligenz als bei uns! Kann auf Wort versichern, nirgend! Und bin über-
zeugt, eher aini, daß ganz meiner Ansicht, besonders was Höhere Stände anbe-
trifft. — Habe krampfhast bedauert, daß zu Einzug nicht hier. Mit siegreiche
Armee ist auch Saison eingezegen; also bitte, sich zu beeilen. Bis dahin
Ihr
Prudelwitz.

Im Ktillen.

Nun vorbei die Festeszeit
Laßt uns staunend lesen.
Die die . Opscrsrcudigkeit"
Gar so groß gewesen.
Wo der Wein in Bächen floß
Und daS Bier in Strömen,
Ganz genau aus Tante Voß
Kann ich cS entnehmen.
Das an Schnaps und Lachs und Reis
Jedem Gast gebeten.
Gleich berechnen cS mit Fleiß
„Ein'ge Patrioten."
WaS ein einz'ger Geber that
Nur an kaltem Braten,
Ohne jenes Inserat
Würd' ich'S nie errathen.
Was manch zartes Jungfraulcin.
Manche edle Dame
Spendete — nie fiel mir 4 ein
Ohne die Re ela me.
Alles das sei hoch geschätzt;
Doch um Himmels willen
Sagt, wer will im Stillen jetzt
Ein'ge Thranen stillen?

Der Raron uou Struöefnnfj an den
Raron von prudelmih.
Lieber Baron! Sehe leider ein, daß unsere Standpuncte täglich mehr aus-
einander. Merken Sic denn wirklich nicht, daß, ebne zu wissen, zwar nicht aus
Theorie, aber praktischer, effectiver Demokrat geworden? Sprechen Sic
nicht über legitime Fürsten mit-Pardon, wenn Sie verletze — mit einer
Frivolität, wie Jakobiner kaum ärger sprechen kann? Ist cS Recht, über un-
glückliche SouverainS zu spotten? Ist etwa konservativ, sich über Oesterreichs
Ausstoßung zu freuen? Erkenne Sie. Baron, nicht wieder! Ist das mein
Prudelwitz. mit dem für Ehrcnschild gesammelt habe zu Wallfahrt nach Gaeta?
— Kst-ce donc vous — sind Sie en cffect noch Sic selbst, der mit mir Haß
gegen ParvcnuS, Galantuomini und carbonaristische Gaukler getheilt? — Sind,
glaube ich, in colossablem Jrrthum, wenn Demokratie für besiegt halten — an
contraire — Feudalpartei untcrminirt, zerwühlt, gelockert, nahe vor gänzlichen
Sturz. WaS nutzt mir, wenn Herrenhaus bethcucrt, daß Hauptfeind — De-
mokratie. die vernichtet werden muß. und wenn doch Alles thut, was Demo-
kraten applaudiren? Sage, wie Mansche Lcvi: „Schreien Hilst nicht — Tat-
sachen beweisen!" — Ja. und wenn noch geschricn hatte! Aber mit Aus-
nähme von edlen Busche-Streitherst hat Versammlung Alles gebilligt: Annexion-.
Parlament. Wahlgesetz. Indemnität und — wie viel hat gefehlt, so hatte auch
Aushebung von Wuchcrgcsctze sanctionirt! Bin durchaus nicht von Haltung con-
tentirt — Reden, schaal wie abgestandene Limonade, Pbrasen - Tümpel
mit hoffnungsgrünem Froschlaich, süßsaure Saucen über ausgekochte
Principicn. Friedenstauben mit patriotischer Farce, parlamcntable Tafel-
Bouillon mit Lorbeerblätter, kein Pfeffer, kein Salz, keine Pointe! Heiliger
Daniel- — wo sind die Männer von Stahl? Wo Propheten, die dreifach
Wehe und Zeter über Babylon gerufen? Hätten sich Beispiel an Mecklen-
burgische Ritterschaft nehmen sollen, die — habe darüber ganz genaue Jnstr-uc-
tionS — an Import inen tien trotz Parlament und Wahlurbrci festhalten
wird. Werden. daS hoffe zu seligem Stahl, mit impertinenter Ruhe abwarten,
was impertinente Dolkspartei von ihnen fordern wird; werden sich nicht durch
Erfolg imponiren lassen, sondern Banner der Legitimität Hochhalten. Kann
mir nicht Helsen — aber sympathisire von Herzen mit Hannoverschen und
Nassauischen Adel und bedaure. daß nicht AlleS durch friedliche TranSactior.S,
Domänen Garantien u. s. w. statt mit Gewalt abgemacht. — O schöne Zeit,
da noch Bundestag in Blüthe, und da wir daccoid wie Kastor und Pollux!
Jetzt sehe mit Schmerzen, daß meinen Kastor verloren! Denken Sie denn,
lieber, armer, verblendeter Freund, gar nicht an monströses Unglück, daü durch
AuStilgung von Dynastien über Deutschland gekommen? Wo sollen Hosämter
für unö Herkommen, wo Posten für Ambassadeurs und Attache-? Schönste
Bel-Etagen und reizendste Balleteusen werden leer stehen. ElubS verwaisen. Sport
versinken und glänzendste DecoratienS nicht mehr verliehen werden. DaS sehe
kommen! Darum fürchte, daß Kluft zwischen unS fast unauSfüllbar. Und
wenn letzten Brief mit Bitte um „Indemnität" schloß, so schließe, falls verletzt
haben sollte, heutigen Brief mit Bitte um-sie ist ja selbst politischen
Verbrechern gewährt worden — um — ja lachen Sie nur — um —
Amnestie!
Ihr
emeritirter Pollux
Ctrudelwitz.

Spät kommst du, doch du kommst, o Fahrverein'.
Den Glanz der Hauptstadt schaust du zwar nicht mehr.
Doch magst du noch deS — Regens dich erfreu»!

Das sind die traurigen Dolgen des Krieges!
Seit dem 20. d. Mts. ist mein Mann nicht wieder zurückgekchrt. An den
beiten Tagen de- Einzugs ist er noch in 26 verschiedenen Frühstückslocalen ge-
sehen werden. Am 24. September Abends soll er noch einen Toast aus die
tapfere Armee in PuHlmannö Local, am 25. beim Ehren »Banket einen Trink-
spruch aus die „heldenmüthigen EommissionSräthe", am 26. bei Kampshenkels
daS Wohl der „wackeren Festgenossen", am 27. bei Papenhoser den „K ämpfern
von Königgrätz", und am 28. bei Senior den „Ehren-Jungfraucn'
einen Nachttrunk ausgebracht haben. Er war mit einem neuen braunen Ueber-
ziehcr bcklcidct, später jedoch wahrscheinlich nur noch mit dem Pfandschein für
denselben. Er pfeift den Düppelmarsch diö zum zweiten Theil, wo ihm die
Puste auSgcht, und drückt sich gewöhnlich — in Deutscher Zunge aus,
aber schwer!
Wer über den Vermißten Auskunft zu gebm vermag, der thuc cS in der
Erp. d. Bl.

Einem unverbürgten Gerücht zufolge soll der Berliner Fahrverein wegen
seiner am JllumtnationSabend vollbrachten rettenden That zum Wirklichen
Geheimen WohlfahrtS-AuSschuß ernannt werden.
 
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