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Die Vorbildung unserer Minister.

Un dem Stntvittscommers des Bonner S. C., der am 25. April
^ unter dem Präsidium des Kaisers abgehalten wurde, hat ^ auch
der Cultusminister vr.-Studt' als einstiger Heidelberger Corpsbursch
theilgenommen. Dies Factum, das die große Masse der gedankenlosen
Zeitungsleser als ganz interessant, aber nicht besonders wichtig hin-
genommen und bald wieder vergessen hat, muß tiefer angelegte Naturen
zu allerlei ernsten Betrachtungen anregen.

Man darf es als eine sehr glückliche Fügung bezeichnen, daß
Dr. Studt als Student einem Corps angehört hat und nicht etwa
Wilder oder gar Burschenschafter gewesen ist. Daß er bei dieser Reise
nicht einfach zu Hause gelassen werden konnte, liegt auf der Hand.
Wenn der Kronprinz des Deutsche!» Reiches auf einer preußischen
Universität immatriculirt und so zu sagen als Fuchs aus der Biertaust
gehoben wird, so darf der Cultusminister, dem doch die Hochschulen
unterstellt sind, dabei nicht fehlen. Nun denke man sich aber, Herr
Studt wäre ein alter Burschenschafter, sagen wir alter Bonner
Alemanne. Hätte er als solcher den Commers des Bonner 8. C. be-
suchen, hätte er in einer Versammlung, die nur aus alten und jungen
Corpsburschen bestand, die Salamander mitreiben und den Landesvater
stechen können? Wer die berechtigte Erclusivität unserer Corps kennt,
dem wird schon der Gedanke daran unsagbar lächerlich erscheinen,
vr. Studt hätte, während der Kaiser mit dem Kronprinzen auf der
Corpskneipe saß, zu seinen Alemannen gehen oder für sich in irgend
einem Local sein stilles Glas Bier trinken müssen.

Gott sei Dank kam das ja nun nicht in Frage, aber man erkennt
bei dieser Gelegenheit doch wieder, wie nöthig es ist, daß die Vor-
bildung unserer Staatsminister in feste Bahnen geleitet wird. Nur
alte Corpsstudenten dürfen Minister werden, denn nach dem
übereinstimmenden Urtheil aller Autoritäten gibt nur das Corps dem
Studenten die rechte Erziehung. Allerdings soll ja in den Corps
wenig gearbeitet werden, namentlich von den Juristen, aber was
thut das? Braucht, ein Munster tiefe und umfapende Kennr-
nisse? Lächerlich! Den bleibenden Fonds des Wissens und der
Erfahrung findet, er bei seinen fleißigen Geheimräthen, und er selbst
braucht für die paar Jährchen, die er im Amte ist, nur einen

Personalien aus der Unterwelt:

Ilion, der Meister auf dem „Einrad", ist zum Ehrenmitglied des
deutschen Radlerbundes ernannt worden.

Llesculap gedenkt eine Oberrealschule zu besuchen, um zum
Studium der Medizin Zutritt zu erlangen.

Sisyphus ist in die Canal-Comniission berufen.

Tantalus hat sich beschwert, weil ihm beim Festcommers in Bonn
der Eintritt verweigert ist; er hatte zwei Hektoliter aus sich allein
nehmen wollen. Der ablehnende Bescheid ist anscheinend ironisch mit
.Spiritus" unterzeichnet.

Prometheus bittet die großen Vögel zum Vegetarismus zu
bekehren, damit er endlich einmal seiir Leberleiden in Karlsbad aus-
curiren famv Auch bittet er, ihn» keinen schwarzen Adler inehr zu ver-
leihen; er habe Menschen geschaffen, nicht umgebracht.

Die Danaiden haben ein Comitee gebildet, das sich die Auf-
bringung der'chinesischen Kriegskosten zur Aufgabe macht.

Der-Phönir, der in der letzten Zeit sehr frech geworden ist — man
hat ihm mehrmals gehörig über den Schnabel fahren müssen — soll in
ein Asbesthaus gesetzt worden sein; auf diese Weise hosft man ihn
schließlich doch einmal zunichtezubrennen.

Ceres hat gegen die Erhöhung der Kornzölle protestirt.

Die Sirenen sollen ihre musikalischen Künste vergebens an
Siegfried Wagner versucht haben; er blieb kurz angebunden an
seinem Mast und hatte Wachs in den Ohren.

In der „Deutschen Tageszeitung" wird auf die Herkunft dcs
Saccharliis hingewiesen; es stainnie aus dem Stcinkohlenlhecr und
könne deshalb den Appettt nicht besonders reizen. Dieser Hinweis ist
besonders glücklich im Munde von Leuten, die sich nie Gedanken darüber
gemacht haben, was in den Därnien vorher gewesen ist, die von den
harmlosen Landbewohnern zur Wurstfabrikation verwendet - werden.
„Das Saccharin ist aber nicht nur unappetttlich, es ist auch werthlos."
Wer kann das von einer guten Land.wurst behaupten!

l raschen Blick, weltmännisches Auftreten, Lust zum Geldausgeben, Selbst. [
gefühl und Schneidigkeit. Und wo kann er sich das alles besser an. r£
eignen als im Corps? Also hinaus mit den Burschenschaftern und !
Wilden aus dem Ministcriuin!

Prüfen wir nun darauf die augenblicklich bei »ns anittrende höchste t
Staatsbehörde, so kommen wir zu einem wahrhaft niederschmetternden k
Resultat. Drei unserer Minister, nämlich die Herren, Schönstedt ß
v. Thielenund Brefeld sind alte Burschenschafter! Sieht das nicht aus' l
als ob die Burschenschaft sich verschworen hätte, alle Ministersessel in ihren I
Besitz zu bringen? Und unter den drei Herren dienen als Präsidenten, Ee- f)
heimräthe, Regierungsräthe, Staatsanwälte und Richter viele Hundette, k
vielleicht einige Tausende von alten Corpsburschen! Muß diesen nicht l
die Röthe der Scham und des Uninuihs ins Gesicht steigen, wenn sie ’

sich das Unwürdige dieses Verhältnisses klar machen? Einen ganz de- [

sonders, wunden Punkt im Ministerium bildet dann noch vr. v. Miguel (
Er ist als StudentMitglied einer anarchistischen Blase gewesen uird hatnoch I
bei dem Göttinger Jubiläum im Jahre 1887. einen alten Schuhmacher be; '
sucht, mit dein er in den vierziger Jahren in einem „Volksverein" freund'.', k.
schaftlich verkehrt hatte. Und dieser.Mann ist einer der ersten Rath. k
geber des Kaisers! Und wie steht es 'mit dem Reichskanzler und I

Ministerpräsidenten? Die Blätter haben doch schon genug aus seinem |

Leben erzählt, aber iiian hat nienials etwas davon gehört, daß ec ;
als Sttident eine hervorragende Rolle im Corpsleben gespielt hätte
Sollte auch Graf Vülow ein verkappter Büchsier sein? Das
deutsche Volk kann verlangen, daß diese Frage llar und bestimmt be-
antwortet wird! - .

Seit einigen Tagen durchschwirron allerlei Gerüchte von eingreifen- !
den Veränderungen im Ministerium die Lust,, drei bis vier von den
Herren sollen sich zum Abgang rüsten. Ist nian zu der Erkenntniß
gekommen, daß es kaum eine verdächtigere Garnitur von Ministern
geben lau», als wir sie zur Zeit besitzen, daß die Burschenschafier in der
Wilhelmstraße nichts zu suchen haben? Ist diese Einsicht gewonnen
dann fort mit ihnen, ehe sie an einem Platze, auf den sie nicht gehören,
noch nichr Schaden anrichten!

Die Rechte behariptet, durch den Mittellandcanal werde die Siipve
der Socialdemokraten gekocht. Kein Wunder denn, daß sie de: Re-
gierung den Canal versalzen will.

Vom Blocksberg.

Die diesjährige Walpi>rgisnachtfeier verlief zur allgemeinen Be- L
friedigung. Es war ein wirklich schönes Fest, das durch keinen Miß- !
klang gestört wurde.

Zum ersten Mal hatten einige Heren das Luft-Automobil, das sich
recht gut bewährte, zur Brockenfahrt benutzt. Die vornehme Welt war l
stark vertreten, und an Berühmtheiten fehlte es nicht.

Es fanden allerliebste Aufsührungen statt. Das. Hübscheste war I
eine Canaldcbatte, bei der zur großen Ergetzung des Piiblicums zwei I
Miguels gegen einander ankämpflen, von denen der eine für und der |

andere gegen den Canal sprach. Dann kam ein Asbestfackclzug, und den |

Schluß bildete die Vorführung eines feurigen Salamanders. Dann gab r
der Abgeordnete Hahn das bekannte Zeichen zum Ausbruch, und gegen |
zwei Uhr fuhr die Tante Votz schon durch den Schornstein in das.. I
Haus Breite Straße 8 in Berlin ein.
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